Nie wieder Apfelkorn. Rich Schwab

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Название Nie wieder Apfelkorn
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871872



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von Uni-Feten und Popkonzerten, vom SSK und vom KBW, von Indianerhäuptlingen, Sportstudios und Frauenbuchläden; es gab einen Billardtisch, dessen grüne Samtbespannung gerade noch an zwei Banden zu erkennen war; die Musik kam, gut laut, von dem Plattenspieler hinter der Theke – immer dieselben zwanzig abgenudelten Alben: Stones, Zappa, Captain Beefheart, Miles Davis, Jimi Hendrix und Dr. Hook, und wenn einer von denen, die immer was zu meckern haben, ankam und fragte, wie man bloß so verkratzte Scheiben laufen lassen könnte, kriegte er die Standardantwort: »Wieso? Wir ha’m doch nur die besten Stellen angekreuzt!«

      An einem Abend, an dem ich besonders gut drauf war, hatte ich mal ’ne Doldinger-Platte aufgelegt, die einen Sprung hatte. Der war witzigerweise an einer Stelle, wo er kaum auffiel, es ergab sich einfach nur eine Endlosschleife im Sieben-Achtel-Takt. Es dauerte über ’ne Stunde, bis es jemand merkte, und zwei Stunden, bis sie alle so sauer waren, dass mir nichts anderes übrig blieb, als was anderes aufzulegen – sie fingen schon an, mit Gläsern nach mir zu schmeißen, und davon hatten wir eh immer zu wenig.

      Im Schrebergarten hing immer eine ganz eigene Duftmischung: der Geruch von Jahre alter Bierhefe, kaltem Rauch, Haschisch und Haarspray, Schweiß, Kotze und Pisse, selbstgepanschtem Apfelkorn (ein Drittel Korn, zwei Drittel Apfelsaft, ein kräftiger Schuss Rum, ein Schuss Cointreau, angerührt in Zehn-Liter-Plastikkanistern, abgefüllt in alte Weinflaschen, die Flasche fuffzehn Mark, für Freunde ’nen Zehner – und den tranken überwiegend Freunde …), und nicht zuletzt der unverwechselbare Geruch von Selims Frikadellen; die briet der kleine Perser in der winzigen Küche neben der Theke – mehr Brötchen als Hackfleisch und mehr Knoblauch als Brötchen. Eigentlich war er hoch dotierter Spezialist in einer Bonner Augenklinik – aber versuch mal, mit zwanzig Captagon und zwei Flaschen Fernet im Kopp ’ne Netzhaut zu flicken.

      Nachmittags um fünf machte der Laden auf, und ab sechs war er voll: verfrorene Fixer vom Barbarossaplatz, die sich auf dem Klo gegenseitig übers Ohr hauten, damit auch jeder sein Schüsschen abkriegte; Stricher vom Zülpicher, die sich auf demselben Klo auch schon mal ’nen Zwanziger dazuverdienten (wenn sie nicht gerade an Herrn Belzinger gerieten); schmuddelige SSKler, die erst mal die Groschen für die erste Runde große Biere zusammenschnorrten, dann nach zwei Stunden Debatten über die Zukunft der Anarchie in Germoney die Tageseinnahmen des Vereins, mit Entrümpelungen und Möbeltransporten mühsam erarbeitet, in literweise Apfelkorn umsetzten, ehe sie sich ans Absingen ihrer Kampflieder machten; um den Billardtisch rum Asbach-Cola schlürfende Jungloddels und Nachwuchsschläger vom Rathenauplatz, die aus lauter Langeweile schon mal einen kleinen Fixer durchs Fenster warfen; manchmal hauten sie sich auch nur gegenseitig Billardkugeln um die Ohren. Es gab jede Menge Personal aus den umliegenden Studentenpinten, die hier alle kein Geld auszugeben brauchten, weil auch wir überall frei Saufen hatten; Studenten und Studentinnen, die auch mal am proletarischen Sumpf schnuppern wollten, was manchen von ihnen dank Papis monatlichem Scheck mehr als gründlich gelang; hier kamen die Schwulen hin, denen das Shalömchen zu tuntig war; krakeelige Omas und Opas aus dem Viertel, die sich hier jünger und ernster genommen fühlten als in den gutbürgerlichen Gaststätten; ein paar Schauspieler – einer von ihnen ist heute ein Star im deutschen Film- und Fernsehgeschäft, und ich weiß noch, wie er versuchte, mir im Schrebergarten einen Aschenbecher aufs Maul zu hauen, weil ich ihm keinen Deckel machen wollte; es blieb bei dem Versuch – leider brach er sich den Arm dabei, heute kennt er mich nicht mehr, wenn wir uns begegnen; und schließlich haufenweise Musikerkollegen, die der allgegenwärtige Cat Stevens aus allen anderen Kneipen vertrieben hatte – Jazzgitarristen und Straßenmusiker, Garagenrocker und Big-Band-Bläser, ewige Loser und Karrieremacher, ehemalige und zukünftige Lokalmatadoren, Alleinunterhalter, Sich-selbst-Unterhalter und Popstars. Schöne Kneipe. Gute Zeit, 1976.

      ***

      Wolli selbst war ein ziemlich guter Jazzpianist. Anfang der 70er hatten wir mal zusammen in einer dieser unsäglichen Post-Mahavishnu-Jazzrock-Kapellen gespielt (alles unter Neun-Achtel-Takt ist profane Kacke, und je mehr Zweiunddreißigstel-Noten du in einen Takt packst, desto besser ist die Band). Später machte er Ernst und studierte weiter seine Millimeterpapier-Musik, während ich das Kiffen dran- und mich in die Niederungen des Rock’n’Roll zurückbegab. Dann wurde in seinen Proberaum in Zollstock eingebrochen. Mit den fünfundzwanzig Mille von der Versicherung machte er den Schrebergarten auf – in der Nacht vor dem Einbruch hatte ich ihm noch geholfen, das komplette Inventar des Proberaums, Flügel, Mischpult, Bandmaschine usw., in den Keller seiner Cousine in Aachen zu schaffen. Ein Jahr lang schmiss er den Laden selbst, dann wurde es ihm zu laut und zu hektisch. Schließlich hatte er auch noch ein Riesenschwein: Kompositionsauftrag für eine dreißigteilige französische Krimi-Serie – zwar ’n Haufen Arbeit, aber auch Unmengen Kohle. »Wat soll ich mich da noch hintern Tresen stellen un’ Besoffene angucken, die ich au’ noch selber abgefüllt hab, wa’, Büb?«

      Ich hatte schon ein paar Mal ausgeholfen, wenn ich pleite war, kannte den Laden und die Leute und genoss sein Vertrauen, also ernannte er mich kurzerhand zum Geschäftsführer. Ich kriegte nicht mehr zehn, sondern fünfzehn Mark die Stunde, musste mich dafür aber eben um alles kümmern. Und Wolli setzte sich ab nach Ibiza, wohin ich dann jeden Monat einen Scheck wandern ließ. Na gut – fast jeden Monat. Es gab ja nicht immer Gewinn.

      ***

      Aber deswegen würde er mir ganz sicher nicht zwei Figuren wie diese auf den Hals schicken. Außerdem würde er auch wissen, dass das wenig Sinn hätte – ich verstand mich mit einigen von den einschlägigen Gästen ganz gut, und es hatte schon öfter geheißen: »Wä däm Büb jet deit, dä weed en dä Stadt nit alt!«* Also – was wollten die beiden Kanten hier?

      »Jet spät draan«*, sagte ich, nachdem ich mich beinahe an ’nem Apfelkorn verschluckt hätte. Ganz der lässig-freundliche Barmann, den meine Gäste kennen und schätzen. Elvis schickte mir nur einen kurzen Blick rüber und kaute dann weiter an seinem Brikett. Es war die Art von Blick, wie ihn gestandene Fernfahrer nach sechzehn Stunden Autobahn für den Käfer schräg links hinter ihrem Hänger übrig haben, bevor sie ihre siebzig Tonnen ein paar Zentimeter vor seiner Schnauze auf die Überholspur lenken.

      Das Rindfleisch ignorierte mich gar nicht erst, sondern ging fett wie ein kastrierter Kater auf die hintere Ecke der Theke zu, wo Britta saß. Er trug ein mehr oder weniger weißes Unterhemd, das ihm seine Mutter wohl schon vor über zehn Jahren gekauft hatte. Bei den beiden Wäschen seitdem war es ziemlich eingelaufen, unten reichte es nicht über seine Speckhüften, und oben auf den Schultern waren die Nähte an mehreren Stellen aufgeplatzt. Seine Mutter hatte daraus gelernt und ihm bei Woolworth eine rote Trainingshose gekauft, in die er wohl erst noch reinwachsen sollte. Als er an mir vorbei kam, brachte er eine Wolke von Schweiß und Shit mit. Ich versuchte, nicht allzu tief einzuatmen.

      »Treck ding Jack aan, mir fahre jetz’ jet spaziere«*, begrüßte er die Blaue Britta galant.

      »Moment ens* …«, versuchte ich, mich einzumischen. Elvis stand vor mir, einen Ellbogen auf die Theke gelehnt und schenkte mir einen etwas längeren Blick. Mir wurde klar, dass der Käfer schon eher neben dem Hänger fuhr, und jetzt sah ich auch die orangenen Aufkleber auf der Plane – Explosive Ladung!

      Aber ich arbeite schon zu lange in solchen Kaschemmen, um mich von jedem Arschloch sofort einschüchtern zu lassen. Auch wenn du Schiss hast bis zum Geht-nicht-mehr – das Schlimmste, was du tun kannst, ist, es diese Sorte merken zu lassen. Da sind sie wie diese degenerierten Zwingerhunde – die fallen über jeden her, an dem sie Angst riechen, ziehen aber oft schnell den Schwanz ein, wenn du sie mal ordentlich anschreist. Ich kannte die Sprache dieses Vereins und hatte auch den einen oder anderen Trick noch nicht vergessen, der mir in meiner eigenen Asi-Zeit das Überleben im Eigelstein-Viertel erleichtert hatte. War zwar auch schon weit über zehn Jahre her, aber bisher war ich auf die Art noch immer glimpflich weggekommen, selbst auf dem Schrebergarten-Prüfstand. Wer sich hier in seinem Job länger als zwei Jahre halten konnte, an dem musste schon irgendwas dran sein. Oder …?

      »Passt ens op: Eetztens es he Fierovend, ihr sid also eijentlisch jaa nit he, sondern stoot drusse un’ sid aan de Rollade am kloppe. Zweitens es dat Mädsche he kein vun üer Jymnasiums-Prömmsche, die ihr sönz he nommeddags affschlepp’, öm se aanzestesche,