Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

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Название Musikergesundheit in der Praxis
Автор произведения Claudia Spahn
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783894878191



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die Klappen, Tasten oder Saiten drücken, muss dieser Druck bis hinauf in den Schultergürtel aufgefangen werden. Ist dort nicht genügend Stabilität vorhanden, müssen andere Muskeln, die hierfür eigentlich nicht vorgesehen sind, diesen Mangel kompensieren. Oft sind dies die oberflächlichen Schultergürtelmuskeln wie der absteigende Teil des Trapezmuskels oder die langen Strecker und Beuger der Finger und des Handgelenks. Gerade bei Pianisten zeigen diese Muskeln oft zuerst Zeichen der Überlastung – nicht nur wegen der repetitiven Beuge- und Strecktätigkeit der Finger beim Spielen, sondern möglicherweise auch wegen der kompensatorischen Arbeit für einen schwachen und nicht optimal koordinierten Schultergürtel.

       Flexibilität in der Bewegungsgestaltung

      Ein zusätzliches und wichtiges Kriterium der Bewegungsgestaltung beim Musizieren ist die aufgaben- und situationsspezifische Flexibilität in der Koordination der verschiedenen Funktionsabschnitte. Zu starre Vorstellungen eines gleichförmigen Bewegungsablaufs beim Musizieren können ein Risiko für Fehlkoordination darstellen.

      Spielbewegungen sind dynamische Vorgänge, die ständige Anpassungsprozesse erfordern. Die Qualität einer Bewegung hinsichtlich klanglicher und gesundheitlicher Kriterien ist dabei jedoch keineswegs beliebig, sondern sie folgt bewegungsökonomischen Prinzipien.

      Die flexible Koordination der Anteile von Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk in Abhängigkeit von Tempo und Rhythmus soll am Beispiel der Spicca-to-Technik auf dem Cello veranschaulicht werden. Während des Spiels des vorgegebenen Notenbeispiels (Abb. I.50) wurde die Bewegung des Bogenarms in den drei Gelenken gemessen (Winold et al. 1994). Alle Gelenke sind während der gesamten Spielphase an der Bewegung des Bogenarms beteiligt (Abb. I.51). Es lässt sich jedoch deutlich erkennen, dass die größte Bewegungsauslenkung mit zunehmendem Tempo wechselt – vom Schulterzum Ellenbogen- und schließlich zum Handgelenk.

      Abb. I.50: Notenbeispiel – auf der D–Saite des Violoncellos im angegebenen Tempo (Viertel = 80) zu spielen (Winold et al. 1994)

      Abb. I.51: Winkelveränderungen in Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk während des Spiccato-Spiels nach dem Notenbeispiel in Abb. I.50 bei einem erfahrenen Cellisten (Winold et al. 1994)

      Neben den musikalischen Anforderungen und der Konstitution des Spielers gestalten die Bau- und Spielweise des Instruments die Anforderungen an die Musizierbewegungen mit. Da sowohl Spieler als auch Instrument jeweils individuell betrachtet werden müssen, werden hier nur die Grundprinzipien angesprochen.

      Der Spieler sollte alle Möglichkeiten, welche die Klangbildung des Instruments nicht beeinträchtigen, nutzen, um die Spielsituation so an seinen Körper anzupassen, dass die Spielbewegungen leicht und angenehm sind.

      Als anschauliches Beispiel sei hier die Sitzhöhe am Klavier herausgegriffen. Abb. I.52a–c zeigen den Einfluss der Sitzhöhe auf die Winkel zwischen Handgelenk, Unterarm, Oberarm und Schulter bei einer Pianistin. Feste Ausgangsgrößen stellen hierbei aufseiten der Spielerin die Proportionen von Rumpf, oberer und unterer Extremität und aufseiten des Instruments die Höhe der Klaviertastatur dar. Grundsätzlich soll anhand der verschiedenen Sitzhöhen deutlich gemacht werden, welche unterschiedlichen Voraussetzungen für die Spielbewegungen durch die Positionierung – Sitzhöhe und Abstand zum Instrument – geschaffen werden. Eine normierte Angabe der »richtigen« Höheneinstellung der Klavierbank und des Abstands zum Instrument würde zu kurz greifen, da die individuellen Proportionen beim jeweiligen Spieler immer mit beachtet werden müssen (Kap. II.6, S. 198).

      Ganz besonders bei Bratschisten stellt sich die Frage nach der Größe und Mensur des Instruments, da Bratschen diesbezüglich sehr variieren. Große Instrumente führen dazu, dass die Greifhand sehr weit vom Rumpf entfernt agiert und dass Spieler mit kürzeren Armen in ungünstige Gelenkstellungen geraten. Es ist deshalb sinnvoll, bei der Wahl des Instruments auch Fragen der Bewegungsökonomie zu berücksichtigen. Die Entscheidungen sind ebenfalls sehr individuell zu treffen. Bei Spielern mit langen Armen können größere Instrumente sogar günstigere Bewegungsvoraussetzungen liefern (Abb. I.53).

      Abb. I.52a–c: Veränderung der Bewegungskette Schultergürtel-Schulter-Arm-Hand durch unterschiedliche Einstellung der Sitzhöhe am Klavier: a) Sitzhöhe hoch, b) Sitzhöhe tief, c) Sitzhöhe mittel

      Instrumentalisten müssen mit der rechten und linken oberen Extremität unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Die Bewegungsanforderungen unterscheiden sich hierbei entweder stark – wie bei den Hohen Streichern – oder ähneln sich hinsichtlich der Bewegungsrichtungen – wie bei Pianisten. Bei einigen Instrumenten sind Halte- und Bewegungsarbeit gleichzeitig mit derselben Extremität zu leisten – wie mit der rechten Hand beim Spiel von Klarinette, Oboe, Querflöte und Blockflöte – oder sie sind auf beide Seiten verteilt. Bei der Trompete leistet die linke Hand Haltearbeit, während die rechte Hand die Ventile bedient (Abb. I.54).

      Abb. I.53: Beispiel eines Bratschisten mit langen Armen und großer Bratsche

      Abb. I.54: Haltearbeit links und Bewegung der Ventile rechts beim Trompetenspiel

      Sänger und Bläser arbeiten bei der Klangerzeugung mit den Organen des Atmungssystems, dem Kehlkopf, den Räumen des Vokaltrakts, den Artikulationswerkzeugen Lippen und Zunge sowie mit der Ansatzmuskulatur. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels soll deshalb auf einige anatomische Grundlagen der Funktionseinheit Atmung und Tonerzeugung bei Bläsern und Sängern eingegangen werden.5

      Da die Atmung ein für alle Musiker – besonders jedoch für Bläser und Sänger – zentraler Gegenstand ist, findet sich darüber hinaus in Kap. I.1.3 eine ausführliche Darstellung der Atmungsvorgänge.

      Brustkorb und Atmungsorgane

      Der Brustkorb wird im Wesentlichen von den zwölf Rippenpaaren gebildet. Diese sind hinten an den einzelnen Brustwirbeln angeheftet. Vorn sind sie über Knorpelverbindungen, die sog. Sternocostalgelenke, mit dem Brustbein verbunden. Diese kleinen Gelenke sind kaum für Belastung ausgelegt, sondern garantieren durch ihre Beweglichkeit die freie Entfaltung der Rippen bei der Atmung.

      Hierfür ist wiederum eine aufrechte Brustwirbelsäule wichtig, denn bei starker Krümmung der Brustwirbelsäule – beim Rundrücken – entsteht eine erhöhte Kompression im Bereich des Brustbeins.

      Zwischen den Rippen befinden sich die inneren und äußeren Zwischenrippenmuskeln. Diese haben unterschiedliche Funktionen: Bei der Einatmung heben die äußeren Zwischenrippenmuskeln die Rippen an und vergrößern damit den Brustraum, bei der aktiven Ausatmung verkleinern die inneren Zwischenrippenmuskeln den Zwischenrippenraum und damit auch das Volumen des Brustkorbs. An der unteren Öffnung des Brustkorbs befindet sich das Zwerchfell, welches sich mit zwei »Kuppeln« nach oben wölbt (Abb. I.55). An der Außenseite des Brustkorbs setzen zahlreiche Muskeln an, welche als Atemhilfsmuskeln verwendet werden können. Abb. I.55 zeigt, dass das Zwerchfell mit seinen Zwerchfellschenkeln gemeinsam mit dem M. psoas, dem stärksten Hüftbeuger, an den Lendenwirbelkörpern angeheftet ist. Hierdurch besteht eine funktionelle Nähe zwischen Atmung sowie Aufrichtung, Beckenkippung und Hüftbeugung.

      Im Brustkorb findet sich als wichtigstes Atemorgan die Lunge.

      Abb. I.55: Lage des Zwerchfells im Brustkorb sowie anatomische und funktionelle Nähe der Zwerchfellschenkel und des M. psoas

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