Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

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Название Musikergesundheit in der Praxis
Автор произведения Claudia Spahn
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783894878191



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zwei Atmungsbewegungen ausgeführt: Durch Öffnung des Gaumensegels wird über die Nase eingeatmet und die Vitalkapazität in der Lunge aufgefüllt und gleichzeitig der zur Tonerzeugung benötigte Atemstrom dadurch aufrechterhalten, dass die Luft aus den Backen durch Kontraktion der Backenmuskeln nach vorn in Richtung Mundstück transportiert wird. Nach Abschluss des Einatmungsvorgangs wird konsekutiv das Gaumensegel wieder verschlossen und der Zungenrücken in die Ausgangslage zurückgeführt. Hierdurch kann der Ausatemstrom aus der Lunge zum einen wieder ungehindert zur Tonerzeugung zum Mundstück gelangen und zum anderen dazu verwendet werden, das geleerte Backenreservoir erneut aufzufüllen. Dieser Vorgang wird mit fließenden – und damit so wenig wie möglich hörbaren – Übergängen »zirkular« oder »permanent« ausgeführt. Dies erklärt die Benennung dieser Atmungsform. Die Vorgänge können in den dynamischen kernspintomografischen Aufnahmen auf der DVD bei Oboe und Klarinette gut nachvollzogen werden.

      Sänger

      Die Atmung der Sänger ist am ehesten mit derjenigen der Blockflötisten zu vergleichen. Die Atmung während des Singens wurde intensiv erforscht: So weisen Sänger beispielsweise eine etwa 20 % höhere Vitalkapazität auf als Nichtsänger (Gould 1977), sie scheinen jedoch über keine größere Totalkapazität zu verfügen. Da die Atmung bei Sängern einige Spezifika aufweist, erscheint es gerechtfertigt, den Begriff »Sängeratmung« zu verwenden (Richter 2014, S. 34).10

      Das Nervensystem hat die Aufgabe, äußere Bewegungen und innere organische Vorgänge des menschlichen Körpers zu steuern. Im Nervensystem sind auch Gefühle und Erinnerungen – im Gedächtnis – gespeichert, welche Einfluss auf die Steuerung der Körpervorgänge nehmen (vgl. Kap. I.2.1). Grundsätzlich wissen wir heute, dass das Nervensystem in seiner Funktionsweise und Struktur nicht nur genetisch determiniert ist, sondern auch wesentlich unsere Erfahrungen verarbeitet und widerspiegelt. Diese Fähigkeit wird als neuronale Plastizität bezeichnet. Sie ist der Grund, warum Lernen während des gesamten Lebens möglich bleibt.

      Das Neuron – die Nervenzelle – stellt die Grundeinheit des Nervensystems dar (Abb. I.64). Jedes Neuron besteht aus einem Zellkörper, aus den Zellfortsätzen, den Dendriten – zur Informationsaufnahme Richtung Zellinneres – und aus den langen Fortsätzen der Nervenzellen, den Neuriten, welche Nervenimpulse an andere Neurone oder an Muskeln weiterleiten. Die Neuriten sind durch Bindegewebshüllen (sog. Nervenscheiden) zu Nervenfaserbündeln zusammengefasst und bilden den Nerv (griech. neúron, »Schnur«). Beim Menschen weisen die Nervenfasern sehr unterschiedliche Längen auf, sie sind zwischen Bruchteilen von Millimetern bis zu einem Meter lang. Die längsten Nervenfasern finden sich im Rückenmark und im Ischiasnerv. Um Informationen vom Gehirn zum ausführenden Organ oder umgekehrt von der Peripherie in das Gehirn zu leiten, geben Nerven elektrische Impulse weiter. Die Nerven, die eine Information vom Körper an des Gehirn weiterleiten, werden als afferent (von lat. afferre, »hinbringen«) bezeichnet, diejenigen, die Informationen vom Gehirn in die Peripherie des Körpers leiten, werden als efferent (von lat. efferre, »herausbringen«) bezeichnet.

      Abb. I.64: Aufbau eines Neurons

      Die Nervenleitung geschieht durch Änderungen der elektrischen Spannung entlang der Nervenzellmembran. Zwischen dem Inneren und der Oberfläche einer Nervenfaser besteht dadurch eine elektrische Potenzialdifferenz, dass Kalium- und Natrium-Ionen ungleich verteilt sind. Durch schnellen Ausgleich der Spannungsdifferenz entstehen an der Oberfläche der Nervenzelle elektrische Impulse, sog. Aktionspotenziale, die sich wie eine Welle ausbreiten.

      Es gibt unterschiedlich schnell leitende Typen von Nervenfasern. Je dicker eine Nervenfaser und je dicker ihre Markscheide ist, desto schneller ist ihre Leitgeschwindigkeit. Am schnellsten sind die A-Alpha-Fasern, welche sowohl die Impulse für die Muskelanspannung vom Gehirn zu den Skelettmuskeln leiten als auch das Gehirn mit Informationen über die Spannung des Muskels versorgen. Sie besitzen eine Leitgeschwindigkeit von 70–120 m/s. Im Vergleich dazu, wie schnell manche Musizierbewegungen ausgeführt werden, ist die Übermittlung der Bewegungsimpulse jedoch vergleichsweise langsam und in Extremfällen nur etwa viermal schneller als der zeitliche Abstand zwischen zwei Tönen.

      Die Verbindungen zwischen Neuronen bezeichnet man als Synapsen. An den Synapsen, von denen sich ca. eine Billiarde im menschlichen Körper befinden, findet die Erregungsübertragung von einem Neuron auf das nächste Neuron statt. Im sog. synaptischen Spalt modulieren Überträgerstoffe (Transmitter), ob ein Reiz verstärkt oder abgeschwächt weitergeleitet wird. Die dort ablaufenden Vorgänge sind hochkomplex und können deshalb hier nicht im Einzelnen dargestellt werden.11

      Die Ausprägung von Synapsen unterliegt einer zeitlichen Dynamik im Laufe des Lebens und ist abhängig von den Erfahrungen der einzelnen Person und von den Anreizen, die auf das Nervensystem treffen. In den ersten beiden Lebensjahren entwickelt sich ein Netzwerk synaptischer Verbindungen – ablesbar an den enormen Entwicklungsprozessen im Kleinkindalter. Bestimmte Fähigkeiten müssen in dieser Phase erlernt werden, da sonst das Potenzial zur Ausbildung von Synapsen verkümmert. Unter dem Einfluss von Umwelterfahrungen werden die synaptischen Verbindungen später feiner reguliert und auf die wesentlichen Verbindungen beschränkt. Grundsätzlich können Vorgänge jedoch mit gewissen Einschränkungen bis ins hohe Alter auch neu erlernt werden.

      Vergleichbar mit »Trampelpfaden«, die dadurch entstehen, dass ein Weg immer wieder gegangen wird, entstehen auch im Nervensystem durch Wiederholungen neue und stärker ausgeprägte synaptische Verbindungen. Hierbei ist zu unterscheiden, ob es sich um kurzfristige oder langfristige Verstärkungen der Signalübertragung zwischen Neuronen handelt. Von Kurzzeitplastizität spricht man, wenn die Änderung der Übertragungsstärke einige Millisekunden bis einige Minuten anhält (»short-term plasticity«, STP), von Langzeitplastizität, wenn sie Minuten bis Stunden oder lebenslang bestehen bleibt (»long-term plasticity«, LTP).

      Aufgrund seiner Lage im Körper wird das Nervensystem in das zentrale Nervensystem und das periphere Nervensystem unterteilt. Das zentrale Nervensystem besteht aus Gehirn und Rückenmark, das periphere Nervensystem aus den Nerven, die das Gehirn und das Rückenmark mit den Muskeln und Organen im Körper verbinden.

      Eine zweite Unterteilung des Nervensystems richtet sich nach seiner Funktion. Das somatische Nervensystem steuert in seinem motorischen Anteil willkürlich die Skelettmuskulatur, mit seinen sensiblen Fasern nimmt es Reize auf und leitet sie dem Gehirn zu. Das vegetative Nervensystem dient der unbewussten Steuerung der inneren Organe und lebenswichtiger Vorgänge wie der Atmung, des Herz-Kreislauf-Systems und der Verdauung. Es wird auch als autonomes Nervensystem bezeichnet.

      Das zentrale Nervensystem

       Gehirn

      Das Gehirn ist das Zentrum unseres Denkens, Fühlens und Handelns sowie Sitz des Gedächtnisses. Es ist ein faszinierendes Organ, dessen komplexe Funktionsweise noch längst nicht in Gänze erforscht ist. Durch Untersuchungsmethoden wie das Elektroenzephalogramm (EEG) und insbesondere durch die funktionelle Kernspintomografie (fMRT) kann heute die Gehirnaktivität bei unterschiedlichen Aufgaben untersucht und so auf die Arbeitsweise des Gehirns rückgeschlossen werden. Diese Möglichkeiten haben in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem deutlichen Wissenszuwachs im Fachgebiet der Neurowissenschaften geführt.

      Das Gehirn besteht aus dem Großhirn, dem Kleinhirn und dem Hirnstamm (Abb. I.65), der über