Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

Читать онлайн.
Название Musikergesundheit in der Praxis
Автор произведения Claudia Spahn
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783894878191



Скачать книгу

Halswirbelsäule und eine verringerte Kyphose der Brustwirbelsäule (Abb. I.29). Ist das Becken nach hinten gekippt, sitzt der Spieler also hinter den Sitzbeinhöckern, ist die Lordose der Lendenwirbelsäule aufgehoben, die Kyphose der Brustwirbelsäule wird verstärkt und die Halswirbelsäule stärker gebeugt (Abb. I.30).

      Abb. I.28: Geigerin in idealer Sitzposition

      Abb. I.29: Geigerin in Sitzposition »vor den Sitzbeinhöckern«

      Abb. I.30: Geigerin in Sitzposition »hinter den Sitzbeinhöckern«

      Beim Spielen im Sitzen sollte das Becken so eingestellt sein, dass der Spieler auf den Sitzbeinhöckern sitzt. Aus dieser Position ist er für die unterschiedlichen Spielbewegungen in alle Richtungen flexibel. Hierfür ist eine Sitzgelegenheit mit einer neutralen, geraden Sitzfläche von Vorteil. Auch vorübergehend vor oder hinter den Sitzbeinhöckern zu sitzen schadet der Wirbelsäule dann nicht, wenn sich hieraus kein überdauerndes Haltungsmuster entwickelt.

      Auch wenn die Prinzipien der Aufrichtung im Sitzen und Stehen funktionelle Gemeinsamkeiten aufweisen, die sich hauptsächlich auf die Stellung des Beckens und den daraus folgenden Aufbau der Wirbelsäule beziehen, so gibt es auch Hinweise auf Unterschiede beim Spiel desselben Instruments im Sitzen und Stehen. So war in Untersuchungen bei Geigern zu beobachten (Spahn et al. 2014; Wasmer und Eickhoff 2011), dass im Sitzen die Tendenz besteht, den Lendenwirbelsäulenbereich beim Spielen bewegungslos zu halten, während im Stehen eine durchlässige Bewegung entlang der gesamten Wirbelsäule zu sehen war. Auch die Position am Notenpult spielte eine Rolle. Links am Pult sitzend waren bei Geigern Brustkyphose und Halslordose weniger stark ausgeprägt als rechts am Pult sitzend. Insgesamt zeigte sich links am Pult ein freieres Spielverhalten mit größeren Bewegungen in Hals- und Brustwirbelsäule.

      Der Verbindung Kopf-Halswirbelsäule-Brustwirbelsäule kommt für die Aufrichtung beim Instrumentalspiel sowohl im Stehen als auch im Sitzen eine besondere Bedeutung zu.

      Die Einstellung der Lotlinie entlang der Brustwirbelsäule, Halswirbelsäule und des Kopfes ist für Musiker, insbesondere für Bläser, von entscheidender Bedeutung. Die Lotlinie zieht in der Verlängerung des Halses vor dem Ohr nach oben. Bläser sollten aus dieser Position heraus das Instrument zum Mund führen (Abb. I.31), nicht umgekehrt den Kopf nach vorn zum Instrument bewegen (Abb. I.32).

      Auf die Funktionseinheit Kopf-Halswirbelsäule-Schultergürtel wirken beim Spielen Kräfte ein, die von den Gelenken und der Muskulatur der Halswirbelsäule aufgefangen werden müssen. Wie bereits oben erklärt, ist die Halswirbelsäule aufgrund ihrer hohen Beweglichkeit dem Risiko ausgesetzt, am Übergang zur weniger beweglichen Brustwirbelsäule nach vorn abzuknicken. Verstärkt wird eine solche ungünstige Position durch eine zu stark gebeugte Brustwirbelsäule – einen »Rundrücken« – sowie das Nach-vorn-Schieben des Kopfes – »Kinn vor« (Abb. I.32). Da in dieser Fehlhaltung die tiefe Muskulatur der Halswirbelsäule nicht optimal arbeiten kann, springen zur Stabilisierung die oberflächlichen Muskeln des Schultergürtels ein. Unter diesen ist hauptsächlich der absteigende Anteil des Trapezmuskels (Abb. I.33) betroffen. Eine erhöhte, länger andauernde Anspannung kann zu den bei Musikern häufigen Schulter-Nacken-Verspannungen und in der Folge zu Spannungskopfschmerzen führen.

      Abb. I.31: Trompeter in physiologischer Kopf-Hals-Verbindung: »Instrument kommt zum Spieler«

      Nicht nur Bläser, auch Tiefe Streicher können durch den großen Abstand zum Notenständer leicht mit dem Kopf zu weit nach vorn geraten. Bei ihnen ist neben der Wahrnehmung für die richtige Stellung des Kopfes in der Lotlinie ein gutes Sehen wichtig (vgl. Kap. I.5, Abb. I.34). Bei Tiefen Streichern verführen Lagenwechsel, bei denen die Greifhand eine große Distanz auf dem Griffbrett zu überwinden hat und der Spieler die Position auf dem Griffbrett optisch kontrollieren möchte, dazu, einen Rundrücken zu bilden oder die Schultern nach vorn zu ziehen (Abb. I.35a). Diese Haltung kurzfristig einzunehmen ist unproblematisch, allerdings sollte beim Wechsel in die tiefere Lage eine Rückkehr in die optimale Sitzhaltung erfolgen (Abb. I.35b). Das Risiko liegt auch hier darin, unnötigerweise in unphysiologischen Mustern zu verharren.

      Abb. I.32: Trompeter in nach vorn abweichender Kopf-Hals-Verbindung: »Spieler kommt zum Instrument«

      Abb. I.33: Der Trapezmuskel von hinten mit seinen drei Anteilen

      Abb. I.34: Cellistin mit Abweichung der Kopfstellung aus der Lotlinie beim Lesen der Noten

       Frontalebene

      Für die Orientierung in der Frontalebene ist eine gute Körperwahrnehmung hinsichtlich der Einstellung des Beckens und Oberkörpers sowie der Gewichtsverteilung über den Fußsohlen und Hüftgelenken wichtig. Instrumentallehrer können bei ihren Schülern aus der Perspektive von vorn beobachten, ob die Belastung flexibel zwischen beiden Füßen liegt und ob eine Balance aus der Mitte heraus erfolgt.

      Abb. I.35a und b: Sitzhaltung beim Lagenwechsel auf dem Cello: a) Rundrücken, b) physiologische Aufrichtung

      Abb. I.36: Position der Sitzbeinhöcker und des Beckens von hinten im Sitzen

      Abb. I.37: Hüftbreiter Stand als Ausgangsposition (Frontalebene)

      Bei einem hüftbreiten Stand – wie er Musikern wegen der optimalen Flexibilität in der Gewichtsverteilung unbedingt zu empfehlen ist – entspricht der Abstand zwischen den Füßen dem Abstand zwischen den beiden Punkten etwa in der Mitte der Leiste und ist damit enger, als meistens angenommen wird. Dies kann anhand der Abb. I.37 nachvollzogen werden. Hier ist zu sehen, dass die Hüftgelenke näher Richtung Körpermitte, d. h. in der Tiefe der Leiste, liegen und nicht zu verwechseln sind mit den großen Rollhügeln (Trochanter major) der Oberschenkelknochen, welche seitlich an den Beinen am Übergang zum Becken gut zu tasten sind. Im Sitzen wird das Gewicht des Oberkörpers über die beiden Sitzhöcker an die Sitzfläche des Stuhls abgegeben (Abb. I.36).

      In Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe bei Violinisten (Spahn et al. 2014; Wasmer und Eickhoff 2011) zeigte sich, dass sich die Gewichtsverteilung beim Geigenspiel im Sitzen und Stehen systematisch unterscheidet. Während im Stehen das Körpergewicht auf dem rechten und linken Fuß gleichmäßig verteilt war, fand im Sitzen eine systematische und signifikant stärkere Verlagerung auf den linken Sitzbeinhöcker statt. Auch in Abhängigkeit von der Position zum Notenpult waren systematische Unterschiede in der Gewichtsverteilung festzustellen. Beim Sitzen rechts am Notenpult war das Gewicht stark auf den rechten Sitzbeinhöcker verlagert, während links am Notenpult eine wesentlich ausgeglichenere Gewichtsverteilung vorherrschte.

      Beim Klavierspiel stellt die Gewichtsverlagerung nach rechts und links eine Anforderung dar, um alle Tasten im Diskant und Bass erreichen zu können. Da die Tastatur gerade ist, muss die »fehlende« Krümmung durch gleichzeitige Rotation