Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

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Название Musikergesundheit in der Praxis
Автор произведения Claudia Spahn
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783894878191



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des Kniegelenks. Einseitiges Kippen auf die Außen- oder Innenseite des Fußes belastet das Kniegelenk. Die Knie sollten im Stehen nicht »durchgedrückt« sein. Dies gilt generell, jedoch insbesondere für Musiker, die im Stehen musizieren. Die Kniegelenke sind ausreichend locker, wenn das Knie auf einer gedachten Linie vom Hüftgelenk bis zur Mitte des Sprunggelenks liegt (Abb. I.23b). Ist das Knie hinter dieser Linie positioniert, ist es zu sehr gestreckt. Auf eine ausführliche Darstellung der Anatomie der unteren Extremität wird an dieser Stelle verzichtet.2

Blickrichtung auf den Musiker Ebene Bewegung Achse
von der Seite Sagittalebene beugen und strecken Horizontalachse
von vorn oder von hinten Frontalebene zur Seite vom Körper wegführen und heranziehen Sagittalachse
von oben Horizontalebene nach innen und nach außen drehen Vertikalachse

      Tab. I.1: Blickrichtungen, Ebenen und Achsen zur Beobachtung von Spielposition und Spielbewegungen

      Stehen und Sitzen

      Eine optimale Aufrichtung im Stehen und Sitzen mit einer ausgewogenen Gewichtsverteilung zwischen beiden Füßen bzw. Sitzbeinhöckern stellt die entscheidende Ausgangsbasis für alle Bewegungsabläufe beim Musizieren dar.

      Stehen und Sitzen sind die Grundpositionen, in denen musiziert wird. Hierbei ist zusätzlich von Bedeutung, ob das Instrument vom Spieler gehalten werden muss, welches Gewicht es hat und in welcher Orientierung und Entfernung es zum Körper gespielt wird. Wie bereits oben beschrieben (Abb. I.12 und I.13), sind Spielpositionen und Spielbewegungen in der Regel so komplex, dass sie in mehreren Achsen und Ebenen betrachtet werden müssen. Allerdings kann hierbei leicht der Überblick verloren gehen. Im Folgenden werden deshalb zur besseren Orientierung das Stehen und Sitzen nacheinander in der Sagittalebene, der Frontalebene und der Horizontalebene hinsichtlich wichtiger Prinzipien für das Instrumentalspiel beschrieben. Die Zuordnung der Blickrichtungen, Ebenen, Bewegungen und Achsen verdeutlicht Tab. I.1.

      Abb. I.23a und b: a) Klarinettist in idealer Aufrichtung in der Sagittalebene, b) anatomische Darstellung

       Sagittalebene

      Die ideale Position im Stehen ist bei Betrachtung von der Seite an der Lotlinie abzulesen (Abb. I.23a und b). Die Lotlinie zieht vor dem Ohr vorbei durch die Mitte des Schultergelenks, die Mitte des Hüftgelenks, das Kniegelenk und die Mitte des Sprunggelenks. Das Körpergewicht ist in der Mitte des Fußes über dem Längsgewölbe spürbar. In dieser idealen Aufrichtung bleiben die natürlichen Krümmungswinkel der Wirbelsäule erhalten und die Knochen befinden sich so nah an der Mittelachse, wie es die Struktur erlaubt. Die Schwerkraft wirkt auf den Körper so ein, dass die größtmögliche Balance erreicht wird und keine unnötige muskuläre Arbeit geleistet werden muss. Diese Art der Aufrichtung im Stehen und im Sitzen schafft ideale Voraussetzungen für freie und kraftvolle Bewegungen der oberen Extremität, so wie sie beim Musizieren benötigt werden.

      Abb. I.24a und b: a) Klarinettist mit gestreckten Knien, Hohlkreuz und angedeutetem Rundrücken in der Sagittalebene, b) anatomische Darstellung

      Kurzfristige Abweichungen von der idealen Aufrichtung sind unter gesundheitlichen Gesichtspunkten unbedenklich, da es sich tatsächlich um ein Ideal handelt, das nicht in jedem Augenblick erreichbar ist. Hiervon abgesehen kann es jedoch auch zu permanenten abweichenden Haltungsmustern kommen, die ungünstige Ausgangsbedingungen für das Musizieren darstellen. Eines dieser Muster ist die Kombination einer starken Hohlkreuzbildung in der Lendenwirbelsäule mit einer starken kyphotischen Krümmung der Brustwirbelsäule (Abb. I.24a und b). In der Folge verschieben sich Halswirbelsäule und Kopf nach vorn und geraten außerhalb der Lotlinie. Diese Kopf-Hals-Verbindung ist ungünstig für Sänger und Bläser, da sie sich auf Ebene des Kehlkopfs und der Atmung störend auswirkt (s. u.). Ein häufiger Auslöser für diese Fehlstellung ist das Durchdrücken der Knie. Hierdurch kippt das Becken nach vorn und die Lendenwirbelsäulenlordose verstärkt sich. Ein dynamischer, flexibler Stand ist dann nicht mehr möglich, ökonomische Bewegungen werden weitgehend verhindert.

      Abb. I.25a und b: a) Klarinettist mit stark gebeugten Knien, nach hinten gekipptem Becken und flachem Rücken in der Sagittalebene, b) anatomische Darstellung

      Versucht nun ein Musiker diese Position zu korrigieren, so kann es zu einer Überkorrektur kommen. Hierbei werden die Knie im Stehen besonders stark gebeugt und das Becken nach hinten gekippt (Abb. I.25a und b).

      Eine weitere verbreitete Haltungsvariante – insbesondere unter jugendlichen Instrumentalschülern – besteht außerdem im Vorschieben des Beckens und Rundmachen der Brustwirbelsäule, wobei hier die Lotlinie ganz aus der Körpermitte nach hinten verlagert ist.

      Abb. I.26a und b: Halten des Instruments bei einem Trompeter (a) und einem Posaunisten (b)

      Beim Instrumentalspiel im Stehen müssen im Zusammenhang mit der Aufrichtung auch die Hebelkräfte berücksichtigt werden, die bei manchen Instrumenten durch das Halten des Instrumentengewichts und durch die Spielbewegungen auf den Körper einwirken. Diese Kräfte werden umso größer, je weiter entfernt vom Körper der Instrumentalist agiert. Je nach Instrument kann dies sehr unterschiedlich sein, wie der Vergleich eines Trompeters und eines Posaunisten (Abb. I.26a und b) zeigt.

      Wie bei einem Kran muss das Gegengewicht umso stärker sein, je länger der Hebel des Auslegers ist. Somit hat ein Posaunist grundsätzlich mehr muskuläre Arbeit zu leisten als ein Trompeter oder Klarinettist, deren Instrumente näher am Körper gehalten und gespielt werden. Je mehr muskuläre Arbeit zu leisten ist, desto wichtiger ist es, dass die Körperwahrnehmung und die Balance- und Stabilisationsfähigkeit der tiefen Rückenmuskeln (s. o.) ausreichend gut entwickelt sind. Ist dies nicht der Fall, kann es zu Ausweichbewegungen kommen. Die häufigste Art der Kompensation besteht darin, dem vorn wirkenden Hebel des Instruments hinten ein Gewicht entgegenzusetzen, indem das Becken in der Horizontalen nach vorn geschoben wird und gleichzeitig der obere Rücken nach hinten ausweicht (Abb. I.27). Die Auswirkungen dieser Spielposition bestehen in einer erhöhten Kompression der Facettengelenke und der Bandscheiben der Wirbelsäule. Weiterhin sind durch die Rücklage des Oberkörpers die Bauchmuskeln und der Lendendarmbeinmuskel (M. iliopsoas) in ständiger Anspannung, während die Rückenmuskulatur an Spannkraft verliert. Hierdurch sind die Atembewegungen behindert und es können sich zusätzlich längerfristig Rückenbeschwerden entwickeln. Dieses Beispiel zeigt anschaulich, zu welchen Druck- und Spannungszuständen in Gelenken, Bandscheiben und Muskeln eine vermeintlich geringfügige Kompensationshaltung führen kann.

      Abb. I.27: Ausweichen nach hinten als Gegengewicht zum Posaunenzug

      Auch beim Sitzen mit Instrument hängt die Aufrichtung der Wirbelsäule wesentlich von der Positionierung des Beckens mit den Sitzbeinhöckern ab. Die Wirbel der Wirbelsäule verlaufen aus der Beckenposition nach oben bis zum Kopf wie eine aufgereihte Perlenkette. Befindet sich das Becken in Neutralposition, d. h., sitzt der Spieler auf den Sitzbeinhöckern, so nehmen Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule ihre physiologischen Krümmungen ein. Dies stellt die ideale Sitzposition beim Spielen dar (Abb. I.28). Ist das