Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman. Peik Volmer

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Название Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman
Автор произведения Peik Volmer
Жанр Языкознание
Серия Dr. Sonntag
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740972318



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schritt von seinem Platz zum Schultor. Er durfte keinesfalls auf die Linien zwischen den Gehwegplatten treten, immer nur mitten auf die Platte. Würde sein Fuß die Linie treffen, würde wieder etwas Dummes passieren, wie diese Sache beim E-Springen. So blöd, wirklich! Dabei hatte er alle Hindernisse wunderbar und sicher bewältigt. Meist handelte es sich ja auch nur um Oxer und Ricks. Aber im letzten Bereich war das Gelände des Parcours abschüssig gewesen, und er hatte den richtigen Punkt fürs Abspringen verpasst.

      Was hatte Philipp gesagt? ›Dann schaffst du es eben beim nächsten Mal! Hauptsache, dass du dir kein Loch in den Kopf geschlagen hast!‹ Und Chris war ohnehin der Auffassung, das Pferde heimtückische Kreaturen wären, die ihm nach dem Leben trachteten. Ihn selbst allerdings wurmte es, auch wenn Philipp immer sagte, dass die Schultern eines Kindes nicht dazu bestimmt wären, die Erwartungen ihrer Eltern zu tragen.

      »Hallo, Hannes! Wartest du auf meine Tochter?«

      Er drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme zu ihm sprach.

      »Ja, Herr Dr. Cortinarius«, bestätigte er. »Der Kursus muss schon lange vorbei sein!«, ergänzte er.

      »Komisch«, wunderte sich Kilian. »Gibt es hier noch einen anderen Ausgang, sodass wir Feli vielleicht verpasst haben?«

      »Aus dem Haus selbst ja. Aber das ist die Tür zur Sporthalle und zum Keller. Und dann noch der Notausgang aus dem Neubau. Aber die führen alle auf den Schulhof. Der Weg hinaus geht nur über dieses Tor. Das hintere Tor zum Sportplatz ist immer zugesperrt!«

      »Weißt du, Hannes, in welchem Raum der Kursus stattfindet?«

      Hannes ging voraus, der Oberarzt folgte ihm.

      »Hier. Raum 2.«

      Sie inspizierten nicht nur diesen, sondern auch die anderen Kursusräume. Alle waren leer. Vom Lehrerparkplatz her dröhnte ein Geräusch. Jemand startete den Motor seines Wagens.

      »Vielleicht der Kursusleiter?«, mutmaßte Hannes.

      Beide rannten den Gang hinunter, aber als sie durch die Tür ins Freie stürmten, sahen sie gerade noch die Rücklichter des roten Toyota. Kilian rannte ein paar Schritte und rief »Halt!, Moment, bitte!« – Der Fahrer schien dies jedoch nicht zu bemerken.

      »Wo ist Felicitas?«, fragte Hannes bestürzt.

      Kilian wühlte hektisch in seiner Hosentasche und zog sein Mobiltelefon heraus. Auf Stirn und Oberlippe standen Schweißtropfen. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe verschwunden.

      »Ist Feli bei dir? Nein? Weißt du, ob sie nach dem Kursus noch irgendwo hin wollte? – Nein, hier ist sie nicht. Hannes, der Sohn vom Kollegen Angerer, hat offenbar schon länger auf sie gewartet! – Hab ich gemacht! Alle Räume sind leer, und den Kursusleiter habe ich verpasst, der kutschierte gerade von dannen! – So, ich fahre mit Hannes einige von den Punkten ab, an denen sie sich für gewöhnlich aufhält. Und wenn sie da nicht ist, gehe ich zur Polizei!«

      *

      »Egidius? Hier spricht deine Mutter! Hast du einen Moment Zeit für mich?«

      »Theres! Naja, es muss aber wirklich schnell gehen, der nächste Patient liegt schon auf, und die Narkose ist eingeleitet! Was gibt’s denn?«

      »Nein, wenn du in Eile bist, möchte ich dich nicht aufhalten. Wir können später sprechen, wenn du mehr Ruhe hast!«

      »Wenn es dir nichts ausmacht, wäre mir das wirklich lieber! Ich bin sicher ab 18 Uhr zu Hause!«

      *

      Der Klang ihrer Stimme hätte ihn misstrauisch machen müssen. Auch die Tatsache, dass sie ihn in der Klinik anrief, was er hasste. Er aber hatte gerade nur einen Kopf für den Patienten, der sich ihm anvertraut hatte, und dessen ramponiertes Hüftgelenk, das dringend ausgetauscht werden musste – und so sollte es ja auch sein.

      Theres, nachdem sie aufgelegt hatte, blieb noch eine ganze Weile in ihrem Lieblingssessel. Von diesem Platz aus konnte sie den Wallberg, den Tegernseer Hausberg sozusagen, innerhalb eines lieblichen Voralpenpanoramas sehen. Und auch den Fernseher. Diesen zwar aus leicht schräger Perspektive, aber für ihre politischen Magazine und für Konzert- und Opernübertragungen reichte es allemal. Sie betrachtete die Bewegung der Tannenzweige im Wind. Wunderschön, die glänzenden Blätter der Rotbuche. Bald würden ihre kahlen Zweige wieder schneebedeckt sein. Ein prächtig-buntes Schmetterlingspaar schickte sich an, für Nachwuchs zu sorgen. Und Wespen flogen herum, kurz aufleuchtend, wenn sie die Strahlen der Sonne passierten. Ob hier irgendwo ein Nest war?

      Plötzlich verzog sie das Gesicht, und krümmte sich. Gott sei Dank hatte der Arzt ihr ein Schmerzmittel verschrieben. Gewissenhaft zählte sie die ihr zugestandenen 30 Tropfen ab. Die gelbliche Flüssigkeit schmeckte bitter. Wie lange dauerte es, bis die Krämpfe nachließen?

      *

      Tassilo war bester Laune, als er die kleine Wohnung betrat, die Maria und er angemietet hatten. Zugegeben war Hausham nicht die edelste Gegend, aber die Wohnung war bezahlbar, die Nachbarn waren nett, man hatte einen noch unverdauten Ausblick, und es gab einen Fahrstuhl, was sehr praktisch ist, wenn man in eine Dachgeschosswohnung zieht. Als Tüpfelchen auf dem i verfügte die Wohnung über einen winzigen Balkon, der Platz für zwei Stühle und einen Tisch bot. Die Aussicht, hier sommers gemeinsam zu frühstücken oder die abendliche Brotzeit einzunehmen, hatte den Ausschlag gegeben.

      Tassilo Resch, seines Zeichens für die ordentliche Ausleuchtung bei Film- und Fernsehproduktionen zuständig, strahlte wie eine seiner Jupiterlampen. »Du glaubst es nicht, aber – wir fahren in den Urlaub!«

      »Moment, Moment!«, dämpfte die Stationsschwester der Chirurgie seine Begeisterung. »Du willst mir doch nicht sagen, dass du etwas gebucht hast, ohne zu wissen, ob das mit meinem Diensten bestimmt werden kann!«

      »Beruhige dich, mein Schatz! Es kostet uns ja keinen Cent! Trotzdem wäre es gut, wenn du in etwas mehr als vier Wochen vierzehn Tage Urlaub machen könntest!«

      »Und wieso kostet das nichts?«

      »Weil ich als Beleuchter auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten werde!«

      »So eine ›Traumschiff‹-Serie?«

      »Nein, das ist keine Serie, sondern ein Spielfilm, der zu zwei Dritteln auf so einem Schiff spielt!«

      »Tassilo, du weißt aber schon, wie schlimm das für die Umwelt ist, oder?«

      »Ich weiß. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass wir auf dem einzigen Schiff drehen, das ohne Schweröl fährt. Das ist zwar auch nicht ›sauber‹ im wahrsten Sinne des Wortes, aber immerhin ein Anfang!«

      Maria setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den PC ein. Sie konnte sich mühelos mit dem PC auf der Station verbinden, auf dem die Dienstpläne erstellt wurden.

      »Naja … wenn Katja wieder gesund ist, könnte sie mit Cilly die Schicht tauschen. Und ich kann dann das Wochenende vorher arbeiten, und wenn Waltraud mir für drei Tage jemanden von der Privatstation leiht, könnte es gehen!«

      Sie öffnete die Homepage der Reederei, fand das Schiff und scrollte sich durch die Attraktionen und Angebote.

      »Tassilo – das geht nicht. Ich kann da unmöglich mitfahren. Schau dir das an: Allein das Käpt’ns Dinner! Ich habe dafür überhaupt nichts anzuziehen, und du auch nicht. Hier, bitte! Schau dir das Foto an! Siehst du, was die für schicke Frisuren haben? Und erst die Garderobe! Das sind doch alles Designer-Fummel, oder? Und die Herren, in ihren eleganten Anzügen! Hier, die beiden tragen sogar Smokings mit Dinner-Jackets!«

      »Maria, an diesen Luxus-Veranstaltungen müssen wir ja nicht teilnehmen! Wir essen einfach in einem der einfachen Restaurants. Hier, siehst du? Die haben auch ein Steakhouse.«

      »Was? Du schleppst mich auf so ein Ding, und dann wird mir nur das Programm für Arme geboten? Und was machen wir, wenn alle anderen die Show besuchen? Stehen wir dann im Maschinenraum und schaufeln Kohlen?«

      »Du hast entschieden zu oft ›Titanic‹ geguckt, Maria!«, lachte Tassilo. »Und während der