Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman. Peik Volmer

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Название Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman
Автор произведения Peik Volmer
Жанр Языкознание
Серия Dr. Sonntag
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740972318



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und Verschwägerten überhaupt keinen Kopf! – Was gibt es denn Schönes?«

      Egidius hatte sich an sein Versprechen gehalten. Allerdings hatte er zunächst zu Abend gegessen und sich dann mit einem Glas Wein in seine Ecke zurückgezogen, währen Corinna, Lukas und Max aufräumten.

      »Wenn du den Begriff ›Schönes‹ umfassend definierst, könntest du recht haben, Egidius. Ahrens glaubt, dass ich Magenkrebs habe.«

      Egidius verschlug es für einen Moment die Sprache.

      »Theres! Was sagst du da?«

      »Reg dich nicht auf. Ich habe keine Angst. Ich finde nur diese Schmerzen und Krämpfe lästig.«

      »Schmerzen und Krämpfe? Seit wann hast du Schmerzen und Krämpfe?«

      »Seit gut vier Monaten. Tendenz zunehmend!«

      »Und warum sagst du nichts? Ich bin Arzt!«

      »Ich weiß, mein Junge. Ich dachte, dass es von selbst vorüber geht. Und ich wollte dir nicht noch zusätzlich Sorgen bereiten!«

      »So ein Blödsinn! Wenn wirklich was ist, haben wir wertvolle Zeit verstreichen lassen! Hat schon jemand in dich hineingesehen und eine Probe entnommen?«

      »Siehst du? Deswegen rief ich dich an. Ich würde damit ungern zu irgendjemand anderem gehen als dir.«

      »Du weißt, dass Ärzte niemals Verwandte behandeln sollten, oder?«

      »Stell’ dich nicht so an, Egidius. Mein Magen sieht auch nicht anders aus als der von anderen Menschen!«

      »Ich kenne den Plan nicht, aber bleib bitte ab sofort nüchtern. Nur Wasser trinken!«

      »Was ist mit meinen Tabletten?«

      »Die nimmst du bitte. Du kannst auch etwas Brühe zu dir nehmen, nur bitte ohne Einlage. Frau Fürstenrieder ruft dich morgen um acht Uhr an und sagt dir, wann du in der Klinik sein sollst. Corinna holt dich mit dem Wagen ab!«

      »Bitte, Egidius, mach nicht so viel Aufhebens um mich! Siehst du? Deswegen wollte ich erst gar nichts erzählen!«

      »Ab Mitternacht nüchtern, hörst du?«

      *

      »Was ist den los, Egidius?«, fragte Corinna. »War das Theres? Du bist ja leichenblass! Ist was Schlimmes passiert?«

      »Theres’ Hausarzt denkt, dass sie irgendetwas Bösartiges im Magen hat«, verkündete er mit Grabesstimme.

      »Was ist mit Oma?«, wollte Lukas wissen.

      »Deine Großmutter scheint ziemlich krank zu sein, Lukas«, antwortete Corinna.

      »Krass!« Lukas sah erschrocken aus. »Was ist denn?«

      »Ganz genau wusste sie es nicht. Irgendwas mit dem Magen.«

      Er drehte sich zu Corinna und grimassierte. Sie verstand.

      »Du kümmerst dich, oder?«, fragte sie ihren Gatten.

      »Ja, natürlich«, sagte dieser. »Morgen spiegeln wir erstmal. Und entnehmen ein paar Gewebeproben …«

      *

      »PE-Zange, bitte, Marion!«, kommandierte Egidius leise. Er knabberte ein Stück aus dem Tumor, der den Magen seiner Mutter gut zur Hälfte ausfüllte.

      »So, die Probe bitte mit dem Vermerk ›Dringend‹ umgehend in die Pathologie, wenn ich bitten dürfte!«

      »Selbstverständlich, Herr Professor. – Darf ich fragen …?«

      »Nein, Marion. Bitte seien Sie mir nicht böse, aber … Ich habe mir diese Frage selten gestellt und noch nie beantwortet. Ich kann gerade nicht darüber reden!«

      »Ihre Mutter wird fragen, wenn sie aufwacht!«

      »Lügen Sie. Sagen Sie ihr, dass ich mich nicht geäußert hätte. Und dass ich zu einem dringenden Fall gerufen wurde.«

      »Herr Professor!«

      »Herr Professor, Herr Professor!«, imitierte er den Tonfall der OP-Schwester. »Was – Herr Professor? Haben Sie noch nie einen Sohn gesehen, der seiner Mutter sagen muss, dass ihre Tage gezählt sind?« Egidius klang ungeduldig und verzweifelt. So hatte sie ihn noch nie erlebt.

      »Ich meine ja nur. Ich kann mich nicht erinnern, dass in diesem Haus jemals ein Patient belogen wurde. Schon gar nicht, seit Sie hier der Chef sind.«

      »Stimmt auffallend, Schwester Marion. Ich hasse es, wenn man Patienten über ihren Zustand im Unklaren lässt. Vielleicht wollen sie noch Gespräche führen. Dinge erledigen. Sich aufgeschobene Wünsche erfüllen. Einen Streit beenden. Oder jemandem sagen, dass man ihn lieb hat.«

      »Genau, Herr Professor. Das ist doch Ihr Credo. Warum …«

      »Jedem Patienten würde ich die Wahrheit sagen. Aber der Mensch, der da hinter uns auf dem Tisch liegt, ist meine Mutter. Ich muss erstmal innerlich Anlauf nehmen.«

      Er lachte bitter auf. »Wir wissen so viel, wir können so viel. Wir erforschen das Wunder des Lebens bis zur letzten Aminosäure herunter. Wir haben so viele Rätsel gelöst, so viel Fragen beantwortet. Das hängt damit zusammen, dass wir ein Leben lang lernen. Wir sind auf alles vorbereitet.«

      Er machte eine kleine Pause, in der er tief ein und ausatmete.

      »Ja, und dann liegt plötzlich ein Mensch vor dir, den du liebst. Dieser Mensch sieht dir ins Gesicht, und fragt dich, ›Junge, sag mir: Was ist mit mir?‹ Kannst du dann sagen, ›Mama, dein Leben geht zu Ende‹?«

      Er senkte den Kopf.

      »Die Währung des Lebens ist die Zeit. Irgendwann haben wir eben alles ausgegeben. Meine Mutter bewegt sich schon im Dispo. Und ihr Sohn ist ein Feigling.«

      Er wandte sich zur Flucht.

      »Danke, dass Sie mir zugehört haben, Marion. Sie sind nicht nur die beste OP-Schwester. – Frau Pahlhaus? Herzlichen Dank!«

      Die Narkoseärztin winkte zurück.

      »Alles stabil mit der Dame! Sie schnauft prima!«

      *

      »Pastötter hier … Frau Cortinarius?«

      »Kühn. Herr Kommissar, haben sie Fee gefunden?«

      »Ja, Frau Kühn. Wir haben ihre Tochter. Es geht ihr gut, machen Sie sich keine Sorgen!«

      Es hatte sich um ein Eifersuchtsdrama gehandelt. Einer von Felicitas’ Klassenkameraden war offenbar unsterblich verliebt in sie. Er hatte sie vor dem Kursus abgefangen und unter einem Vorwand in den Keller gelockt. Dort hatte er ihr seine Zuneigung gestanden, sie jedoch blieb ungebeugt. Da hatte er sie gepackt und in den Heizungsraum geschubst, der von einer schweren Metalltür verschlossen wurde. Diese war zugefallen und hatte sich verklemmt. Der Knabe, getrieben von schlechtem Gewissen, war zunächst weggerannt, statt Hilfe zu holen. Dann aber hatte ihn offenbar das Gewissen geplagt. Gemeinsam mit dem Hausmeister der Lehranstalt befreite er das Kind.

      »Natürlich steht sie noch unter Schock, Frau Kühn. Drei Stunden in einem fensterlosen Raum? Man kann sich vorstellen, dass das nicht spurlos an einem so jungen Menschen vorübergeht, oder? Ich habe dafür gesorgt, dass sie zunächst einmal in die Klinik St. Bernhard kommt!«

      »Wir fahren sofort dorthin. Herzlichen Dank, Herr Kommissar!«

      *

      Professor Tauber kümmerte sich persönlich um seine kleine Patientin.

      »Erstaunlich, wie erwachsen sie mit dem Trauma umgeht, liebe Frau Cortinarius, lieber Herr Kollege!«, sagte er.

      »Kühn. Ich heiße Kühn«, sagte Ricarda. »Aber Sie denken doch auch, dass sie unbedingt noch einige Stunden lang zu einem Kinderpsychologen gehen sollte, oder?«

      »Ja, auf jeden Fall. Stellen Sie sie doch bitte bei Frau Hauptmann in der Schlierseer Straße vor. Eine erfahrene, kompetente Psychotherapeutin.