Bea, beate und Be. Hans-Caspar von Zobeltitz

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Название Bea, beate und Be
Автор произведения Hans-Caspar von Zobeltitz
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711488522



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nicht immer leicht mit ihm sein und seinen Gedanken von Liebe und Ehe. Die erschwerten alles. Eben weil er es so verdammt ehrlich meinte. Aber ihr Herz schlug doch nie einen Takt schneller, wenn er kam, wenn er da war. Gut Freund — gewiss, aber mehr — nein. Schneller hatte das Herz geschlagen, als sie damals vor Schellbergs Haus gestanden hatte; aber das war nun schon lange her — fast zwei Jahre. Wie die Zeit davonlief. Schellberg und Sophus — so grundverschieden waren sie: der eine eben ein Mann, der andere ein guter Kamerad. Ein Kuss von Sophus war fast wie ein Kuss von Detta, nur dass er ein bisschen mehr schmeichelte, mehr streichelte, weil die Bewunderung, die Verehrung gut tat, die in ihm lag — die Liebe. Vielleicht muss ich dem Sophus noch einmal sehr weh tun, dachte sie.

      In diesen Tagen trat ein dritter Mann in Bes Leben.

      Sie sass eines Nachmittags rittlings auf dem Sprungbrett vor dem Hotel Seegarten. Die Frühlingssonne schien sommerlich warm, und die Wasserfläche lag einsam da. Die Gäste hielten Mittagsruhe, ihnen war es schon wieder zu heiss, sie mussten sich von den Anstrengungen des morgendlichen Spazierganges und des Essens erholen. Auch Beate.

      Be war in dieser ersten Woche viel geschwommen, sie war — sehr zum Ärger Beates, die so etwas unweiblich fand — schon indianerbraun gebrannt, selbst an Stellen, die jetzt das knappe Badetrikot bedeckte, denn sie hatte Tag für Tag früh, ehe die anderen Hotelgäste erwachten, auf dem Trockenbalkon des Hauses oben auf dem Dach unbeobachtete Sonnenbäder genommen und ihre Turnübungen gemacht.

      An einen Brief von Sophus, der heute auf ihrem Frühstückstisch gelegen, dachte sie jetzt. Sophus schrieb: er habe wichtige Neuigkeiten, die er unbedingt mit ihr besprechen müsse; es böte sich Gelegenheit, vorteilhaft einen Laden in bester Gegend zu übernehmen, er wolle nach Lugano kommen, wenn sie ihren Aufenthalt nicht abbrechen könne oder wolle. Eine recht sophussche Dummheit: nach hierher reisen, wo er nie wusste, wie er mit dem Gelde auskommen sollte, einen Laden mieten, ehe sie beide ausgelernt hatten. Sie würde ihm abdrahten, er sollte zu Hause bleiben. Sophus! — er sollte sie jetzt in ihrer Ruhe nicht stören.

      Sie fühlte sich auf ihrem Brett nicht mehr wohl. Die Gedanken waren nicht angenehm. Die schlanken Beine zog sie an und richtete sich schnell auf. Die Arme hob sie über den Kopf und federte in den Knien. Mit einem Kopfsprung schnellte sie sich ins Wasser. Als sie auftauchte, hörte sie eine Stimme vom Ufer her „Bravo“ rufen, sie drehte sich auf den Rücken und erkannte: es ist Herr Garlier aus Luzern, der auch im Hotel wohnt. Sie lachte und winkte ihm harmlos zu, obgleich er sich Beate und ihr noch nicht vorgestellt hatte; sie freute sich der Anerkennung, denn sie wusste, der Kopfsprung war ihr tadellos gelungen: Arme und Beine gestreckt und das Kreuz leicht durchgebogen — ganz flach war sie ins Wasser gekommen. — Sie wendete und schwamm mit ruhigen Stössen in den See hinaus. Als sie das kleine Floss, das etwa fünfzig Meter vom Ufer verankert war, erreicht hatte, stemmte sie sich auf die Balken. Es ging leicht, das Wasser hob sie, mit einem Ruck war sie oben, stand steil da und freute sich wieder der heissen Sonne, die sofort begann, ihre Haut zu trocknen. Sie blickte über die silbrigglänzende Seefläche nach dem jenseitigen Ufer, wo die bewaldeten Hänge des Monte Caprino aufstiegen, blickte südwärts nach Paradiso, dessen Häuserkette weiss leuchtete. Sie überlegte: heute nachmittag würde sie mit einem Motorboot oder Dampfer zu irgendeiner der vielen kleinen Uferwirtschaften fahren und dort Kaffee trinken. Allein. Das würde schön werden.

      Als sie sich umwandte, sah sie, dass dieser Herr Garlier noch immer auf der Terrasse stand; sie fühlte, er hatte sie beobachtet. Und plötzlich schämte sie sich ihres knappen Badetrikots. Sie sprang ins Wasser zurück: sie wollte zum Ufer und sich in ihren Bademantel hüllen, der am Ende des Sprungbrettes lag. Aber dieser Mann wich nicht vom Fleck. Ein paarmal umkreiste sie das Floss, schwamm ein Stück dem Strande zu, dann wieder zurück; sie wurde müde, ihr wurde kalt. Sie begann, sich zu ärgern. Sie rief: „So gehen Sie doch bitte endlich weg!“ Da verbeugte er sich verbindlich und wandte sich ab. Schon war auch sie an Land, hastete über den schmalen Strand, raffte ihren Bademantel auf, warf ihn um die Schultern und eilte auf ihr Zimmer. —

      Als sie zwei Stunden später zur Schiffsanlegestelle ging, hatte sie den Zwischenfall fast vergessen. Sie hatte sich wütend aufs Bett geworfen — was fiel diesem unverschämten Herrn Garlier ein? — hatte sich dann, weil sie fröstelte, die Decke über den Körper gezogen und war eingeschlafen. Im Schlaf verraucht aller Zorn schnell.

      Ihr Weg führte sie an der Post vorbei, das Telegramm an Sophus fiel ihr ein. Sie trat in den Schalterraum, liess sich ein Formular geben und schrieb: „Dein Kommen zur Zeit zwecklos. Brief folgt. Herzlichst Be.“

      Der Dampfer nach Campione, den sie eigentlich erreichen wollte, fuhr ihr vor der Nase weg. So wartete sie auf dem Steg das nächste Boot ab und fuhr nach Gandria, es war ja gleichgültig, wo sie ihren Kaffee trank; schön war es überall.

      Das Gasthaus in Gandria ist an den Uferfels geklebt, seine Terrasse ist in den See hineingebaut. Man sitzt auf Holzbrettern und hört das Wasser unter sich glucksen. Be fand einen Platz unmittelbar am Geländer. Sie bestellte sich Getränk und Gebäck und döste über die glitzernde Fläche. Sophus kam ihr wieder in den Sinn; das Telegramm würde ihn enttäuschen, sie musste ihm wirklich nett schreiben, ganz einfach würde der Brief nicht werden.

      Plötzlich hörte sie eine Stimme neben sich: „Sind Sie mir noch böse?“

      Sie wandte sich um; es war dieser Herr Garlier. „Natürlich bin ich Ihnen noch böse.“

      Er verbeugte sich leicht. „Oh, das tut mir leid.“ Dann rückte er einen Stuhl beiseite, schob sich am Tisch entlang und nahm ihr gegenüber Platz. „Sie gestatten doch“, fragte er, als er schon sass.

      „Eigentlich wollte ich allein bleiben.“

      Er schien die Worte zu überhören. „Sie dürfen den Vorfall heute nach Tisch nicht ernst nehmen“, sagte er. „Ich hatte wirklich nur rein technisches Interesse. Der Kopfsprung war tadellos.“

      „Sind Sie Sportsmann?“

      „Das nicht. Es war auch eigentlich nicht der Kopfsprung, der mich fesselte. Es war Ihre Figur ...“

      Sie fuhr auf: „Erlauben Sie ...“

      Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. „Sie müssen mich verstehen: ich bin Schneider — Damenschneider.“ Und ehe Be etwas entgegnen konnte, fuhr er fort: „Sehen Sie, deshalb muss ich mich berufsmässig mit Frauen beschäftigen. Das heisst mit der Kleidung der Frauen und ihrem Sitz. Also mit ihren Figuren. Ich kann Ihnen zum Beispiel sofort sagen, dass das Seidenjäckchen, das Sie da neben sich liegen haben, nicht aus Paris stammt, wie Ihnen der Verkäufer wahrscheinlich gesagt hat, sondern rein deutsche Ware ist, ebenso wie die kleine Kette, die Sie um den Hals tragen und von der ich annehme, dass Sie sie erst hier in Lugano erstanden haben.“

      „Richtig!“ sagte Be. Sie war plötzlich sehr aufmerksam. Genauer sah sie sich nun diesen Herrn Garlier an und stellte fest, dass er sehr gut angezogen war: weiches Seidenhemd, leicht blau getönt, hellblauer, vorsichtig rotgetupfter Flatterschlips, von einer gut auf das lichtgraue Jackett abgestimmten Farbe. Farben sah Be immer zuerst. Das Gesicht: ohne besondere Merkmale, auf der Oberlippe ein Bürstenbärtchen. Das mochte Be eigentlich nicht, Männer mussten glattrasiert sein. Alter: mindestens Dreissig, also jenseits ihrer Kameradschaftsgrenzen, fast schon in Onkelgebieten.

      Die Kellnerin war an den Tisch getreten. Er bestellte Kaffee und Kuchen.

      Dann wandte er sich wieder Be zu. „Also wir haben ein Modegeschäft.“

      „Wir?“

      „Ja — wir. Mein Vater und ich. Sie kennen Luzern? Sie kennen die grosse Hotelstrasse am See? Dort liegt es. Garlier & Fils. Wenn Sie auf Ihrer Rückreise in Luzern Station machen — ich würde mich sehr freuen.“

      Be musste an sich halten, um nicht herauszuschreien: Da sind wir ja Kollegen. Etwas in ihr warnte sie vor diesem Ausbruch. Sie dachte plötzlich ganz berechnend: wie günstig, hier einen Fachmann unverbindlich ausfragen zu können. Sie wurde plötzlich sehr liebenswürdig. „Sie sind Franzose, Herr Garlier?“

      „O nein. Nicht einmal Schweizer. Reichsdeutscher wie Sie. Und, Sie werden lachen, ich heisse eigentlich auch gar nicht Garlier.