Bea, beate und Be. Hans-Caspar von Zobeltitz

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Название Bea, beate und Be
Автор произведения Hans-Caspar von Zobeltitz
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711488522



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Name Bürgler dem Bürovorsteher bekannt war, wurde sie vorgelassen, fand einen ganz anderen Mann als den, den sie von Hochfried her im Gedächtnis hatte. Er lächelte, als sie auf seine Frage, was sie zu ihm führe, antwortete: sie hätte nur einen guten Tag sagen wollen, und sie bemerkte dieses Lächeln. Es tat ihr weh. Sie verstand wohl seine Eile: das Telephon schnarrte, die Sekretärin kam, das Wartezimmer war voller Menschen. Aber dass er so lächeln konnte! Sie klagte bitter: mir ist etwas Grosses zerstört. —

      2

      Im Oktober dieses Jahres wurde Detta Redderten aus der Oberprima in Bes Unterprima zurückversetzt, sie war fast zwanzig, erfüllt von Sportleidenschaft, ein völlig erwachsener Mensch, nicht dumm, aber schulfaul. „Ein Blödsinn, dass ich das Abitur noch machen soll, aber Vater will es nun einmal“, erklärte sie. Ihr Vater hatte eine grosse Stellung in der Akkumulatoren-Industrie, das Haus ihrer Eltern lag unweit von dem Bürglerschen. Flüchtig kannten sich Detta und Be schon, nun schlossen sie sich, beide aus ihrem Klassenkreis herausgerissen, zusammen. Detta, die einen eigenen kleinen Wagen steuerte, ihre erste Fliegerprüfung bereits bestanden hatte und als einzige Schwester in einer Reihe älterer, jetzt schon berufstätiger Brüder gewohnt war, dass ihr jeder Wunsch erfüllt wurde, gewann starken Einfluss auf Be. Als sie das erste Mal im Bürglerschen Hause war, sagte sie: „Bei euch möchte man alle Fenster aufreissen, um den Altweibermuff herauszupusten.“ Sie nahm Be mit in ihren Gymnastikunterricht, baute sich ihr gegenüber auf, schmetterte ihr den schweren Medizinball zu, dass Be beim Fangen fast umfiel. Sie kommandierte: „Mehr Kraft beim Zurückwerfen, gestreckt die Arme beim Schleudern“, und Be gehorchte. Sie nahm auch, wie Detta anordnete, Hanteln und Springseil, hetzte Freiübungen und Sprünge nach dem schnellen Jazztempo einer Grammophonplatte ab, vom Ehrgeiz gepackt, den anderen Mädeln nicht nachzustehen. Aber ehe das Turnpensum der Stunde erledigt war, sank sie doch erschöpft auf eine Matte, ihr Atem keuchte, die Muskeln zitterten und schlugen. Detta hob sie auf, schleppte sie in den Duschraum, drehte die Brausen auf. „Da siehst du, was du für ein Waschlappen bist; das dritte oder vierte Mal wird es schon besser gehen.“ Schon am gleichen Abend fühlte Be schmerzhaft alle Glieder, trotzdem sie als Tennisspielerin und Schwimmerin nicht untrainiert war, am nächsten Morgen konnte sie kaum aus dem Bett. Sie schlich zur Schule. Detta lachte: „Ein bisschen Muskelkater. Das schadet nichts. Freitag wird weitergeübt.“ In Be stieg Trotz auf, aber nicht gegen Detta, sondern gegen sich selbst, gegen ihren Körper. Sie hielt den Unterricht durch, obgleich es sie Überwindung kostete. Die Schmerzen schwanden. Sie streckte sich, verlor die jungmädchenhafte Fülle. „Das Kükenfett muss runter“, sagte Detta. — Sofort war Beate besorgt. „Du überanstrengst dich. Diese Detta ist überhaupt nicht der richtige Umgang.“ Auch Bea klagte: „Du kommst jetzt so wenig zu mir.“ Aber Detta war auf dem Plan. „Immer an Mutters Schürzenzipfel hängen, damit kämen wir vorwärts! Es ist höchste Zeit, dass ich dich ’rausreisse.“

      Durch Detta lernte Be auch Sophus Seeberg kennen. Die beiden kamen sich näher, weil sie in einem lauten Kreise, den Detta allwöchentlich einmal im Reddertenschen Hause abends zum Tanz um sich sammelte, die Leisesten waren, wenn auch nie Spielverderber. Sie tollten und sangen mit, aber sie hatten doch dann und wann den Wunsch, in einer Ecke zu sitzen und auszuruhen. Es war eine bunte Gesellschaft, die da zusammenkam: Studenten und Studentinnen, Freunde Dettas vom Flugplatz und aus ihren Sportklubs, meist Jungen und Mädel, die sich elend durchschlagen mussten und diese Freitagabende mit Bowle, Bier, Tee und reichen kalten Schüsseln als seltene und sattmachende Abwechslung genossen. Einer brachte den anderen mit, man nannte sich sofort beim Vornamen, war auf du und du. Viel nach dem Woher fragte Detta ihre Gäste nicht.

      Sophus war Schüler in der Porträtklasse der Akademie der Künste. Zweiundzwanzigjährig, ein Dickkopf und ein Kerl voll Energie. Fast um Haupteslänge grösser als Be, im schmalen Rassegesicht eine Hakennase, blauäugig, auf dem Schädel eine lichtblonde Mähne, die er eigenwillig aus der Stirn zum Genick zurückskrich. Seine Eltern hatten ein Gut in Sachsen, aber die Landwirtschaft warf nichts mehr ab, und, da er der dritte Sohn, war sein Monatswechsel klein und liess oft bis zum zehnten oder gar fünfzehnten auf sich warten. Begabt war dieser Sophus. Im väterlichen Schloss — wirklich ein Schloss mit breiter Barockfront und mächtigen Räumen — hingen im Speisesaal ein paar wundervolle Ahnenbilder, die Raisky gemalt hatte. Mit den Raiskys hatten sich die Seebergs damals gekreuzt, und so war ein Schuss Künstlerblut in die Junker hineingeraten.

      Wie die andern hungerte und plagte er sich durch seine Studienzeit. Wenn das Geld zu Ende war oder ausblieb, lief er nachts in Tanzlokale des Berliner Westens und zeichnete Männer und Frauen — für eine Mark die Skizze, die er mit ein paar Strichen schmissig auf ein Kartonblatt seines Blocks warf; einen Teil seines Verdienstes musste er noch dem Wirt abgeben. Ihn ekelte oft vor dieser Arbeit, denn es waren nicht immer feine Gesichter, die er festhalten musste, und er fühlte, dass er sein Können und seine Kunst so vertat. Er fluchte: „Wenn ich praktische Arbeit fände, ich hinge die Malerei an den Nagel.“ Sein Professor lobte ihn, doch das nützte ihm einen Dreck, wie er sagte. „Von Anerkennung ist noch kein Mensch satt geworden.“

      „Dich malen, Be“, — sie hockten an einem solchen Tanzabend bei Detta in einem Nebenzimmer beisammen, während die andern in der grossen Halle den Lautsprecher einen Slowfox brüllen liessen — „dich malen, das könnte mich reizen. Dein verrücktes Gesicht mit dem nordischen schmalen Oval und der ostisch stupsigen Nase, mit den hellen Augen und dem dunklen Haar — das wäre eine Aufgabe.“

      „Na, dann mal’ mich doch. Ich hab’ nichts dagegen.“

      So kam er ein paar Tage später mit der aufgespannten Leinwand und einer geborgten Staffelei, mit Farbtuben und Palette in die Königsmarckstrasse. Er hatte sich das Geld für das Material in ein paar Nächten zusammengeschuftet. Be lachte: „Du hast es aber eilig.“ — „Man soll eine gute Idee nie vertrödeln.“ Be dachte erst einmal weiblich: „Was soll ich anziehen?“ Er stellte sie ins Licht, betrachtete sie aufmerksam und bestimmte: „Dunkelblau, aber kein stumpfes Dunkelblau, es muss leuchten.“ — „So was hab’ ich nicht.“ — „Irgendein Fetzen, den du dir um die Schultern legen kannst, wird doch hier im Haus sein.“ Da lief Be an Beas Kasten und fand, was er wollte. „Den Malerjüngling werde ich mir nachher ansehen“, sagte Bea, der sie von Sophus berichtete, während sie sich den Schal um die Schultern ordnete.

      Oben in ihrem Zimmer hielt Sophus, als sie eintrat, eine ihrer Modepuppen, die sie immer noch mit Flicken benähte und besteckte, in der Hand. „Hast du das gemacht?“ fragte er. Sie nickte. „Ich habe noch mehr von dem Zeug. Es ist so eine Kinderei von mir.“ — „Zeig’ doch mal her.“ — Rot wurde sie, denn sie schämte sich ihrer Puppenwirtschaft, aber er nahm die Sache ernst. „Machst du dir deine Kleider auch selber?“ — „Natürlich, die Schneiderinnen können doch alle nichts.“ — „Zeichnest du dir vorher Entwürfe?“ — „Nein, zeichnen kann ich nicht. Ich muss Stoff in der Hand haben, weisst du. Ich sehe die Kleider gleich plastisch. Farben ausdenken fällt mir schwer, aber wenn ich sie nebeneinander vor mir habe, dann kann ich sie abstimmen.“ Er hatte die Staffelei zurechtgestellt, die Kohle in die Hand genommen und setzte die ersten Striche auf die Leinwand. Sie sass im vollen Licht am Fenster. „Gut hast du das Tuch umgelegt“, sagte er noch, dann wurde er still.

      Er sah sie an und sie ihn. Ihr Ausdruck wurde immer ernster, denn sie fühlte, dass er nicht einfach leicht etwas hinschluderte, sondern arbeitete. Das übertrug sich auf sie. Auf seiner Stirn erschien eine senkrechte, steile Falte, und da krauste sie auch die Stirn. Er trat zur Seite. „So geht es nicht. Du wirst mir müde. Dein Gesicht wird leer und langweilig. Aber ich kann nicht reden beim Malen, kann dich nicht unterhalten. Du müsstest etwas tun, was dich ablenkt. Zieh eine von deinen Puppen an, das wäre das beste.“ Sie hatte einen Vorrat von Stoffresten da, holte sich Nadeln und Schere, stellte einen Tisch neben sich. So fasste er sie neu, halb im Profil mit gesenktem Kopf.

      Als es zu dunkeln begann und er aufhören wollte, kam Bea. Er, von Hause sehr wohlerzogen, sehr gewandt, küsste ihr die Hand. Sie sah ihn prüfend an, warf auch einen Blick auf die Leinwand, nickte, ohne zu urteilen, fragte ihn dann nach seiner Familie. Sie wusste unter den Seebergs Bescheid. Hier war er ablehnend. „Was soll ich mit dem Adel?“ sagte er, „als Sophus von Seeberg hungert’s sich nur schwerer.“ — „Immer langsam“, erwiderte