Bea, beate und Be. Hans-Caspar von Zobeltitz

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Название Bea, beate und Be
Автор произведения Hans-Caspar von Zobeltitz
Жанр Книги для детей: прочее
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Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711488522



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Geschmack, zu meinem und zu deinem. Aber Mode? Es ist so etwas Äusserliches, eigentlich Unnötiges. Und darauf soll ich mein Leben stellen?“

      Er lächelte. „Du triefst ja plötzlich von moralischen Bedenken, Be. Das war sonst nicht deine Art. Worum handelt es sich denn bei uns? Boden unter die Füsse zu bekommen, Geld zu verdienen, Arbeit zu haben. Und zwar eine Arbeit, die unseren Anlagen entspricht. Bei mir ist das vielleicht noch wichtiger als bei dir, denn ich bin auf Verdienst angewiesen. Du noch nicht. Ich betone das ‚noch‘, denn wie lange es noch Zinsen von Wertpapieren gibt und Pensionen, das kann heute kein Mensch mit Sicherheit sagen. Und selbst wenn deine Mutter in der Lage bleibt, dich durchzufuttern, würde dir das genügen? Die Zeit ist doch vorbei, wo ihr jungen Mädel zu Hause Staub wischtet und auf den Mann wartetet. Davon habt ihr euch doch frei gemacht.“

      „Ich könnte ja studieren, Sophus. Du weisst doch, Beate will es. Ich bin darauf angesetzt.“

      „Jawohl, studieren! Wie ich Porträts malen könnte. Und was ist das Ende: du sitzt mit deinen medizinischen Examen da, zu denen du dich ohne wirkliche Berufsbegeisterung durchgequält hättest ...“

      Sie unterbrach ihn. „Nicht so hopp-hopp, Sophus. Die Freude am Studium könnte kommen. Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht. Ist es nicht schöner, Kranke zu heilen, als Damen hübsch anzuziehen? Wird mir eine Tätigkeit, sagen wir als Kinderärztin zum Beispiel, nicht mehr Befriedigung geben als deine Modepläne?“

      „Theorie, Be, reine Theorie. Es wäre auch — sagen wir: edler, wenn ich ernsthafte Kunst triebe. Es würde mich, weiss der Himmel, auch mehr befriedigen. Ich habe Weihnachten eine diebische Freude gehabt, als ich die alte Gräfin Keulass malte, es war herrlich, dieses liebe Gesicht, dies weiche weisse Haar zu fassen und die Halbtöne auf dem Brokat, den du schicktest. Herrlich, sage ich dir. Aber kann ich von zwei oder drei Porträtaufträgen im Jahre leben? Und kannst du leben, wenn du zwar deine Examen hast, aber keine Praxis? Wer zahlt mir die Kosten für ein Atelier, wer dir die Kosten für Wohnung mit Wartezimmer, Geräten, Apparaten und all dem Kram, den du brauchtest? Sogenannte freie Berufe! Einen Dreck sind die jetzt wert. Ins Praktische müssen wir hinein. Ware liefern, die jeden Tag gebraucht wird. Mode, das ist das Richtige. Und wenn die Mark wieder nur einen Pfennig wert wird, und wenn die Wirtschaft noch mehr pleite ist als jetzt, ihr Frauen werdet euch weiter Kleider kaufen und Bändchen umbinden.“

      „Du bist nicht sehr liebenswürdig gegen mein Geschlecht.“

      „Aber hab’ ich nicht recht? Mädel, Mädel, ich seh’ ihn doch schon vor mir, unseren Laden. Kleider in Seide, Samt und Wolle! Farben! Stoffe! Und ein Schaufenster, ein Schaufenster! Das bau’ ich auf, dass keine Frau daran vorbeigehen kann. Und wir beide dann zusammen, Be, wir beide. Ich mit ’nem Schwung und du mit deinen geschickten Fingern. Hinten haben wir eine Werkstatt, da sitzt erst ein Mädel, aber bald werden’s zwei, drei, vier. Die Arbeit hört da überhaupt nicht auf. Überstunden müssen wir machen.“ Er war aufgesprungen, lief in dem winzigen Raum hin und her, war ganz voller Begeisterung. Jetzt blieb er vor Be stehen, streckte ihr die Hände entgegen. „Also schlag ein, mach mit. Ab Montag gehst du auf die Modeschule. Ich komme auch hin, sowie unsere Ferien auf der Hochschule anfangen; das Schuldgeld zeichne ich mir schon zusammen. Ich hab’ mir den Betrieb bereits angesehen. Wir lernen dort alles: neben dem Handwerklichen auch Einkauf, Verkauf, Kundendienst, Buchführung. Was du willst, was du brauchst. In einem Jahr sind wir ausgebildet, fix und fertig.“

      Er hatte Tempo in seinen Worten, er riss Be mit. Ihr Widerstand war ja nicht sehr stark, denn im Innersten war sie schon halb entschlossen gewesen, mitzutun. Nur zum äusseren Entschluss hatte ihr die Kraft gefehlt, und da rannte er jetzt ihre letzten Bedenken über den Haufen.

      „Und Beate?“ sagte sie noch, „wie sag’ lch’s ihr? Sie sieht mich doch als Studentin.“

      „Nichts sagst du ihr. Hängst du immer noch am Schürzenzipfel? Lässt du dich immer noch bevormunden? Selbst müssen wir unser Leben bauen. Lass sie im Glauben, du gingst auf die Universität. Stell sie eines Tages vor die vollendete Tatsache. Ins Unabänderliche fügen sich Eltern immer am ehesten. Mit ihren Bedenken halten sie uns doch nur auf, denn zum Schluss müssen wir ja doch unseren Weg gehen und nicht ihren. Und viele sind erst auf ihren eigenen Weg gekommen, nachdem sie Jahre durch Bedenken anderer verloren hatten.“

      Noch einen Einwand fand sie. „Und das Geld, Sophus? Wir brauchen doch Kapital, wenn wir anfangen wollen.“

      „Geld kommt schon. Wo ein guter Gedanke ist und ein fester Wille, kommt auch Geld hin. Ausserdem ist das eine spätere Sorge. Das hat ja noch ein Jahr Zeit.“ Noch immer hielt er ihr seine Hände entgegen. „Also: schlag ein.“

      Sie schlug ein, und er hielt ihre Hände fest, zog sie aus dem kleinen Sessel hoch, zog sie an sich. „Be, Mädel.“ Er küsste sie, und sie liess es sich gefallen. Es war wie im Sommer am Seeufer: sie zitterten beide, sie sehnten sich und fürchteten sich vor ihrer Sehnsucht.

      Plötzlich wurde in Be ein Gedanke wach: Schellberg. Die Erinnerung an ihn fiel sie an. Sie bog ihren Kopf zurück, wich dem drängenden Sophus aus, machte sich frei. „Lass die Dummheiten“, sagte sie wieder. Wie schon damals im Sommer.

      Er gehorchte, aber er widersprach: „Dummheiten nennst du das, Be, Dummheiten? Mir ist’s ernst. Wir heiraten, Be. Sobald wir den Laden haben, heiraten wir. Warum sollen wir warten? Warum und worauf?“

      Nun musste sie lachen. „Du bist und bleibst ein Phantast, Sophus.“ —

      Aber dann fügte sie sich doch seinen Arbeitsplänen. Zu Hause machte sie einen Umweg über Bea. „Ich will die Zeit nützen“, sagte sie zu ihr, „was soll ich hier Tag für Tag herumtrödeln? Ich gehe auf eine Schneiderschule.“

      Beate erfuhr von dieser Tätigkeit erst, als Be fast schon vierzehn Tage die Brühlsche Modeakademie in der Prager Strasse besuchte. „Merkwürdige Passion“, meinte sie, als Bea es ihr erzählte. Doch die Grossmutter war anderer Ansicht. „Ich finde es sehr vernünftig von dem Mädel. Das Praktische kann eine Frau immer gebrauchen.“

      Im Mai waren Beate und Be in Lugano.

      Be genoss die Tage in voller Ferienlosgelöstheit. Sie wurde sich erst hier der Befreiung vom Schulzwang bewusst; in Berlin hatte sie die gewohnte Umgebung der Königsmarckstrasse noch nicht zur rechten Erkenntnis kommen lassen, dass nun ein ganz neuer Lebensabschnitt eingesetzt hatte; Sophus hatte sie in Atem gehalten, und die Modeakademie mit ihrem regelmässigen Stundenplan war auch nur eine Fortsetzung der Prima gewesen.

      Hier stellte plötzlich niemand Ansprüche an sie. Auch Beate nicht.

      Die ersten Tage waren sie noch gemeinsam gewandert und mit den Dampferchen und Motorbooten über den blauen See gefahren. Beate kannte Lugano: sie hatte die ersten Wochen ihrer Hochzeitsreise mit Karl Bürgler hier verbracht, bevor es weiterging nach Italien hinein. Und sie, die bisher nie mit Be über den Vater gesprochen hatte, erzählte von dieser Zeit, anfangs allerdings meist in dem weichlichen Klageton, den sie gern anschlug: „Ja damals — das waren Zeiten, da wohnten wir im Palasthotel drüben im eigentlichen Lugano und nicht in diesem Casserate, diesem Vorort, nicht in diesem billigen Hotel; damals konnten wir uns ja alles leisten ...“ Aber dann kam ein anderer Klang in ihr Erzählen hinein: ein liebevolles Erinnern an Spaziergänge, an Bootsfahrten, ja an den Vater selbst. So herzlich konnten die Worte sein, dass es Be schien, Beate habe Lugano gar nicht ihretwegen, sondern um dieser Erinnerungen willen gewählt.

      Als die Zahl der üblichen Ausflüge dann abgemacht war, als das Planen um neue Wege und Fahrten schwieriger wurde, liess Beates Wanderehrgeiz nach. Sie griff zu, als sich im Hotel Seegarten eine Bridgepartie zusammenfand, und sass nun die Vor- und Nachmittage unter sonnenschützenden Schirmen auf der Terrasse des Hotels mit Mrs. Holver, Frau Türken und Herrn von Nägelein, um nur aufzustehen, wenn nach beendetem Rubber die Karten neu ausgezogen und die Plätze gewechselt werden mussten.

      So hatte Be viel Zeit für sich. Sie nutzte sie, um über sich nachzudenken. Erst über das, was nun kommen sollte: die Modeschule, der Laden, das schien ihr jetzt richtig und gut, aber man durfte es nicht so überstürzen, wie Sophus es wollte; die Grundlagen mussten besser gefügt werden, auch bei ihr