Bea, beate und Be. Hans-Caspar von Zobeltitz

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Название Bea, beate und Be
Автор произведения Hans-Caspar von Zobeltitz
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711488522



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diesen beiden Menschen zu werden? ich, ihr Kind? „Warum bist du damals von Mutter fortgegangen?“ Ganz langsam, ganz leise sprach sie den Satz.

      Er stand auf, jäh; mit schnellen Schritten ging er zum Fenster, wandte ihr den Rücken zu, sah hinein in das Dunkel der Schwarzwaldtannen.

      Da war sie auch schon neben ihm, legte ihren Arm um seine Schulter, lehnte sich an ihn. „Ich habe dir weh getan eben, Vater, verzeih. Aber musste diese Frage nicht einmal kommen? Was weiss ich denn von euch beiden?“

      „Ich bin nicht von deiner Mutter fortgegangen, Be. Sie hat mich fortgetrieben.“

      Noch näher trat sie an ihn heran, er sollte doch fühlen, rein körperlich fühlen, dass sie zu ihm gehörte. „Ihr liebtet euch doch?“

      Er schob sie von sich, sanft, aber doch so willensstark, dass sie dem Druck nachgab. Müde glitt ihr Arm herab.

      „Lass mich allein, Be, bitte. Es hat keinen Sinn, über diese Dinge zu sprechen. Später vielleicht einmal ... wenn du grösser bist, älter ... dann wirst du mich wohl verstehen ... uns beide.“

      „Liebst du denn eine andere Frau?“

      Er sah: sie erschrak über ihre eigene Frage, sie wurde rot.

      „Nein, kleine Be.“

      Nun hatte er sogar ein Lächeln, ein fernes, müdes Lächeln.

      Zur Tür brachte er sie. „Zerbrich dir nicht den Kopf. Mache dir keine unnötigen Gedanken. Deine Mutter hat dich lieb, und Ich habe dich lieb. Lass es dir genug sein.“ — — —

      Am nächsten Tag war Detta da mit ihrem Wagen.

      „Nanu, Be, wie siehst du denn aus? Als ob du die ganze Nacht geheult hättest.“

      Be nickte trübe. „Hab’ ich auch, Detta.“

      Und dann kam die Abfahrt von Hochfried. Personal stand am Auto, Schwestern, Kurgäste. Be fühlte, dass dem Vater der Abschied schwer wurde. „Wenn du Fragen hast wegen deiner Zukunft, wende dich an Schellberg“, sagte er. Und Be dachte: Schellberg ... ist da in mir nicht auch etwas verschüttet wie zwischen Beate und Vater?

      Der Wagen rollte davon.

      Sie sah sich um. Vater winkte. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht wieder aufzuweinen. Detta hätte sie nicht verstanden, hätte gescholten mit ihren lauten Worten: Schlappstiefel — Heulliese.

      Und dann war Rothenburg da und Nürnberg und dann die bewaldeten Täler der fränkischen Schweiz mit ihren Burgen und begrünten Felsecken. Und Bayreuth mit den Wagner-Erinnerungen und Bamberg mit dem Reiter im Dom. Die Sommersonne schien, und das Bügeleisen des Lebens glättete die Falten und löschte das Erinnern an die wehen Minuten. Auf der Wasserkuppe setzte sich Detta in ein Segelflugzeug, und Be zitterte um die Freundin, als eine Bö unter die Tragflächen griff und der kleine Apparat abzugleiten drohte.

      Die Gegenwart war stärker.

      Und sie blieb es in Berlin.

      Das letzte halbe Jahr vor dem Abitur forderte wirkliche Arbeit von Be, doppelte Arbeit, weil sie sich für Detta mitverantwortlich fühlte, die immer ausbrechen wollte: zum Sport, ins Wochenende, zu den Freunden. Be hielt sie an der Stange, sie schob auch Sophus zur Seite. „Störe uns jetzt nicht.“

      Die Zeit verging wie im Fluge. Im März bestanden Be und Detta die Reifeprüfung.

      3

      Die Feigheit, die verruchte Feigheit. Beate schalt sich in schlaflosen Nächten, dass sie diese Feigheit nicht überwinden konnte, um endlich, endlich Bea ehrlich zu beichten, wie es um die Trümmer ihrer Vermögen bestellt war. In den Nächten, wenn die Angst sie stark und stärker überfiel, wenn das Zukunftsbild im Halbwachsein trüb und trüber wurde, fasste sie die stärksten Entschlüsse: das Personal entlassen, das Haus verkaufen, in eine Drei- oder Bierzimmerwohnung ziehen, am besten von Berlin fort in eine Kleinstadt. Es musste etwas geschehen, denn die Schulden wuchsen. Sie hatte schon gelernt, das Finanzamt um Stundung zu bitten, die Lieferanten zu vertrösten; aber sie hatte auch erkannt, dass das nur ein Hinausschieben bedeutete; zuletzt musste sie doch auf die Bank gehen und Papiere verkaufen. Und zwar immer für Dinge, von denen letzten Endes niemand etwas hatte: Steuern für das Haus, Gebühren für den Speicher in Kassel, auf dem eigentlich nur unnötiges Gerümpel stand, an das höchstens einmal Bea dachte. „Weisst du, Beate, die schöne Base, die uns der General von Rechberg zur Hochzeit schenkte — dein Vater hatte sie so gern“ — oder: „der grosse Bücherschrank, der auf der Diele stand — entsinnst du dich noch, Beate?“ Aber dass Bea eben immer wieder von diesen Stücken sprach, das war der Stachel. Durfte Beate sie fortgeben, durfte sie die Mutter um diesen Erinnerungsbesitz berauben?

      In einer Nacht kam ihr der Gedanke, eine Hypothek auf das Grundstück aufzunehmen. Dann würde plötzlich bares Geld da sein. Sie lief zu einem Anwalt, nicht zu ihrem Anwalt, der sie kannte, der alle Verhandlungen um Be mit Schellberg geführt hatte, sondern zu einem beliebigen, dessen Schild sie neben einem Hauseingang sah. Der Mann war höflich, gewandt, zuvorkommend. Er bat um die notwendigen Unterlagen, um Vollmachten. Er sah auch keine Schwierigkeiten, da eine Belastung bisher nicht vorlag; es floss ja immer noch ausländisches Kapital nach Deutschland hinein. Beate atmete auf, sie sah wieder Land vor sich; vier Wochen später unterschrieb sie mehrere Urkunden, ohne darüber nachzudenken, dass sie sich mit einer jährlichen Zinszahlung beschwerte, die untragbar war. Als die fünfundvierzigtausend Mark auf der Bank einliefen, schwanden ihre Unruhe, ihre Schlaflosigkeit. Sie schrieb Schecks aus für die Steuerbehörden, für Kassel, für allerlei Lieferanten, sie fühlte sich schuldenfrei.

      Das war kurz vor Bes Abitur. Und als Bea ihr sagte: „Wir müssen doch jetzt dem Kinde nach all der Schererei eine Freude machen, wie wäre es, wenn du mit ihr verreistest?“ hatte sie keine Einwände, ja sie freute sich auf die Ausspannung. Ich habe sie wirklich nötig nach all den pekuniären Erregungen der letzten Zeit. Wenn sich im tiefsten Innersten doch Bedenken meldeten, legte sie sich selbst Fragen vor, um die warnende Stimme abzutöten: was habe ich denn in all den letzten Jahren von meinem Leben gehabt? Mühe und Arbeit, nichts weiter, Sorgen um Bea und Be. Warum soll ich nicht endlich einmal etwas für mich tun.

      In dieser Zeit kam Be einigemale zu ihr. „Ich möchte gern über meine Zukunft mit dir sprechen, Beate.“ Aber Beate hatte dann Sorge, dass ihr die gerade wiedergewonnene Ruhe gestört wurde, dass Be wirtschaftliche Dinge berühren könnte, die sie nicht berührt wissen wollte. So machte sie Ausflüchte: „Was willst du dich jetzt mit Plänen quälen, Be, mache erst dein Examen, dann können wir ja über die Universität sprechen.“ Be brach dann auch stets schnell ab; wenn Beate aufmerksam gewesen wäre, hätte ihr das auffallen müssen, aber sie war zu sehr in ihrer eigenen Gedankenwelt befangen.

      Die ersten Tage nach dem Abitur waren für Be voller Unruhe. Beate und Bea bereiteten ihr ein kleines Fest in der Königsmarckstrasse und kündeten ihr die Reise an, deren Ziel nun auch feststand: Lugano. Detta trommelte den lauten Freundeskreis zusammen, es wurde ein lustiger Abend mit Tanz und Sekt. Die Oberprima fand sich zu einer gemeinsamen Abschiedsfeier zusammen, auf der starktönende Reden gehalten wurden.

      Dann aber war plötzlich eine Leere vor Be. Jeder Tag stand ohne Aufgabe vor ihr, ganz anders als sonst in Ferienzeiten, die doch immer eine fassbare Grenze gehabt hatten. Die Reise war erst auf Ende Mai festgesetzt, früher im Jahr war es für Lugano noch zu kühl. „Ruh dich bis dahin aus, dann wirst du es doppelt geniessen“, hatte Beate gesagt, „wenn du im Herbst mit der Universität beginnst, ist es Zeit genug.“

      Be hatte ein schlechtes Gewissen. Ich muss jetzt endlich Klarheit schaffen, predigte sie sich, aber zu einem wirklichen Entschluss konnte sie sich nicht durchringen. Sie lief zu Sophus. Sie kannte seine Studentenbude schon, in der Grolmanstrasse, dicht bei der Hochschule, vier Treppen hoch im Hinterhaus, ein armseliges Loch.

      Sophus redete auf sie ein. „Du wirst doch nicht deine Zeit vertrödeln, Mädel, fange an, sofort, hin zur Modeschule. Je eher wir unseren Laden aufmachen, desto besser.“

      In ihr war ein Schwanken. Jetzt, da die Entscheidung vor ihr stand, wusste sie weniger als je, wohin