Название | Bea, beate und Be |
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Автор произведения | Hans-Caspar von Zobeltitz |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711488522 |
Kehrte Be nach solchen Ferientagen in die Königsmarckstrasse zurück, litt sie zwar einige Tage unter der Engnis, überwand die Trennung von Vater und Freiheit aber schnell, weil das Alte im Dahlemer Haus doch wieder neu war, weil die Schule sofort Anforderungen stellte und Beas Schalkasten lockte. Kinder sind ja von einer glückvollen Anpassungsfähigkeit und haben die wunderbare Gabe in sich, auch aus Schlechtem stets das Gute herauszulösen.
Die Jähre liefen allen davon. Im Arbeitstrott für Karl, ungenutzt von Bea und Beate. Be allein erfasste sie ungewollt und füllte sie mit Erraffen von Wissen. Sie war eine gute Schülerin, sie legte die Quarta, die Tertien und Sekunden hinter sich und trat mit siebzehn Jahren in die Unterprima ein, jetzt schon ein denkender Mensch.
Beate sah dieses Wachsen mit Sorge. Nicht um Bes inneres Leben und ihre Entwicklung bangte sie sich, denn sie fühlte, dass ihre Tochter, die ihr an Grösse jetzt gleichkam, keinen Fehl in sich hatte, aber die Angst vor der Zukunft packte sie. Sie wusste: sie lebte von der Masse. Längst hatte sie den Rest ihres Vermögens mit dem Rest des Vermögens der Mutter zusammengeworfen, aber seit dem Ende der Inflation hatten die Zinsen nie mehr gereicht, um die laufenden Unkosten des Haushalts zu decken. Die Grundsteuern des Hauses frassen diese Einkünfte aus dem Kapital fast allein auf. Die Versuche, sie durch Spekulationen zu erhöhen, hatte Beate nach einigen Fehlschlägen aufgegeben. So verkaufte sie ein Papier nach dem anderen. Als sie wieder einmal eine Aktie zum Verkauf aufgab, riet ihr der Beamte der Bank ab, weil der Kurs der Papiere weit unter Wert stand. „Was soll ich denn machen“, fragte sie verzweifelt, „ich brauche doch bares Geld.“ Der Beamte, der sie seit Jahren kannte, sagte: „Sie müssen sich einschränken, gnädige Frau. Stossen Sie das Haus ab, damit Sie die Steuerlast loswerden, oder vermieten Sie wenigstens ein paar Räume, damit Sie einen Zuschuss bekommen. Wenn Sie so weiter-wirtschaften, sind wir in ein paar Jahren am Ende.“ Auf dem Weg von der Bank zur Königsmarckstrasse fasste Beate die stärksten Entschlüsse, aber als sie dann vor Bea stand, die harmlos und nichtsahnend durch ihre Räume wanderte und sofort ein Gespräch über irgend etwas, was sie sich unbedingt kaufen müsse, begann, wagte sie nichts mehr zu sagen. Ich kann doch Bea nicht in eine Etagenwohnung sperren, sie braucht den Garten, sie braucht ihre Zimmer, ihre gewohnten Spaziergänge. Sie lag nachts schlaflos, sie sah den Zusammenbruch vor sich, aber sie änderte nichts. Die Zeiten müssen sich ja wandeln, die Zinsen werden wieder steigen, die Lasten fallen, log sie sich vor. Nur wenn sie an Bes Zukunft dachte, wurde ihr angst. Wenn es nur reicht, bis das Mädel die Universität hinter sich hat und sich sein Leben selbst weiterbauen kann. Es gab für sie keinen Zweifel, dass Be Medizin studieren müsse, Arzt werden, wie der Vater. Dieser Gedanke beruhigte sie, ja er erfüllte sie mit einem gewissen Stolz: Meine Generation Frauen hat diesen Mädeln die Freiheit des Studiums und der Berufe erkämpft, wie dankbar müssen sie uns sein.
Als die Primanerin Be nach Hochfried kam, nun allein, ohne Erzieherin, selbständig bei ihrer Schlafwagenfahrt von Berlin nach Baden-Baden und sicher in jeder Anweisung, die sie dem Chauffeur des Sanatoriums gab, der sie vom Bahnhof abholte, war der Vater, der sie ein volles Jahr nicht gesehen, fast erschrocken. Eine junge Dame, die ebensogut eine Patientin hätte sein können, stand vor ihm. Doch Be fiel ihm so kindlich-froh um den Hals, dass er sich gleich wieder als Vater fühlte. Be lief wie immer durch Park und Haus, war selig im Entdecken von Erinnerungen, war lieb gegen die Schwestern, bestellte sich in der Küche ihr Leibgericht und kroch auf den Boden, um ihre Schwarzwaldtracht vom Vorjahr zu suchen. Lachend kam sie zurück. „Sie passt nicht mehr, Vater, nirgends.“ Auf die Hüften schlug sie sich dabei und auf die Brust. „Ich muss aber eine neue haben, ohne meinen bunten Rock fühl’ ich mich hier nicht wohl.“ Da war gleich wieder ihr zielsicheres Wünschen. Er hörte beruhigt heraus: sie ist noch die alte, sie ist noch das Kind.
Hochfried war in diesem Sommer voll besetzt. Doktor Karl Bürgler hatte alle Hände voll zu tun; es entging ihm daher, dass Be sich besonders an Doktor Franz Schellberg, seinen Anwalt, anschloss, mit dem er nicht nur geschäftlich verbunden war, sondern dem er sich im Laufe der Zeit auch freundschaftlich genähert hatte. Schellberg, der Mitte der Dreissig stand und seit Jahren verheiratet war, kannte Be bereits, denn er hatte auch in den Vorjahren auf Hochfried seine Kuren genommen. Er war ein äusserst gescheiter Mensch, fernab jeder juristischen Trockenheit, belesen, kunstverständig. Was er im Schwarzwald suchte, war Erholung nach fast übergrosser Arbeit, nicht etwa Heilung eines Leidens. Die Freundschaft zwischen ihm und Be wurde schon am ersten Tage nach Bes Ankunft geschlossen: sie trafen sich unverabredet sehr früh am Morgen am Tor des Parkes, beide zu einem grösseren Ausflug gerüstet. Sie hatten das gleiche Ziel, gingen daher zusammen, und es ergab sich, dass ihre Schritte einen Rhythmus hatten. So fanden sie Gefallen aneinander, und gemeinsames Wandern wurde die Regel. Im Schreiten schwiegen sie meist, aber wenn sie rasteten, kam es zu lebhaften Gesprächen, und hier wurde es ein Erleben für Be, dass sie zum erstenmal mit einem erwachsenen Mann allein Rede und Gegenrede tauschen konnte. Sie war verwundert, dass Schellberg ihre Ansichten nicht einfach kurz abtat, wie sie es von Beate und deren Kreis, von den Lehrern und den Eltern ihrer Schulgenossinnen gewohnt war, sondern dass er sich darauf einliess, mit ihr Wortgefechte zu führen, ja sich mit ihr zu streiten. Viel sprachen sie über Politik, die in der Schule heftig umkämpft war, im Hause Bürgler von Mutter und Grossmutter aber kaum berührt wurde, besonders nicht in Bes Gegenwart. Be hatte also ihr Wissen auf diesem Gebiet in der Hauptsache aus der sehr engen und einseitigen Zeitung bezogen, die man in Dahlem las, und diese Kenntnisse nur durch die Hetzereien erweitert, mit denen die Mitschülerinnen sich befehdeten. Nun eröffnete ihr Schellberg eine Welt der grossen Gesichtspunkte, dämpfte das Leidenschaftlich-Extreme in ihr. Zuerst wehrte sie sich, versuchte ihren Standpunkt mit Schulschlagworten zu verteidigen, aber bald fühlte sie, dass sie auf lockerem Sande sass und nichts von dem vor Schellberg Halt hatte, was sie vorzubringen in der Lage war. So kam es, dass sie, durstend wie ein Tier in der Wüste, seine Reden in sich saugte und schliesslich in jugendlicher Wandlungsfähigkeit von seinen ruhigen und massvollen Anschauungen begeistert war. Er gab in allem den wirtschaftlichen Fragen, die Be bisher völlig fremd gewesen, den Vorrang und riet ihr dringend, sich mit diesen zu befassen. „Kein Mensch in Deutschland kann heute zu früh damit anfangen, denn sie werden die Zukunft beherrschen.“ Nun lag auch der Satz nahe: „Was wollen Sie eigentlich werden, Be?“ Ihre Antwort war gleich da, denn es gab auch für sie keinen Zweifel: „Arzt wie Vater.“ — „So“, sagte er nur und wechselte dann aber den Gesprächsstoff, ehe Be, die eine Ablehnung aus diesem einen Wort wohl herausgehört hatte, weiter in ihn dringen konnte.
Erst in Berlin merkte Be, dass Schellberg ihr Gleichgewicht gestört hatte. Sie überwarf sich mit ihren Freundinnen, die sich fest an Flugblattleitsätze gebunden fühlten, ihre gewandelten Ansichten rückständig, sie selbst eine Abtrünnige, eine Verräterin nannten; sie scheuchte Beate von sich, als sie versuchte, mit ihr über wirtschaftliche Dinge zu reden und die Frage stellte: „Wovon leben wir eigentlich?“; sie fand bei Bea keinen Widerhall, die einfach sagte: „Warum quälst du mich mit solchen Sachen, Kind, überlass das doch den Männern.“
Sie vermisste Schellberg. Er hatte ihr gesagt, dass er sich freuen würde, sie in Berlin einmal wiederzusehen. So machte sie Besuch im Schellbergschen Hause, traf nur seine Frau, die ihr herzlich unbedeutend schien, so unbedeutend, dass sie nicht verstand, dass er sie geheiratet hatte. Diese Ehe kann diesem Mann ja nichts geben, war ihr schnelles, jugendliches Urteil. Er tat ihr leid, und durch dies Gefühl wurde sie tiefer in eine Schwärmerei für ihn hineinaetrieben. Sie ging in die Strasse,