Название | Literaturvermittlung und Kulturtransfer nach 1945 |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Edition Brenner-Forum |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706561228 |
Irre ich mich nicht, so haben Sie neuerlich stark katholische Gehalte aufgenommen. Sie sind mir sehr, sehr vertraut; ich selber habe einmal gemeint, durch den katholischen ordo sei es möglich, die aus den Fugen geratene Welt zu rekonstituieren, und damals, vor 10 Jahren,35 stand ich unmittelbar vor der Konversion, die mir als dem Sohn einer sehr katholischen Mutter nahe genug lag. Ich habe es nicht vermocht – die Integration der philosophia perennis scheint mir unrettbar romantisch und in Widerspruch zu jedem Zug unserer Existenz […].36
Negative Dialektik also als Gestalt jenes Philosophierens, dem es versagt ist, weiter in der Tradition der philosophia perennis zu denken, obgleich diese die ihm eigentlich gemäß wäre, da doch, wie Adorno 1954 ausdrücklich gegenüber Wild erklärt, er fest daran „glaube, daß, da es nur eine Wahrheit gibt, vor jeder vollzogenen wirklichen Einsicht die Standpunkte in nichts zergehen“?37 Dem wäre an anderer Stelle weiter nachzuforschen. Hermann Krings jedenfalls traf in seiner erwähnten Hochland-Besprechung der Minima Moralia mit der ihm zuweilen eigenen Intuition diesen versteckten Berührungspunkt ziemlich genau, als er unter dem Titel Grenzen der Dialektik nach dem Standort fragte, von dem aus Adorno „richtet“, und dazu feststellte:
Es sei ihm keineswegs verwehrt, zu richten, aber er weist sich nicht aus. Die Dialektik des Analytikers verdeckt den geistigen Impuls, der in fast jedem Aphorismus durchdringt und das Buch als Ganzes trägt. Das Wort Gesellschaft verdeckt das Wort Gott. Der soziologische Philosoph Adorno verdeckt den „ganz unmöglichen“ Theologen Adorno. Sein Buch erhebt indirekt den Anspruch, wie ihn ein von Gott inspiriertes, in Wahrheit theologisches und darum die Welt richtendes Werk erheben muß; doch es ist weder inspiriert, noch enthält es eine Theologie, sondern es schließt sich ein in den Zirkel seiner eigenen Dialektik. Ist es erlaubt, wie ein Gottesmann zu richten, aber an der intellektuellen Existenz des Dialektikers festzuhalten? – So paradox es gegenüber einem Buch so durchkonstruierter und genau funktionierender Sprache klingen mag, dieses Buch ist in gewissem Sinn romantisch; das heißt: es erhebt den absoluten Anspruch, aber es kommt aus der Dialektik nicht heraus; es richtet alles und „verweilt in der Negativität“.38
Man sieht, wo Krings Adorno stellt: Adorno verweigert sich der philosophia perennis mit der Begründung, das sei „unrettbar romantisch“ – Krings erwidert: Das, was du stattdessen machst, ist romantisch, romantisch jedenfalls „in gewissem Sinn“. – Was jedoch nun Hans Blumenberg betrifft,39 so haben wir es im Biographischen mit einer weiteren jüdisch-katholischen Konstellation zu tun, die freilich noch näher an das Hochland heranführt. Denn hier veröffentlichte Blumenberg, der wegen der jüdischen Herkunft seiner Mutter trotz seiner glänzenden Begabung im ‚Dritten Reich‘ von einem Studium an einer staatlichen Hochschule ausgeschlossen worden war und zunächst an der Erzbischöflichen Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn, dann an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen studiert hatte, seit demselben Hochland-Jahrgang 1952/53 seine ersten, durchwegs exzeptionellen literarisch-philosophisch-theologischen Essays zu Kafka, Hemingway, Faulkner und Evelyn Waugh, den letzteren unter dem Titel Eschatalogische Ironie.40 Blumenberg litt nach 1945 trotz rascher Promotion in Kiel 1947 –, übrigens ebenfalls über ein Thema der (mittelalterlich-)scholastischen Ontologie, und nachfolgender Habilitation 195041 ebenda – unter dem Grundgefühl, von den Nazis um entscheidende Jahre seiner intellektuellen Existenz betrogen worden zu sein, und so hatte er noch vor seinen Veröffentlichungen im Hochland damit begonnen, sowohl im Philosophischen Jahrbuch wie im Studium Generale mit Aufsätzen hervorzutreten, die bereits Grundmotive des späteren Blumenberg anklingen lassen – so z.B. im Titel seines Beitrags für das Philosophische Jahrbuch von 1946 Über das Recht des Scheins in den menschlichen Ordnungen nach Pascal,42 der einem Satz aus der Lesbarkeit der Welt von 1981 präludiert: „Die Menschen ertragen den Realismus ihrer Gegenseitigkeit nicht.“43 Aber seine Entscheidung für das Hochland lag, wie Blumenberg einmal an Schöningh schreibt, in Bindungen begründet, die der Hochland-Leser Blumenberg in der Zeit des Dritten Reiches an diese Zeitschrift wegen ihres unvermindert hohen Niveaus eingegangen war, und diese Wertschätzung hat Schöningh umgekehrt auch seinem Hochland-Autor trotz mancher Auseinandersetzungen, die er mit dem ungeduldig auf rasche Veröffentlichung seiner Arbeiten drängenden Blumenberg zu bestehen hatte, entgegengebracht.
Ich habe mich mit diesem Exkurs zwei Fragen angenähert, die in der Vorbereitung dieses Kolloquiums uns mitzubedenken aufgegeben waren, nämlich einmal der Frage, „welchen Stellenwert […] insbesondere dem intellektuellen Austausch […] mit jüdischen […] Intellektuellen“ und Emigranten beigemessen wurde, sowie zweitens dem Wunsch nach „genauere[n] Einblicke[n] in die Auseinandersetzung zwischen den (zumeist jüngeren) avantgardistischen und den konservativen Vermittlern“. Den ersten Punkt behandle ich thesenförmig, den zweiten skizzenartig und beide sehr vorläufig. Was also den ersten Punkt betrifft, so habe ich den allerdings dann doch zu differenzierenden Eindruck gewonnen, dass das Gespräch mit jüdischen Emigranten und Intellektuellen für die Herausgeber im Hochland zunächst keine Rolle spielt. Woran das lag, kann ich nicht sagen, abgesehen davon, dass manche der im Exil Altgewordenen recht bald starben – so der zunächst jüdische, dann katholische Totalitarismusforscher Walter Gurian,44 der 1934 in die Schweiz, 1937 in die USA emigriert war und dort 1954 starb – oder sie aus anderen Gründen den Anschluss verloren (hatten).45 Aber ich kann diesen geringen Stellenwert des Gesprächs mit jüdischen Intellektuellen und anderen Emigranten wenigstens an drei (freilich sehr unterschiedlichen) Personen aus unserer Porträtgalerie illustrieren, nämlich an Eugen Gürster, Elias Hurwicz und Karl Thieme. Eugen Gürster, geb. 1895 in Fürth, zuletzt von 1931 bis 1933 Chefdramaturg am Hessischen Landestheater Darmstadt, hatte 1933 wegen seiner öffentlichen Kritik am nationalsozialistischen Regime und seinem politischem Engagement in der Zentrumspartei in die Schweiz emigrieren müssen, wo er teils unter Pseudonym oder anonym etwa 350 Essays und Artikel zu Themen wie Die Lage des Katholizismus im heutigen Deutschland (1934), Schicksalsstunde des Katholizismus (1934), Die aktuelle Situation des deutschen Katholizismus (1936) oder Kardinal Faulhabers Besuch auf dem Obersalzberg (1936) publizierte, vor allem aber 1939 seine Schrift Die Judenfrage – eine Christenfrage erscheinen ließ, in der er darstellt, „wie der Antisemitismus in Hitlerdeutschland aufgrund eines bereits verwässerten Christentums um sich greifen konnte, womit die sog. ‚Judenfrage‘ letztlich auch zur Identitätsfrage für das Christentum wird.“46
1941