Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Название Abschied von Askalon
Автор произведения Eva Rechlin
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711754245



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lehre mich Deine Befehle… Es liegt meine Seele im Staub, getreu Deinem Worte schaffe mir Segen…«

      Sie teilten Brot und Wein, und zum Abschied segnete Vater Sebastian seine kleine Hausgemeinde. Miriam konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, als sie Tobija mit herzlicher Umarmung verabschiedete:

      »Komm gesund wieder, Tobi…«

      »Ich werde schreiben«, versprach er, »und Debora wird es euch vorlesen. Habt Dank, habt Dank…«

      Er umarmte die Kinder und zuletzt den Pflegevater. Debora und Thomas begleiteten die Reisenden zum Hafen, wo der Schiffer seine Passagiere bereits erwartete.

      »Wie weit kannst du uns bringen?« fragte Samuel.

      »Bis Pelusium, wie ausgehandelt.«

      »Wir müssen nach Alexandria, doppelt so weit!«

      »Das hörte ich. Wir haben Freunde in Pelusium…«

      »Ich auch«, sagte Samuel gereizt, entschuldigte sich aber sofort: »Verzeih, eine fremdartige Eile sitzt mir im Nacken.« Der Schiffer nickte verständig:

      »Das kann vorkommen. Wir sind bestens besegelt, und das Schiff ist flach und schnell, nicht langsamer jedenfalls als die Römische Post!«

      Auch Thomas redete Samuel gut zu:

      »Durch das Delta kommt ihr gleichfalls flott westwärts, denn der Nil schwillt um diese Zeit gewaltig an. Bald ist dort alles ein einziger See.«

      »Wem sagst du das, Thomas? Hab ein Auge auf meine kleine Debora, die den Bruder so tapfer ziehen läßt. Ja, er wird dir schreiben, Mädchen, ich sorge dafür. Und nun liegt alles bei Gott. Lebt wohl.«

      Tobija umschlang Debora, küßte sie auf Stirn und Wangen, dann legte das Schiff ab.

      »Geh heim!« rief Tobija seiner Schwester auf der Mole zu. Er winkte, bis das Schiff aus dem Hafen geglitten war. Hoch und unbewegt stand Samuel neben ihm in seinen weißen und roten Tuchumhängen, die er wie immer über den Kopf gezogen hatte.

      Debora winkte, bis sie beide nicht mehr sehen konnte. Daß Thomas die ganze Zeit hinter ihr ausharrte, schien sie vergessen zu haben. Als sie, müde und mutlos, den Arm sinken ließ, brachte er sich wieder in Erinnerung:

      »Bravo, Bienchen. Jetzt laß die Tränen schießen.«

      »Ach, Thomas…«

      Vorsichtig streichelte er ihr übers Haar, berührte es sacht mit den Lippen, legte kurzentschlossen seinen Arm um Deboras Schulter und führte sie weg vom Hafen.

      »Dies wird noch ein ganz erträglicher Tag, glaub es mir«, versuchte er, sie aufzumuntern. »Du zeigst mir Askalon und alle eure Hündchen. Vielleicht schenkst du mir einen? Ihr habt so viele, daß sie euch noch armfressen werden, und ich besitze nicht einen einzigen. Sie sind doch gut zu Fuß? Nein, keine Sorge, daß ich dir heute noch einen zweiten Abschied zumute. Ich ziehe frühestens nächste Nacht weiter. Außerdem werde ich so bald wie möglich von Aelia Capitolina zurückkehren…«

      »Von Jerusalem!« belehrte sie ihn kopfschüttelnd. Thomas lachte. »Das mit dem Hund«, fragte sie, »meinst du das ernst?«

      »Wenn du es ernst nimmst, meine ich es auch ernst.«

      »Du bist oft allein auf deinen Botengängen, wie?«

      »Seit gestern erst weiß ich, wie sehr allein.«

      »Also gut. Es ist ein kleiner Rüde dabei, noch kein Jahr alt, mein Lieblingshund. Er heißt Hepi und ist der einzige schwarze.«

      »Ach, Debora, ich werde Hepi hüten wie meinen Augapfel. Und natürlich sollst du ihn nicht ganz und gar verlieren! Wir werden jede Gelegenheit nützen, dich zu besuchen.«

      Im Marmorpalast

      Trotz ständig neuer und überwältigender Reiseeindrücke dachte Tobija täglich an seine Schwester im fernen Askalon. Am liebsten hätte er ihr bereits aus der alten Festungsstadt Pelusium an der östlichsten Nilmündung geschrieben, doch Samuel wollte keine Zeit verlieren. Die tagelange Schiffsfahrt schien den erfahrenen Reisenden nicht besänftigt, sondern seine Geduld auf eine harte Probe gestellt zu haben. Nicht einmal den üblichen Besuch bei der örtlichen Christengemeinde, in der er viele Freunde hatte, gönnte er sich. Kaum hatte ihr zyprisches Schiff gegen Mittag im pelusischen Hafen angelegt, kaufte Samuel frischen Proviant für Tobija und sich und verließ die Stadt auf dem kürzesten Wege westwärts. Einzig die lästigen Wasserschläuche brauchten sie nicht mehr zu füllen und mit sich zu schleppen. Der von Süden her seit Juni, Juli schwellende Nil näherte sich nun im September seinem Höchststand. Nach knapp zweitägigem Fußmarsch erreichten Samuel und Tobija die riesige Lagune des Menzalehsees; von dort ging es vorwiegend auf Booten, Flößen und über schwankende Pontons weiter durch das mächtige Nildelta, fast ein Süßwassermeer, aus dem fruchtbare Ansiedlungen als grüne Inseln herausragten. Staunend sah Tobija fette Kuhherden bis zum Bauch im meerwärts ziehenden Wasser des Stromes stehen, er beobachtete riesige helle Schwärme von Vögeln und entdeckte Fische, die er bislang nicht kannte. Samuel fand jetzt keine Ruhe mehr, erlaubte sich und Tobija nur noch stundenweise Schlaf. Dennoch benötigten sie weitere sechzehn Tage, bis sie endlich den westlichsten, den kanopischen Nilarm erreichten, von dem ein gut ausgebautes Kanalnetz nach Alexandria führt.

      Erschöpft, überreizt nach solchem Gewaltmarsch nahm Tobija die ersehnte Stadt am Meer in fast schlafwandlerischem Zustand wahr. Im letzten Schein der untergehenden Sonne, die glutrot hinter weißen Mauern und schimmernden Marmorpalästen von unübersehbarer Breite ins Mittelmeer sank, ahnte Tobija die leuchtende Pracht vor seinen Augen. Nur unbewußt erlebte er, wie Samuel ihn an die Hand nahm und ihn das letzte Stück Weg hinter sich herzerrte. Das Haus, in das Tobija durch eine tiefe, abendlich dunkle Toreinfahrt taumelte, sah er erst im Laufe der nächsten Tage wirklich.

      Ausgeschlafen und auch sonst gut versorgt, schrieb er endlich einen ersten Brief an seine Schwester.

      Ägypten, Herbst, im 1. Jahr des Kaisers Diokletian.

      … Alexandria ist hundertmal prachtvoller, als unsere Mutter es beschreiben, als wir es uns vorstellen konnten. Dabei sah ich bis heute nur einige Straßen im Brucheion, dem alten Herrscher- und Tempelviertel beim Großen Hafen, in dem das elegante Eugenios-Haus steht. Es ist ein Palast und nicht der einzige, der unseren Tanten gehört, von denen wir nur noch Agatha, die jüngere, antrafen. Samuels Angst, die ihn vorwärts trieb, war leider begründet, denn die fünfzigjährige Angela war vor Wochen schon gestorben, wohl kurz, nachdem Thomas bei ihr war. Mit Samuel kann ich seitdem kaum reden. Ich wohne im Sklaventrakt, sogar hier haben sie Gästekammern, allerdings winzig und düster. Aber ich muß nicht arbeiten, alle tun, als wäre ich noch ein Kind. Am freundlichsten redet die dunkle Monika, die Tante Angelas Leibsklavin war, mit mir. Wahrscheinlich täusche ich mich, aber mir kommt es vor, als beobachte mich die schöne Nubierin Monika manchmal argwöhnisch, besonders bei den Mahlzeiten in der Gesindeküche. Sie versucht, mich auszufragen. Als ich Askalon erwähnte, horchte sie auf. Darum vermeide ich jetzt Gespräche mit ihr. Samuel will nicht, daß ich mich verrate. Er ist völlig beherrscht von der Trauer um Tante Angela. Noch nie habe ich ihn so konfus erlebt. Übrigens hörte ich von den Haussklaven, daß er künftig ebenfalls im Gesindetrakt einquartiert und verpflegt würde. Es muß also an Tante Angela gelegen haben, daß Samuel mit den Schwestern speisen und auf ihrer Etage wohnen durfte. Ich darf gleich mit dem Hausverwalter Anton auf die Hafenmärkte zum Einkaufen gehen und schreibe Dir später weiter…

      Gestern ist es spät geworden. Ich kann Dir nicht schildern, wie schnell hier die Zeit verfliegt! Beim Einkauf auf den Hafenmärkten konnte ich mich kaum sattsehen. Nie im Leben kann ich Dir aufzählen, was es hier alles zu kaufen gibt! Der Hausverwalter Anton, nur wenig jünger als Samuel, mußte sich strikt an Tante Agathas Einkaufsliste halten und jede Ware tausendmal vergleichen, denn sie kauft nur die preiswerteste. Darin sei sie äußerst streng, sagte Anton, und daß man nur auf diese Weise reich werden und vor allem reich bleiben könne. Dabei hatten die Tanten ihren Reichtum von den ebenfalls reichen Eltern und Großeltern geerbt. Tante Agatha sehe ich kaum, seit dem Tod ihrer Schwester sei sie ständig krank, heißt es. Alle