Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Название Abschied von Askalon
Автор произведения Eva Rechlin
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711754245



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tastete sie nach Steinen für die Feuerstelle. Dabei merkte sie nicht, daß Thomas mit einem Bündel trockener Äste und angeschwemmter Holzstücke neben sie trat. Sie schrak auf, als sie ihn leise fragen hörte:

      »Ist es eine so böse Nachricht?«

      Gleichfalls mit Brennholz beladen, kam von der anderen Seite Tobija. Auch er wagte kein lautes Wort:

      »Was ist passiert?«

      Debora wischte sich mit dem Saum ihrer wadenlangen Tunika Augen und Wangen trocken und flüsterte:

      »Ihr seht ja, wie weh es ihm tut. Er sagte: Sie sei tot! Aber kann eine Tote einen Brief schicken? Es muß noch etwas anderes sein…«

      »Soll ich zu ihm?« fragte Thomas.

      »Er wollte allein sein. Er wird sich selber rühren. Legst du das Feuer, Thomas?«

      »Erst wenn es dunkel wird. Es ist noch zu früh.«

      »Wer ist tot?« fragte Tobija.

      »Unsere Tante Angela, der Brief ist von ihr. Aber sie hat ihn dir doch gegeben, Thomas?«

      »Ja, allerdings unter merkwürdigen Umständen, völlig anders als sonst.«

      »Du warst schon öfter bei ihnen?«

      »Ja, seit ich Kurier bin, nutze ich in Alexandria jede Gelegenheit, mich an der Katechetenschule zum Diakon ausbilden zu lassen. Mit Botengängen wie diesem verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Und von Brüdern wie Samuel lernte ich mindestens so viel, wenn nicht mehr…«

      »Ich hole noch Holz«, sagte Tobija, der lieber etwas Handfestes tat, als die ungewisse Beklommenheit abwartend auszuhalten. »Soll ich auch einen Feuerstein suchen?«

      »Nein, den trage ich immer bei mir.«, Thomas nestelte an einem der Ledersäckchen am Gürtel seiner kniekurzen Tunika. Als Tobija sie nicht mehr hören konnte, sagte Debora scheinbar nachdenklich:

      »Da Tante Angela dir den Papyrus heimlich gab, sollte ihre Schwester Agatha nichts davon wissen. Also muß sie mit Samuel Geheimnisse haben, wenigstens ein Geheimnis. Und ihm tut es weh…«

      Sie blickte erwartungsvoll auf Thomas, der im Sand kniete und umständlich mit seinem Feuerstein hantierte.

      »Ist Samuel ihr besonderer Vertrauter?«

      Thomas lächelte, als er antwortete:

      »Ach, liebe Debora, was du wissen möchtest, ist die immer gleiche herrliche Geschichte zwischen zwei Menschen. Eure Tante Angela hatte vermutlich nicht so absolutes Vertrauen wie eure Mutter.«

      »Vertrauen worauf?«

      Thomas deutete mit dem Kopf vielsagend zu Samuel, dann nach oben in den Himmel.

      »Woher willst du das wissen, Thomas?«

      Er zuckte die Achseln, überlegte eine Weile und blickte das Mädchen offen an:

      »Mein Dienst verläuft nicht so einsam, wie du vielleicht denkst. Man trifft andere Boten, nicht nur Auftraggeber und Empfänger. Da wird alles mögliche gesprochen und erzählt. Außerdem… still jetzt, Samuel steht auf. Du wirst ihn nicht mit Fragen durchbohren?«

      »Bin ich ein Plappermäulchen, großer Redemeister? Kannst du nun Feuer schlagen oder nicht?«

      Sie flüchteten sich in scheinbare Geschäftigkeit, als Samuel endlich seinen Wanderstab aufhob, die verrutschten Tücher über seine Tunika ordnete und zu ihnen herüberkam. Einem Mann wie Samuel, der sein Leben damit zubrachte, sich stets und ganz seinen Mitmenschen zuzuwenden, entging ihre Verlegenheit nicht. Mit beiden Händen umklammerte er seinen stabilen Wanderstab und lehnte sich gegen den großen Felsbrocken, von dem aus Tobija ihn vorhin erspäht hatte.

      »Ruft den Jungen zurück«, bat er, »für ein erstes Feuer reicht das Gesammelte. Ich kann nicht die ganze Nacht bleiben. Auf dem schnellsten Weg muß ich nach Alexandria.«

      »Und wir?« fragte Debora erschrocken.

      »Ach ja, ihr! Das muß in Ruhe bedacht werden, ob ich euch jetzt schon mitnehmen soll…«

      »Du wirst doch nicht diese Kinder nach Alexandria mitnehmen wollen?«

      »Bist du vielleicht ein Greis?« ereiferte sich Debora, »ich werde dreizehn! Außerdem hat Samuel über uns zu entscheiden. Steht in dem Brief, daß du uns nach Alexandria mitnehmen sollst?«

      »Und wenn, so dürfen wir nichts überstürzen. Wir haben alle einen langen Tag hinter uns. Bevor ich aufbreche, muß ich ein paar Stunden schlafen.«

      »Wir lassen dich nicht allein aufbrechen, bis Askalon begleiten wir dich.«

      Sie packten Brot, Käse, getrockneten Fisch und Fleisch, Eier und verschiedene Früchte aus und lagerten im noch warmen Sand. Bevor Samuel, der kaum etwas aß, irgendeine Erklärung gab, wollte er von Thomas mehr wissen:

      »Bitte berichte mir ganz genau, wie es war, als sie dir den Brief gab. Jede scheinbare Nebensächlichkeit ist mir wichtig.«

      »Ja, das war in der Tat höchst ungewöhnlich«, begann Thomas: »Ich war wie jedesmal im reichen Haus Eugenios eingekehrt, um Botschaften, Spenden, Briefe, Kollekten mit auf den Heimweg nach Judäa zu nehmen. Durch den Pförtner hatte ich den Damen Bescheid geben lassen. Er sagte, ich müsse mich gedulden, Agathas Einkäufe pflegen Stunden zu dauern! Und die andere der beiden Schwestern, die Dame Angela, könne mich kaum empfangen. Sie sei wieder einmal krank, ›das Übliche‹…«

      Thomas unterbrach sich, blickte fragend auf Samuel, der noch immer am Felsbrocken lehnte, den Wanderstab so fest in beiden Fäusten, daß seine Fingerknöchel weiß hervorstachen. Mit leerem Blick nickte er schwer und sagte wie zu sich selbst:

      »Das Übliche! Ihr empfindlicher Magen… die dunkle Schwermut ihres Herzens… und wie ging es weiter?«

      »Der Pförtner schickte mich in die Gesindeküche, wo ich bei einer guten Mahlzeit Agathas Rückkehr vom Markt abwarten sollte. Noch auf dem Weg dorthin holte eine dunkle Sklavin mich ein…«

      »Monika, Angelas Vertraute«, Samuel war ganz gespannte Aufmerksamkeit. »Und?«

      »Schon daß sie nur flüsterte, fiel mir auf. Ich sollte ihr lautlos folgen, am besten unsichtbar! Sie führte mich in das abgedunkelte Zimmer ihrer Herrin Angela.«

      »Angela lag auf dem Bett? Am hellichten Tag!«

      »Ja, die Fenster waren verhangen, obendrein hielt sie sich verschleiert. Sie bestand darauf, daß ich mich dicht zu ihr setzte, auf den Bettrand. Dann zog sie unter den Decken und Kissen den Brief an dich hervor und aus einem Kästchen neben ihrem Lager eine Handvoll Münzen. Beides steckte sie hastig in meine Kuriertasche.«

      »Sprach sie mit dir? Wart ihr allein?«

      »Die Sklavin mußte an der Tür wachen, konnte aber alles sehen und hören.«

      »Gut zu wissen«, sagte Samuel vor sich hin, »Angela kann sich also vollkommen auf Monika verlassen.«

      »Mir schien«, fuhr Thomas fort, »als hätten die beiden das heimliche Treffen regelrecht geplant. Angela sprach nur wenig und ohne jede Kraft. Schon die paar Worte strengten sie an. ›Bring es nach Askalon zu Bruder Samuel, bitte gleich! Nimm notfalls eine Schiffspassage. Und Vorsicht! Von dem Brief und dem Geld – nichts davon meiner Schwester verraten: Verlaß am besten gleich wieder das Haus. Eine Ausrede für den Pförtner… bitte…‹ Sie konnte wirklich kaum noch reden. Ich versprach ihr, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, ich würde sofort weiterziehen. Sie muß wohl starke Schmerzen gehabt haben. Sie krümmte sich, preßte die flache Hand gegen den Leib und stöhnte. Samuel! Ist dir nicht gut?« Dem alten Mann schienen die Knie zu versagen, doch er blieb aufrecht und fragte heiser:

      »Was dann?«

      »Zurück ans Tor fand ich allein, war ja nicht zum ersten Mal in dem vornehmen Haus. Dem Pförtner sagte ich, ich hätte es mir anders überlegt, ich könne nicht so lange warten, bis die Dame Agatha vom Markt zurückkäme,