Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Название Abschied von Askalon
Автор произведения Eva Rechlin
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711754245



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      »Komm selber drauf.«

      So kurz angebunden hatte Tobija seinen Vormund noch nicht erlebt, aber er sah keinen Grund, demütig um bessere Stimmung zu werben.

      »Es gibt Abmachungen zwischen uns«, hatte Samuel gesagt. Was für Abmachungen! Daß er Tobi genannt werden sollte, hieß nicht zwangsläufig, seinen wahren Namen zu verleugnen. Ach ja, am Lagerfeuer im Wadi hinter Ashdod hatte Tobija beteuert: »Du mußt mich keinem Menschen als Koras Sohn vorstellen.«

      Sie hatten in Tante Agathas Zimmer Platz genommen, sie halb ausgestreckt auf ihrem seidengepolsterten Liegesofa, die Männer ihr gegenüber auf einer ähnlichen Liegestatt sitzend.

      »Fang schon an mit deinem Verhör, Agatha.« Samuels Stimme klang müde. »Was willst du hören?«

      »Wie stellst du mich vor dem Jungen dar! Bin ich der Kaiser in Rom? Gewiß, vorhin erst fragte ich dich, wieso du so schnell nach Alexandria zurückkamst? Falls es wegen des Jungen ist, verstehe ich nicht, warum du ihn…«.

      »Ja, genauso ist es, es ist meintwegen!« unterbrach Tobija aufgeregt. »Ich wollte endlich einmal alles sehen: Meine einzigen Verwandten, ihr Haus, diese Stadt…« Samuel blickte Tobija an, als könne er seinen Ohren nicht trauen. Auch Agatha entging nicht, wie Tobija unsicher wurde, den Faden verlor, verstummte.

      »Na schön«, lenkte sie ein, »es muß ja nicht gleich alles auf den Tisch. Mit der Zeit werden wir schon dahinterkommen. Wenigstens eins möchte ich fürs erste klipp und klar wissen: Ist Tobija der Sohn meiner Kusine Kora?«

      Tobija nickte.

      »Und wo haltet ihr seine Schwester Debora versteckt?«

      Endlich machte Samuel den Mund auf:

      »Du gehst zu weit, Agatha! Ich schleppe die Kinder nicht hierher, um Neugier zu befriedigen. Einen Begleiter brauchte ich wie schon oft. Je älter ich werde, desto wichtiger ist es mir. Es ergab sich, daß ich keinen anderen fand als eben Tobija.«

      »Ja, so war es«, pflichtete Tobija eilfertig bei, »mich interessierte nun einmal Alexandria am meisten. Ich hätte sonst nämlich Fischer werden müssen.«

      »Etwas Vernünftiges werden mußt du so oder so«, wies ihn Samuel zurecht.

      »Ganz recht«, sagte die Hausherrin, »darum werde ich mich nun kümmern. Es klingt, als würdest du nicht gern Fischer werden?«

      »Nein, aber was sonst bleibt einem in Askalon übrig? Obendrein, wo mein Vater…«

      »Ja ja«, unterbrach sie ihn, »an den möchte ich nicht erinnert werden. Und weil du nicht Fischer werden willst, hast du auf gut Glück die unerwartete Reise nach Alexandria angetreten? Irgendetwas mußt du dir dabei gedacht haben!« Sie redete so unbeherrscht drauflos, wie sie auch ihre Trauer auszudrücken pflegte, das fiel Tobija störend auf. Ihm war, als müßte er Stacheln ausfahren. Unwillkürlich rückte er näher zu Samuel hin und fragte:

      »Muß ich darauf wirklich antworten?«

      Der väterliche Freund ließ ihn nicht im Stich und erwiderte leise: »Nicht auf Unzumutbares, obwohl du auch mich langsam neugierig machst.«

      »Es hat wirklich alles damit zu tun, daß ich nicht Fischer werden mag.«

      »Schon gut, Tobi, und heute! Was ist es jetzt?« Die Matrone auf dem Seidensofa ließ ihre wachsamen, dunklen Augen von einem zum andern flitzen, dabei kraulte sie eins der Schoßäffchen, das zu ihr auf die Kissen gesprungen war. »Jaja, mein Liebling, mein Herzenspinsel…«

      »Was es jetzt ist? Nichts anderes als daß ich nicht weiß, warum ich mich unten beim Gesinde verstecken muß. Dich, Samuel, sehe ich kaum noch! Die letzten Wochen, auf dem Weg hierher, waren wir Tag und Nacht zusammen, auch wenn du kaum mit mir gesprochen hast…« Tobija sah Samuels warnenden Blick in Richtung Agatha und fügte hastig hinzu: »Natürlich hat ein Wanderprediger mit anderen zu reden. Also, Wanderprediger oder Bote, das könnte ich auch nicht werden.«

      »Dafür bist du noch viel zu jung, das kannst du unmöglich nach unserer ersten Reise schon beurteilen, Tobi.«

      »Muß man dazu erst selber gereist sein? Von klein auf kenne ich christliche Boten! Kaum eine Woche, in der nicht einer durch Askalon kam. Und nach dieser ersten Reise weiß ich, daß ich es nicht werden kann. Verstehst du das, Samuel?« Tobijas bittende Blicke trafen auf zwei strenge, abweisende Augen, die deutlich genug zu ihm sprachen: In was steigerst du dich hinein? Worauf willst du hinaus? Bis hierher war ihm der alte Freund beigesprungen, jetzt überließ er ihn wortlos sich selbst. Tobija schlug die Augen nieder. Er wußte nicht weiter.

      »Komm einmal zu mir, junger Mann«, sagte sanft die bislang eher schneidend hohe Stimme, »ja, setz dich zu mir auf die Kline, Tobija, bitte…«

      Zaudernd ließ er sich an ihrem Fußende nieder. Das eben noch auf ihrem Schoß getätschelte Äffchen warf sie mit geübter Hand auf eines der zahlreich im Zimmer verteilten Kissen:

      »Näher, Junge, näher, wenigstens deine Hand möchte ich nehmen können. Ich habe sonst keinerlei Verwandte, einzig dich…«

      »Und Debora!«

      »Richtig, aber du bist mein einziger Neffe.«

      »Seine Mutter Kora war eine Tochter eurer Kusine, soviel ich weiß«, stellte Samuel klar.

      »Bitte, Samuel, so genau wollen wir es nicht nehmen. Er hier ist jedenfalls mein einziger Verwandter. Wie unser Kind haben wir die kleine Kusine aufgezogen, nachdem auch ihr Vater gestorben war. Mit welcher Liebe! Die beste Partie von halb Alexandria hätte sie sein können!«

      »Um welchen Preis?« mahnte Samuel leise.

      Agatha zog ihr Tränentüchlein aus den üppigen Falten ihrer bodenlangen kostbaren Tunika und preßte es kurz gegen die Augen, dann schneuzte sie sich entschlossen und setzte ein einzig für Tobija bestimmtes Lächeln auf. Sie drückte seine Hand, als wolle sie ihn ermutigen:

      »Wir beide, du und ich, werden alles besser machen. Du bist fast schon ein Mann. Du wirst begreifen, um was es geht. Tobija, mein Neffe – noch heute früh, als ich aus meinem kurzen, quälenden Schlaf erwachte und die entsetzliche Trauer mich zu Boden drückte, da hatte ich ja keine Ahnung! Wie gut es unser Schöpfer selbst im tiefsten Schmerz mit uns meint: Schickt mir meinen einzigen Neffen ins Haus, ausgerechnet in den schwersten Wochen meines Lebens! Ist das zu begreifen? Alle meine Gebete um Trost, um Hilfe, um die Stütze meines Alters…«

      »Agatha! Willst du etwa behaupten, du hättest um Koras Kinder gebetet? Oder auch nur einmal für sie?«

      »Für wen sonst hätten wir dir, Samuel, oft Sonderspenden mitgegeben?«

      »Vorsicht, Agatha, ich könnte antworten! Unterschätze Tobija nicht.«

      Achselzuckend wendete sie sich Tobija zu.

      »Ich furchte, der gute alte Samuel ist ein wenig eifersüchtig auf uns zwei? Du gehörst in dieses Haus – und es ist ja nicht unser einziges, weißt du? Alles wird dir gehören, wenn du es nur willst!«

      »Und Debora«, erinnerte sie Tobija. Ihre Hand wurde schlaff, doch das Lächeln hielt sie durch:

      »Gewiß, auch Debora, wenn sie will. Mit Mädchen, weißt du, bin ich vielleicht unwillkürlich vorsichtiger, seit das mit Kora passierte. Aber was sage ich da! Ich sehe dir an, was du meinst: Debora ist anders. Erzähle mir von ihr.«

      »Gern… äh, wie soll ich dich nennen?«

      »Was für eine Frage? Tante!«

      »Einfach nur Tante?«

      »Ich bin deine Tante Agatha, oder gibt es noch andere, die sich einmischen könnten? Von deinem Vater etwa?«

      »Nein. Debora und ich leben seit Mutters Tod bei unsern Pflegeeltern Sebastian und Miriam. Sie haben ein kleines Gehöft mit Landwirtschaft: Oliven, Pistazien, Mandelbäume, Obst, etwas Weinbau. Und selber drei Kinder, Eva, Abel und David.«

      »O weh, hoffentlich genügend