Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Название Abschied von Askalon
Автор произведения Eva Rechlin
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711754245



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den Kopf:

      »Kann ich nicht sagen. Es lenkte ihn gerade ein Lieferant vom Hafen ab, den Agatha geschickt hatte, mit angeblich frischen Meeresfrüchten: Krebstieren, Muscheln, Tintenfischen…«

      Diesmal unterbrach Tobija den Erzähler:

      »Warum nennst du sie ›angeblich frisch‹? Kannst du das beurteilen?«

      »Man muß kein Fischer sein, mein Lieber, um zu erkennen, wie lange ein Fisch schon tot ist!«

      »Angelas Lieblingsspeisen«, hörten sie Samuel sagen, »ihre Schwester Agatha meinte es gut mit ihr und verwöhnte die Ältere.«

      »Also, ich hätte das Zeug nicht mehr gegessen!« gestand Thomas, »selbst der Pförtner rümpfte die Nase, aber er mußte die Ladung durchlassen, schickte den Lieferanten in die Küche.«

      »Ist Tante Agatha geizig?« fragte Debora. Mit einem Blick auf Samuels aschfahles Gesicht entschuldigte sie sich: »Verzeih bitte, du hast jetzt wichtigere Sorgen.«

      »Ja, Kind, wie ich nach Alexandria komme!«

      Thomas schüttelte seine Botentasche, daß die Münzen darin klirrten und sagte:

      »Damit bringen dich die Fischer von Askalon sogar bis ans Nildelta! Dort hat längst die Nilschwemme begonnen.«

      »Reicht es auch für uns beide? Du wolltest doch nach Jerusalem, zu deinen Eltern?«

      »Ich konnte mich seit Monaten nicht mehr um sie kümmern!«

      Samuel nickte. Er schlug vor, erst einige Stunden zu schlafen.

      »Dann werden wir weitersehen.«

      Die Nacht kam rasch und kühl.

      Verschiedene Wege

      Die drei Männer teilten sich die Nachtwache. Debora und die beiden jeweils Schlafenden lagen dicht beieinander in hastig gegrabenen Sandwannen zwischen dem großen Lagerstein und dem klein gehaltenen Feuer, das Raubtiere auf Distanz halten sollte: Schakal und Hyäne, aber auch Skorpione.

      Über die Judäischen Berge stieg der fast volle Mond mit seinem bleichen Licht unter dem wolkenlosen Sternenmeer auf, das Nacht und Erde färbte.

      Die vier Menschen hatten sich beim bereits schwindenden Tageslicht zur Ruhe gelegt. Debora war als erste eingeschlafen, tief und traumlos wie schon während der Mittagsrast. Plötzlich, als legte sich in ihr eine Spannung auf die Lauer, wurde sie durch irgendwas geweckt. Blinzelnd lauschte sie in die Stille. Sie hörte Samuel aufstehen und Thomas, der sich in seine Sandkuhle legte, bald darauf tief und gleichmäßig atmen. Hellwach richtete sie sich halb auf. Seinen Stab in der Hand stand Samuel auf der anderen Seite des Feuers, mit dem Rücken zu ihr. Debora wartete, bis Samuel sich auf einen flachen Stein niederließ, dann reckte und schüttelte sie sich, fuhr sich mit den gespreizten Fingern mehrmals durch ihr dunkles Haar und ging vorsichtig um das Feuer herum.

      »Darf ich mich zu dir setzen, Samuel?« flüsterte sie.

      »Gern, Debora, gern.«

      Behutsam wälzte sie einen glatten Stein neben seinen. Ein Weilchen saß sie stumm und unsicher neben ihm, schließlich legte sie ihre kleine weiche Hand über seine große knochige.

      »Frag mich nur«, hörte sie ihn leise sagen, »was du mich fragen wolltest!«

      »Danke, Samuel. Du hast sie sehr lieb, Tante Angela? Und sie dich?« Sie vermied es, ihn anzusehen, bemerkte trotzdem, daß er sich ihr halb zuwandte und sie musterte. Prüfend? Argwöhnisch? Doch dann antwortete er: »Wahrhaftig, du bist alt genug. Ich hingegen komme dir dafür vermutlich zu alt vor? Aber die Liebe altert nicht, erst recht nicht, wenn sie länger als dreißig Jahre gefangen gehalten wird. Ja, ich liebe Angela.«

      »Hast du es ihr nie gesagt?«

      »Es hätte ihr Prüfungen abverlangt, für die sie zu zart war. In Gewissensnöte hätte es sie gestürzt! Was hätte sie dafür aushalten müssen?«

      »Du hast es ihr also nie gesagt?«

      »Sie wußte es, auch ohne Geständnisse. Es gibt ja wortlose Beweise. Ich bin sicher, sie wußte es, seit dreißig Jahren.«

      »Und sie? Liebte sie dich ebenso?«

      »Gehofft habe ich es immer, oft auch gespürt. Es zu wissen, ist eine andere Sache. Man braucht Beweise, Berührungen, Geständnisse, Zeichen. Dazu gehörte in unserem Fall mehr als Mut, fast schon Verzweiflung. In dieser Verzweiflung ließ ich sie allein. Ja, erst heute weiß ich, was Angela ausgehalten haben muß.«

      »Und du?«

      »Ich kann nur beten, sie noch lebend anzutreffen.«

      »Und wenn sie nicht mehr lebt?«

      Samuel schwieg, den Blick starr auf Kiesel und Sand zu seinen Füßen gerichtet, der in der sternhellen Mondnacht wie Kristallstaub schimmerte.

      »Und wenn sie nicht mehr lebt…, weil sie nicht mehr leben wollte, vielleicht. Nein nein: nicht mehr konnte! Du kannst das nicht verstehen, Kind.«

      »Nein«, gab Debora zu, »ich verstehe es nicht. Wenn man so reich ist, sich alle Wünsche erfüllen kann, keine Sorgen kennt – und… ist sie wirklich schwer krank? Wir haben manches über die Tanten erfahren, aber von Krankheit höre ich zum ersten Mal!«

      »Nein, nein, von schwerer Krankheit kann keine Rede sein. Eure Tante Angela neigt höchstens zu gewissen Anfälligkeiten, besonders gegenüber Speisen. Es kommt jedesmal wie aus heiterem Himmel, ich habe es schon miterlebt: Eben noch speiste sie mit Appetit und gut gelaunt, und dann, wenig später diese Übelkeit, Schmerzen, Koliken, oft Erbrechen. Wie kläglich lag sie jedesmal da! Trotzdem ließ sie es nicht zu, daß ein Arzt gerufen wurde.«

      »Ich finde, das klingt sehr krank«, erwiderte Debora.

      Samuel schüttelte den Kopf:

      »Es peinigt sie nicht ständig. Es kommt nur hin und wieder und geht ebenso vorüber. Was sie wirklich quält, sitzt tiefer. Von Mal zu Mal sehe ich sie daran… mehr verkümmern. Als versickere aus ihr alle Freude, alle Kraft. Wie ein Brunnen, der versiegt. Sie wehrte sich nicht mehr gegen Agathas Geschäftigkeit, obwohl es ihr oft auf die Nerven ging. Agatha ist von beherrschendem Wesen; die beiden sind sehr verschieden, die Ältere empfindsam, klug, kultiviert, leise, behutsam – die Jüngere in allem laut, aktiv, geschäftig, durchdringend. Das soll keine Abwertung sein. Ihr beide seid ja auch verschieden.«

      »Tobija und ich? Aber doch nicht so!«

      »Nicht so. In anderer Beziehung. Eure Tante Agatha ist deswegen ja nicht unsympathisch. Auch sie hat Qualitäten, gerade dank ihres energischen Wesens, vor allem ihre Anhänglichkeit, die Liebe zu ihrer älteren Schwester. Darum würde sie es auch nicht verwinden…«

      »Was, Samuel?«

      »Sie wird es nicht verwinden, die geliebte ältere Schwester zu verlieren.« Er schluchzte trocken auf, dann wandte er sich ihr zu und sagte leise: »Vielleicht wird es nötig, daß ich euch mitnehme nach Alexandria, dich und Tobija.«

      »Haben die Tanten jemals darüber gesprochen?« fragte sie atemlos.

      Samuel wich aus:

      »Angela könnte es jetzt zu sehr aufregen, falls sie noch… Nein, ich muß mich als erstes um sie kümmern. Nur um sie. Und auch mit Agatha darüber sprechen. Ach, Kind, wie sehr habe ich mich in mehr als dreißig Jahren jedesmal auf Alexandria gefreut! Wie glücklich brach ich auf… Zum ersten Mal habe ich Angst davor.«

      Debora legte ihre schmale, warme Hand auf seine, streichelte ihn sanft und versprach:

      »Wir lassen dich nicht allein, Samuel. Irgendetwas wird uns einfallen. Laß mich nachdenken…«

      Beide hatten nicht bemerkt, daß es sich hinter ihnen, zwischen Feuer und Felsbrocken rührte. Seit Minuten bereits lag Tobija wach und lauschte in die nächtliche Stille, in der einzig dann und wann ein brennender Ast knackte und das anfängliche Flüstern