Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Название Abschied von Askalon
Автор произведения Eva Rechlin
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711754245



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Verwandte. Leider ist sie nur zweiunddreißig Jahre alt geworden, ein Jahr älter als unser Vater.«

      »Simon ist also ertrunken?« fragte Thomas.

      »Das ist auch so etwas«, fiel Tobija lebhaft ein, »das die Fischer an mir nicht mögen. Daß mein Vater ebenso wie mein Großvater ertrunken ist. Als klebte Unglück an uns, verstehst du?«

      »Das bildest du dir ein«, protestierte Debora, »die meisten Fischerfamilien in Askalon haben Tote im Meer zu beklagen!«

      Thomas spürte, daß die Geschwister deswegen uneins waren, und er versuchte schleunigst abzulenken:

      »Wieso hat eigentlich die reiche und hochgebildete Erbin Kora aus Alexandria einen Fischer aus Askalon geheiratet? Sie muß wohl noch ziemlich jung gewesen sein!«

      »Neunzehn, kein bißchen zu jung. Und was für eine Frage: Natürlich heirateten sie, weil sie sich liebten!«

      »Natürlich. Sie liebten sich. Seht ihr eurer Mutter ähnlich?«

      »Debora«, sagte Tobija, »das sagen alle, die unsere Mutter kannten.«

      »Also war sie nicht nur reich und gebildet, sondern obendrein sehr… mh, also, sagen wir, sehenswert?«

      »Sie war schön!« belehrte ihn Tobija, dessen Schwester den Kopf plötzlich gesenkt hielt. »Sie war so schön, daß sie unserem Vater auf der Stelle auffiel, als er einmal bis nach Alexandria gelangte! Das Nildelta zählt nicht gerade zu den Fanggründen judäischer Fischer. Die Ägypter würden sich das auch verbitten. Dort muß es ja bunt zugehen. Warst du schon öfter im Delta, Thomas?«

      »Oft genug. Aber, wenn nicht als Fischer, wie kam euer Vater nach Alexandria?«

      »Ganz einfach: Mit Samuel. Einen Wanderprediger wie Samuel begleiten zu dürfen, gilt als Ehre! Besonders jüngere Brüder und Schwestern aus den Gemeinden möchten mit ihm gehen. Einmal im Leben wollte das auch unser Vater. Er begegnete Samuel, als dieser mit den Fischern von Askalon nach Rapha fuhr. Er hat es uns oft erzählt, wie er durch Samuel auch die reichen Schwestern Eugenios kennenlernte.«

      »Als wäre Samuel immer alt gewesen«, meinte Thomas lachend, »heute ist er drei- oder vierundfünfzig, wie er mir erzählt hat.«

      Debora war unvermittelt stehengeblieben. Sie sah sich zweifelnd um, schüttelte den Kopf und schlug vor, vom Strand nach Osten abzubiegen und auf der Römerstraße weiterzugehen, die Samuel, wenn er allein unterwegs war, des besseren Schutzes wegen bevorzugte. Außerdem ließe er sich gern von Wagen mitnehmen.

      Thomas war einverstanden, zumal sie sich der etwas landeinwärts gelegenen Ortschaft Ashdod näherten und die Sonne längst steil über ihnen brannte. Höchste Zeit, einen Brunnen und Schatten zu suchen und zu rasten.

      Auf der Straße hielten sie jedes Wagengespann und jeden Reiter an und fragten, ob ihnen Samuel begegnet wäre? Einer wußte, daß jener sich vor ungefähr zwei Tagen von Joppe südwärts auf den Rückweg nach Askalon gemacht hatte.

      »Samuel hatte es nicht eilig, er wollte im Wadi Jamnia Nomaden oder Hirten besuchen, müßte sich jetzt also ebenfalls Ashdod nähern, wenn auch aus entgegengesetzter Richtung.« Als die drei das gehört hatten, beschlossen sie, bei Ashdod unmittelbar an der Straße zu rasten, damit ihnen der Gesuchte ja nicht entginge. Im spärlichen Schatten eines Wacholdergebüschs ließen sie sich im Straßenstaub nieder, tranken ausgiebig, aßen ein wenig und warteten, daß die Sonne den Zenit überschritt. Besorgt beobachteten beide, daß Debora, kaum daß sie sich im warmen Sand ausgestreckt hatte, einschlief. Leise fragte Thomas:

      »Macht sie etwa schlapp? Hält sie nicht viel aus?«

      Tobija schüttelte nachdrücklich den Kopf:

      »Im Gegenteil, sie kann zäh sein wie ein Esel und stundenlang lebendig wie ein Delphin.«

      In Wirklichkeit kam es ihm auch merkwürdig vor, und er dachte daran, wie unausgeschlafen und fahrig sie am Morgen gewesen war – und wie aufgeregt sie darum gekämpft hatte, Thomas zu begleiten. Eine Ahnung dämmerte ihm, die er sofort wieder verscheuchte. Wie konnte er Debora verdächtigen? Und hätte sie ein Geheimnis vor ihm verbergen können?

      »Laß mich zuerst wachen«, schlug er Thomas vor, »ich kann jetzt nicht einmal dösen, ich bin viel zu gespannt auf Samuel. Er ist unser Vormund, sogar amtlich. Unsere Eltern hatten ihn bald nach Deboras Geburt dazu bestimmt, vorsichtshalber.«

      »Auch ich bin zu munter«, gestand Thomas. Sie unterhielten sich leise: »Wie alt ist deine Schwester?«

      »Zwei Jahre jünger als ich.«

      »Und du bist vierzehn?«

      »Nur noch wenige Wochen, auch Debora ist schon eher dreizehn. Wir waren noch nie getrennt. Das stört mich nämlich an der Fischerei: Daß ich meine kleine Schwester so lange allein lassen muß.«

      »Aber ihr habt die liebevollsten Pflegeeltern, außerdem ist Debora keine kleine Schwester, sondern bald heiratsfähig.« Tobija lachte.

      »Debora eine Frau? Was hast du bloß für Augen?«

      Thomas blieb ernst:

      »Klare. Du bist ein typischer großer Bruder. Ist ja gut und richtig, daß du sie beschützt. Und wenn du schon fünfzehn bist, wirst du ja auch bald ein Mann.«

      »Ich mag solches Gerede nicht. Was interessiert dich überhaupt ihr Alter?« erwiderte Tobija düster.

      »Mich interessieren meine Weggefährten, besonders wenn sie so reizend und gebildet sind wie ihr beide. Daß ihr füreinander eintretet, ist verständlich, nachdem ihr die Eltern so früh entbehren mußtet. Ist eure Mutter auch ertrunken?« »Nein. Sie hat Vaters Tod ja noch ein Jahr überlebt, aber frag mich nicht, wie! Kränklich war sie wohl von Anfang an, vielleicht auch nur zu zart für das harte Leben einer Fischersfrau. Die Tanten in Alexandria hatten sie sehr verwöhnt. Weißt du, sie hat viel von ihnen erzählt, denn es war ihr nicht gleichgültig, daß sie sie enttäuscht hatte, mit der Heirat, meine ich. Sie hat buchstäblich alle Brücken nach Alexandria hinter sich abgebrochen, so sehr liebte sie Simon. Kein Wunder, daß die reichen Tanten die junge Erbin verstießen.« Verstohlen musterte Thomas den Jungen neben sich und fragte:

      »Findest du das einleuchtend? Hätten die Tanten nicht Verständnis für das junge Paar haben können?«

      »Aber er war ein Fischer, Thomas! Kein kultiviertes Heim, keine vornehme Erziehung, keine wirtschaftliche Sicherheit. Er besaß nur ein einigermaßen seetüchtiges Fischerboot und die elterliche Hütte am Strand. Wie sollten die Tanten verstehen, daß Kora dafür alles zurückließ, was sie ihr zu bieten hatten? Ich meine, sie empfanden ihre Kusine Kora als undankbar. Meine Mutter hat es selber so genannt – undankbar!«

      »Hat Koras Geschichte nicht auch eine andere Seite?«

      »Ja, gewiß, dafür hat sie sich ja entschieden, aber findest du nicht auch, daß man beide Seiten verstehen muß? Einfach abgesprungen, ins kalte Wasser, trotz ihrer Zerbrechlichkeit muß sie eine riesige Kraft in sich gehabt haben. Meinst du nicht auch?«

      »Ihr Gewissen«, sagte Thomas.

      »Wäre denn jede andere Entscheidung gewissenlos gewesen? Sie war verliebt.«

      »Sie liebte, Tobija.«

      »Manchmal, stelle ich mir vor, kann Liebe auch ziemliche Verrücktheit sein, eine schöne Verrücktheit meinetwegen. Was aber hat das mit Gewissen zu tun? Ich sehe dir an, was du denkst, Thomas. Du denkst, daß es mir nicht zusteht, die Sache zu beurteilen.«

      »Hauptsache, du ver-urteilst nicht, Tobija. Eure Mutter konnte nur einen Weg gehen.«

      Tobija nickte, schwieg ein Weilchen, sagte schließlich leise: »Aber wir kommen in ihrer Geschichte auch noch vor. Wir, ihre Kinder.«

      »Und Simons Kinder!« mahnte Thomas.

      »Jaja, und Simons. Da kommen welche aus Ashdod.«

      »Von Süd nach Nord, wie wir. Immer noch kein bißchen müde, Tobija?