Die Skrupellose - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Skrupellose - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445015



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er kaute, sah, wie sie die Lippen um den Rand der Tasse legte, wie sie trank.

      Er wurde mutiger.

      »Bist du allein?«, fragte er.

      Sie warf ihm einen verschmitzten Blick zu.

      »Kommt ganz darauf an.«

      »Wie meinst du das?«

      »Ich werde weggehen. Ich habe vor, aufs Land zu ziehen, auf einen ganz wundervollen Bauernhof. Ein paar Freunde und ich wohnen dort zusammen.«

      »Du ziehst um?«

      »Yes.«

      »Was! Aus so einer Wohnung?«

      »Ach, das ist doch nur eine Mietwohnung.«

      »Ja und?«

      »Sie wird zu teuer, die Wohnungen sollen bald alle renoviert werden, und danach werden die Mieten bestimmt ordentlich in die Höhe schießen.«

      Er erstarrte. Was würde aus seinem Putzjob werden, wenn das Haus umgebaut wurde?

      »Davon habe ich noch gar nichts gehört«, sagte er wachsam.

      »So ist es aber. Vor ein paar Tagen kam ein Rundschreiben. Aber das ist nicht alles. Ich habe auch noch andere Gründe, zum Beispiel den Stress und die Luftverschmutzung. Hier in der Stadt wird das alles immer schlimmer. Das ist nicht gesund.«

      »Nein«, sagte er dümmlich.

      »Ist dir das schon mal aufgefallen? Hier in der Stadt werden die Leute immer mehr wie Roboter. Sie leben nicht. Sie funktionieren wie Maschinen. Das Menschliche ist dabei, völlig zu verschwinden. Die Leute sehen einander nicht mehr, wenn jemand in der U-Bahn liegt, gehen sie einfach vorbei. Vor ein paar Jahren war das noch nicht so.«

      »Da magst du Recht haben«, murmelte er.

      »Die Leute reden nicht mehr miteinander. Sie reden – aber sie tun das mit ihren Handys, nicht wie früher, von Mensch zu Mensch.«

      Sie war aufgestanden und atmete jetzt schnell.

      »Meinst du nicht, du übertreibst ein bisschen?«, sagte er.

      Sie sah ihn ernst an.

      »Das glaube ich nicht. Ich sehe, in welche Richtung sich alles entwickelt. Jedenfalls will ich nicht mehr in der Großstadt wohnen. Ich empfinde dieses Leben als unwürdig.«

      Er nickte.

      »Wir sind ein paar Leute da oben, eine kleine Kommune, wenn man so will. Eine Hand voll Menschen, die den Stress und den technischen Fortschritt satt haben.«

      »Aha?«

      »Wenn du Lust hast, kannst du mitkommen und es dir anschauen.«

      »Ich?«

      »Ja.«

      Er zuckte mit den Schultern.

      »Es ist ziemlich weit zu fahren, es wäre schön, ein wenig Gesellschaft zu haben. Aber du hast vielleicht schon andere Pläne.«

      Er dachte fieberhaft nach.

      »Nicht unbedingt.«

      »Nein, schon gut, du machst natürlich, was du willst. Es war nur so eine Idee.«

      »Das kam jetzt nur ein bisschen plötzlich.«

      »So ist das mit den günstigen Gelegenheiten im Leben.«

      Er schnitt ein Stück Käse ab und schob es sich nachdenklich in den Mund.

      »Wann fährst du denn?«

      »Na ja, viel Zeit zum Nachdenken bleibt dir nicht, ich haue schon heute Abend ab. Ich muss vorher nur noch ein paar Dinge erledigen.«

      »Aha.«

      »Hast du einen Führerschein?«

      »Doch, schon.«

      Sie setzte sich wieder hin und ergriff über den Tisch hinweg seine Hände. Ihr Mund war weich und sanft.

      »Irgendwie habe ich das Gefühl, es sollte so kommen«, sagte sie. »Ich weiß nicht ... aber du hast was, Daniel, ich habe eine gute Menschenkenntnis, ich spüre das Pendel in mir, und in diesem Moment schlägt es in die richtige Richtung aus. Das tut es nur bei Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, ihnen trauen zu können.«

      Er war jetzt völlig entspannt. Sie stand auf, ihr Po war weich und birnenförmig, sie stand auf den Zehen und öffnete einen Schrank. Sie machte ihn wahnsinnig geil.

      Ganz ruhig, schoss es ihm durch den Kopf, vermassel es jetzt nicht.

      Sie drehte sich um, griff sich in die Haare, löste sie und zog sie wieder zu einem Pferdeschwanz zusammen. Durch den Pullover sah er die Konturen ihrer Brustwarzen.

      »Im Ernst, hättest du nicht vielleicht Lust, eine Zeit lang mitzukommen?«, sagte sie und ihre Zungenspitze strich über die Unterlippe. »Zumindest probehalber? Du könntest mir helfen, meinen alten Volvo hochzufahren. Vielleicht kannst du ja mein neuer Gehilfe werden?«

      Er wollte schon antworten, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Es kam aus einem der geschlossenen Zimmer, die an den Flur grenzten. Es klang wie ein Kind.

      17. Angelica

      Sie hatte Durst, und ihr taten die Kiefer weh. Sie weinte, aber lautlos und ohne Tränen. Die Tante war im Zimmer gewesen. Sie hatte ihr ein Glas an den Mund gesetzt, aber das Wasser war gegen die Zunge gelaufen, über das Kinn den Hals hinabgesickert und ihr in den Rücken gelaufen.

      »Du musst trinken«, sagte die Tante, und ihre Stimme klang gepresst, wie bei Leuten, die es eigentlich eilig haben. Magda, dachte sie, Magda klang manchmal so, und Sehnsucht wallte in ihr auf. Dann erinnerte sie sich wieder an das Fest, aber nur ganz vage, so als würde es davontreiben, und hinter ihrer Stirn pochte es, sie war krank. Ich will zu Hause bleiben, ich will mich nicht anziehen und in den Kindergarten gehen. Aber Mama hatte mit dem neuen Kleid vor ihr gestanden, »und du darfst auch das Diadem anziehen, das Papa dir aus Bukarest mitgebracht hat«. Nach diesen Worten hatte sie es geschafft, den Kopf aus dem Kissen zu heben. Sie wollte es auf der Stelle anziehen, aber erst musste sie Pipi machen gehen, und ihre Mama meinte, sie müsste auch geduscht werden, aber als sie das sagte, hatte Angelica wie am Spieß geschrien, denn sie dachte an den kalten Wasserstrahl auf ihrem Bauch. Schon lange bevor sie in die Badewanne stieg, konnte sie ihn spüren. »Um Himmels willen, Kleines, dann eben nicht«, sagte Mama. »Aber du musst dich beeilen, beeil dich, Angelica, sitz nicht da und träum, du weißt, dass wir es eilig haben.«

      Sie brachte an diesem Morgen keinen Bissen herunter. »Okay, dann frühstückst du eben im Kindergarten.« Aber sie hatte geweint, als sie an den runden Tisch und die Geräusche dachte, mit denen die Löffel über die Teller schabten. »Heulst du schon wieder, Kleines, was zum Teufel ist denn heute los mit dir?«

      Mamas Hand hatte ihren Arm gepackt, sie waren durch den Keller und in die Garage gelaufen, es hatte nach Benzin gerochen, sie musste immer liegen, wenn sie Auto fuhren, denn sonst drehte sich alles und ihr wurde schwindlig und übel und sie musste sich übergeben. »Nimm die Tüte und halt sie dir vor den Mund, ich will nicht, dass du dein Kleid schmutzig machst, wo du doch heute so schick bist. Hast du das Diadem richtig angezogen? Er ist selber schuld, wenn etwas passiert.«

      Sie war wütend gewesen, als sie ging, aber das wusste außer Angelica niemand. »Mama hat es eilig«, sagte Magda, »aber sie kommt ja nachher zu dem Fest, das wir feiern wollen.« »Mamas haben es immer eilig«, hatte Josefina gesagt und damit alle Erzieherinnen zum Lachen gebracht. Erst war es einen Moment lang ganz still geworden, und dann hatten sie lauthals losgelacht, sodass es ihr rot und heiß vor den Augen geworden war.

      Sie wurde getragen, ein harter und schmutziger Geruch drang an ihre Nase. Ein Auto, das sich bewegte, sie lag auf kariertem Stoff. Sie wollte sich aufrichten und weglaufen, aber eine seltsame Trägheit hatte Besitz von ihr ergriffen, so als schaukle sie auf Wellen. Und der Mann sagte: »Du wirst jetzt ganz ruhig und still sein und an die Kokons denken. Am Ende werden daraus wunderhübsche