Falling Skye (Bd. 1). Lina Frisch

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Название Falling Skye (Bd. 1)
Автор произведения Lina Frisch
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783649636410



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würde es sich unpassend anfühlen. Zum Glück scheint mein Vater das ähnlich zu empfinden. Doch als ich schon den ersten Schritt in Richtung der roten Markisen vor dem Bahnhof gemacht habe, hält seine feste Stimme mich noch einmal zurück.

      »Als meine Einwanderung nach Amerika bewilligt wurde, habe ich mich sofort an der Cremonte-Uni beworben. Natürlich hieß sie damals noch anders, aber ihren guten Ruf hatte sie schon zu meiner Zeit. Ich musste mit drei Koffern vier Mal umsteigen und zwei Stationen hatten auch noch defekte Rolltreppen.« Dad lächelt. »Habe ich dir jemals erzählt, wie nervös ich war? Damals hatte ich noch einen ordentlichen schwedischen Akzent und glaubte, niemals mit dem Tempo der Professoren mitzukommen.«

      Du hast mir nie etwas von alldem erzählt, denke ich mit einem Anflug von Traurigkeit. Auf einmal spüre ich die Hand meines Vaters auf meiner Schulter.

      »Du bist wie ich, Skye, das warst du immer schon. Du schaffst alles, was du dir vornimmst. Wenn du willst, fahren wir in den Sommerferien zusammen nach Long Island und schauen uns schon mal auf dem Campus um. Die Aufnahme an der Cremonte-Uni könnte unsere Familientradition werden, was hältst du davon?«

      Eine Lautsprecherdurchsage dringt aus dem Inneren des Bahnhofs heraus, und ich greife nach meinem Koffer, um die Hitze auf meinen Wangen zu verbergen.

      »Klingt gut, Dad. Aber wenn ich jemals an der Cremonte landen will, sollte ich den Zug jetzt nicht verpassen.« Ich lächle ihm zu.

      Mein Vater tritt zurück und öffnet die Fahrertür, bevor er es sich doch noch einmal anders überlegt und mich über das regennasse Autodach hinweg mit einem ernsten Blick bedenkt. »Sie werden es euch nicht leicht machen, Skye, aber du darfst nicht vergessen, wer du bist. Was auch immer im Zentrum passiert, verteidige deinen Platz. Nur weil –« Er stockt und sieht mich an. »Gib ihnen einfach keinen Grund, an dir zu zweifeln, in Ordnung?«

      Diese kryptischen Andeutungen passen so gar nicht zu meinem Vater, der mich normalerweise mit seinen überkorrekten Befehlen nervt. Er steigt ins Auto.

      »Dad?« Ich hämmere gegen das Fenster der Beifahrertür und kümmere mich nicht um die dicken Regentropfen, die mir in den Nacken laufen. »Was soll das heißen, Dad?«

      Der Motor des Wagens brummt ungeduldig, aber mein Vater lässt die Fensterscheibe noch einmal herunter. »Geh in den Bahnhof.«

      Ich rühre mich nicht vom Fleck, obwohl der Regen nun mit voller Wucht auf meinen Kopf prasselt. »Warum soll ich meinen Platz verteidigen? Was passiert im Zentrum?«

      Mein Vater löst meine klammen Finger von der Scheibe. »Wir wollen doch nicht so aussehen, als würden wir aus diesem Abschied eine Szene machen, oder?« Sein vertraulicher Ton von eben ist fort und seine Stimme klingt so nüchtern wie immer. Frustriert schultere ich meinen Rucksack.

      »Skye?« Ich drehe mich ein letztes Mal um. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«

      Das Auto fährt mit den Antworten auf meine Fragen davon und lässt mich inmitten einer Herde von Expektanten zurück, die mich schicksalsergeben mit sich ins Bahnhofsinnere zieht.

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      »Bescheid und Identifikation.« Zwei Mal pro Eingang hallt diese Anweisung durch die weitläufige Bahnhofshalle. »Bescheid und Identifikation.« Ich halte der Frau, auf deren Anorak ein rundes O prangt, mein Smartphone mit den geöffneten Dokumenten entgegen.

      »Gleis 4, der Zug nach Bezirk F«, sagt die rothaarige Ordnungswahrerin und gibt mir mein Smartphone zurück.

      Bezirk F?

      »Ich komme aus New York«, stelle ich verwirrt klar. »Ich werde hier getestet.«

      »Das ist wegen der dreifachen Anzahl von Expektanten in diesem Jahr nicht möglich«, erwidert die Ordnungswahrerin gelangweilt, als hätte sie diesen Umstand heute schon tausend Mal erklären müssen. »Hier in Bezirk A bleiben nur die Expektanten, die dieses Jahr regulär zur Testung einberufen worden wären. Die Sechzehn- und Siebzehnjährigen mussten wir aufteilen. Sieh es positiv, in F scheint wenigstens die Sonne.« Sie tritt zur Seite und winkt den Jungen hinter mir heran, sodass mir keine andere Möglichkeit bleibt, als weiterzugehen.

      Um diese frühe Uhrzeit brummt es in der Ankunftshalle sonst von Pendlern, doch heute sehe ich nur Jungen und Mädchen in meinem Alter, die alle zu wissen scheinen, wo sie hinmüssen, während mein Koffer und ich völlig durchnässt in unserer eigenen Regenwasserpfütze stehen. Auf einer Anzeige wechseln sich das Wetter, die Zeit und das Datum ab. Der dritte Juni. Du bist jetzt sechzehn Jahre alt, denke ich und dränge die heißen Tränen zurück. Entschlossen laufe ich los und steuere auf den Bahnhofsplan zu, vor dem sich bereits eine Traube von Expektanten versammelt hat. Einige von ihnen tragen das Logo der Serenity auf ihren Rucksäcken oder Jacken, und ich klammere mich an die Hoffnung, nicht als Einzige nach F geschickt zu werden. Ein paar bekannte Gesichter würden allem, was hier vorgeht, wenigstens einen Hauch von Normalität verleihen.

      Helles Licht blendet mich von oben. Mein Blick fällt auf die Ordnungswahrer, die von der Ballustrade aus auf uns hinabschauen. Durch die exakt gleichen Abstände, mit denen sie sich postiert haben, erinnern sie mich an Spielfiguren, die ein besonders ordentliches Kind aufgestellt hat. Jeder zweite von ihnen kehrt uns den Rücken zu, und ich begreife, dass die Hälfte von ihnen die Parkstreifen rund um den Bahnhof beobachtet, wo wir uns von unseren Eltern verabschiedet haben. Auf einmal ergeben Dads Eile und die fehlende Umarmung einen Sinn. Ich senke meinen Kopf und tue so, als hätte ich die Augenpaare über uns nicht bemerkt. Wir sind zwar noch nicht im Zentrum angekommen, aber unsere Testung hat schon längst begonnen.

      Ich folge den Pfeilen, die mir den Weg zu Gleis 4 weisen. Um mich herum werden Reiserucksäcke und Koffer durch die Gegend getragen. Ich klammere mich an den Griff meines eigenen, bis ich vor den Stufen einer Rolltreppe stehen bleibe.

      »Zweifel in letzter Minute?«

      Beinahe wäre ich gestolpert, aber jemand schiebt meinen Koffer und mich auf das Band und ich finde gerade noch rechtzeitig mein Gleichgewicht wieder. Als ich mich umdrehe, empfängt mich ein breites Lächeln.

      »Manchmal ist ein kleiner Anstoß alles, was nötig ist«, fügt das blonde Mädchen auf der Stufe unter mir augenzwinkernd hinzu.

      Ich werfe einen Blick zurück auf die Traube von Expektanten unter uns. »Es tut mir leid, wenn ich den Verkehr aufgehalten habe«, entschuldige ich mich.

      Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Kein Problem. Ich habe es nicht besonders eilig, für unbestimmte Zeit in einen Zug voller aufgedrehter Jugendlicher gesperrt zu werden.« Sie grinst mich verschwörerisch an, als würden wir beide nicht zu dieser verwerflichen Gruppe zählen, und ich lächle zurück. Eine Art träumerische Selbstsicherheit umgibt sie, die überhaupt nicht angeberisch wirkt. Ich mag sie auf Anhieb.

      Wir folgen einem langen Gang, durch dessen Fenster die ersten Sonnenstrahlen des Tages fallen.

      »Bezirk F, nehme ich an?«, fragt das Mädchen und ich nicke. »Ich bin übrigens Luce.«

      Mit ihrer durchscheinend hellen Haut und den weißblonden Haaren, die ihr wirr über den Rücken fallen, gibt es keinen Namen, der besser zu ihr passen würde.

      »Skye«, sage ich und halte Luce die Hand hin, was mir im selben Moment furchtbar albern vorkommt. Doch Luce ergreift sie mit völliger Selbstverständlichkeit.

      »Na dann, auf in den Kampf«, verkündet sie, als sich die letzte Schiebetür zum Bahnsteig öffnet und einen silbernen Schnellzug enthüllt, der auf den Schienen liegt wie eine gigantische schlafende Schlange.

      Ich folge Luce hinaus und kontrolliere ein letztes Mal, ob wir am richtigen Gleis angelangt sind. Hier draußen in der kühlen Morgenluft, fernab der klammen Abschiedsstimmung der Halle, fühle ich ein Kribbeln in mir aufsteigen. Ich werde verreisen, vielleicht sogar das Meer sehen – auf jeden Fall aber an einen Ort kommen, an dem mich nichts an die Vergangenheit erinnern wird. Und nach diesen vier Wochen bin ich eine Traitträgerin. Eine Rationale, ergänze ich in Gedanken. Eine Rationale, die endlich frei von jedem Zweifel