Vor dem großen Knall. Emma Vall

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Название Vor dem großen Knall
Автор произведения Emma Vall
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711465783



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bislang keine Klasse geschafft, ihn loszuwerden. Die Erwachsenen begriffen gar nicht, wie verletzend und gemein er im Klassenzimmer war, denn auf den Elternabenden mimte er immer den freundlichen, lustigen Lehrer.

      Svala war völlig in Gedanken versunken, als sie das Zelt betrat. Es wurde gerade geprobt. Schon von draußen hatte sie Hip-Hop-Klänge gehört. Sie sah nur die Rücken von einer Gruppe Mädchen, die unglaublich gut tanzten.

      Wenn man die Musik hörte und den Tänzerinnen zuschaute, konnte man einfach nicht sitzen bleiben. Als sie sich plötzlich umdrehten, musste Svala allerdings nach Luft schnappen.

      Denn eine der Tänzerinnen, zu allem Überfluss auch noch die, die sich am tollsten bewegte, war Nesima. Sie trug eine schlabberige schwarze Hose, ein enges schwarzes Top und strahlte, anscheinend war sie allerbester Laune. Svala ärgerte sich. Hatte sie nicht einmal hier ihre Ruhe vor der Dalen-Clique? Konnte sie Katja und das Theater nicht für sich allein haben?

      Katja unterbrach die Tänzerinnen, indem sie begeistert in die Hände klatschte.

      »Super! Ihr müsst unbedingt beim Stück mitmachen!«, rief sie. »Oder?« Katja warf einen Blick in die Runde und alle Zuschauer außer Svala lächelten ihr zustimmend zu. Anscheinend fanden sie Hip-Hop bei ›Romeo und Julia‹ ausgesprochen originell. Die Tänzerinnen sprangen von der Bühne und redeten angeregt mit Katja.

      Svala dagegen verdrückte sich aus dem Zelt und ging nach Hause, bevor Nesima sie entdecken konnte.

      Auf ihrem kurzen Schulweg am nächsten Morgen hatte Svala schlechte Laune. Sie fand es furchtbar, dass Nesima bei ›Romeo und Julia‹ dabei sein würde. Außerdem hatte ihr Aisa den Wutausbruch vom Vorabend noch nicht verziehen.

      Seit ihrer Rückkehr aus Island schien Aisa zu glauben, dass alles genauso war wie vor der Scheidung. In ihren Augen war Svala noch so wie damals, bevor die Familie auseinandergebrochen war. Aber Svala lebte inzwischen ihr eigenes Leben.

      Aisa hatte ihr über die Jahre wiederholt eingeschärft, dass sie immer die Konsequenzen ihrer Handlungen bedenken sollte. Das brachte Svala jedes Mal in Rage, wenn sie daran dachte. Hatten ihre Eltern denn an die Konsequenzen für ihre eigenen Kinder gedacht, als sie einfach wie Teenager allein durch die Welt gegondelt waren?

      Svala kickte einen Stein über den Bürgersteig. Fortzugehen, die Familie zu verlassen und sich zu befreien, das stand ja wohl eher ihr und Pétur zu und nicht ihren Eltern!

      Beim Gedanken an ihren Vater wurde sie noch trauriger. Seit Aisa wieder zurück war, meldete sich Jan nicht mehr so oft wie sonst. Svala hatte Sehnsucht nach ihm.

      Vor dem großen gelben Schulgebäude hielt sie inne. Ihre Schulzeit war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen und jetzt waren nur noch ein paar Wochen übrig. Zerstreut nickte sie einigen Mitschülern aus ihrer Parallelklasse zu und ging schnell zu ihrem Schrank, um die Schulbücher einzuschließen, die sie über Nacht mit nach Hause genommen hatte.

      Mia, Jasmin und Emelie tuschelten in einer Ecke miteinander und verstummten demonstrativ, als Svala an ihnen vorbeiging.

      Während sie ihnen einen gut einstudierten verächtlichen Blick zuwarf, machte sich Unbehagen in ihr breit. Bisher waren sie sich nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen, aber jetzt sah es aus, als ob der schwelende Konflikt in ihrer Klasse doch noch zum Ausbruch kommen würde.

      »Mit den Klamotten sieht sie aus wie ein Penner.« Svala war klar, dass Mia absichtlich so laut sprach, dass sie es hören konnte.

      Svala wickelte sich noch enger in die alte Lederjacke, die sie von Pétur ausgeliehen hatte.

      »Lieber ein Penner als ein Möchtegern-Snob aus der Hochhaussiedlung«, rief sie als Antwort und donnerte wütend die Schranktür zu. Der Tag fing ja gut an!

      Vor dem Klassenzimmer drückten sich Nesima und Fatimah herum, die Svala abschätzig musterten. Keine von ihnen sprach ein Wort. Vom hinteren Ende des Flurs kamen Ali und Hasim angeschlendert.

      Svala fühlte sich in die Ecke gedrängt.

      Nesima grinste. »Na, hast du Angst?«

      Svala wappnete sich. Sie hatte gehört, was mit Mädchen passierte, die der Clique in die Quere kamen, aber es war schwer zu sagen, ob diese Gerüchte stimmten.

      »Wovor denn?« Svala versuchte, gleichgültig zu klingen.

      »Vor Kanaken vielleicht?«

      Svala zuckte die Schultern.

      »Wo wir eure feine Schule beschmutzen.« Außerhalb des Klassenzimmers sprach Nesima immer mit einem schweren Akzent, obwohl sie ihr ganzes Leben in Schweden verbracht hatte.

      »Verdammte Hure.« Ali spuckte die Worte aus.

      »Svala!« Matilda kam durch den Flur geeilt.

      Svala musste unwillkürlich lächeln. Matilda hatte das Talent, immer im rechten Moment aufzutauchen. Sie war trotz allem eine echte Freundin, von der sie jederzeit Hilfe erwarten konnte.

      »Was ist los?« Matildas Blick wanderte von Svala zu Nesima und zurück.

      »Wir sprechen gerade über die Spießeridylle in diesem schönen Stadtteil.« Nesima grinste.

      »Ausgerechnet mit Svala, wo ihre Mutter genauso Ausländerin ist wie eure!«, rief Matilda.

      In Nesimas Augen funkelte es. Plötzlich bauten sie, Hasim, Ali und Fatimah sich vor ihnen auf, still und bedrohlich. Svala und Matilda versuchten, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, aber Svalas Herz pochte wie das eines kleinen Vogels. Der Korridor füllte sich wieder mit Schülern. Schnell nahm Svala Matildas Hand und lief mit ihr weg.

      Svala fühlte sich erbärmlich. Feige und unehrlich. Was sie im Grunde ja auch war. Sie wollte die aus Dalen wirklich hier nicht haben. Weder in der Schule noch im Theaterzelt. Nicht weil sie Ausländer waren, nicht weil sie in Dalen wohnten, sondern weil sie so nervten. Für sie war es selbstverständlich, Antirassistin zu sein. Sie wollte ebenso wenig »Scheißschwedin« genannt werden wie die anderen »Kanaken«. Sie wusste auch, dass ihre Angst nur ein Bruchteil dessen war, was Nesima und ihre Freunde täglich spürten.

      Aber Svala fühlte sich genauso fremd auf dieser Schule, wie Nesima und Fatimah es vermutlich taten. Sie war hier genauso unglücklich und isoliert wie die beiden.

      Ein dunkler Schatten

      Nach diesem Zwischenfall hielt es Svala nicht mehr aus in der Schule. Ziellos lief sie hin und her, bis sie sich plötzlich im Margaretapark wiederfand. Ausnahmsweise war es bei den Zirkuswagen völlig leer und im Zelt herrschte Ruhe. Im Wagen mit der Ticketkasse sah Svala nur Lea, die Katjas Regieassistentin war. Sie hatte gehofft, Katja selbst zu treffen oder vielleicht Petter, aber ansonsten wollte sie in Frieden gelassen werden.

      Im Zirkuszelt war es kalt und ungemütlich. Überall stapelte sich das Baumaterial für die Kulissen. Svala kletterte auf die Tribüne, setzte sich dicht unter das Zeltdach und ließ sich von der bleichen Frühlingssonne wärmen, die außen auf die Zeltplane schien. Ein leeres Zirkuszelt war beinahe gruselig. Und voller Melancholie. Als ob die Manege sich nach dem Gelächter, dem Spiel und dem Gesang sehnte.

      Aber irgendwie passte das alles gut zu Svalas Gemütsverfassung. Am liebsten hätte sie sich in Aisas Armen verkrochen und ihren Kopf an Aisas Hals geschmiegt, wo die Haut ganz weich war, und wäre noch einmal eingetaucht in die Geborgenheit der Kindertage.

      Wenn sie aber diesem Impuls nachgab, würde das Aisa in ihrer Annahme bestätigen, alles sei noch genauso wie vor ihrer Abreise nach Island und Svala wäre immer noch ein Kind. Das wäre ein schlimmer Rückschritt. Svala wollte erwachsen sein, wollte, dass man ihr zuhörte und vertraute. Sie wollte jemand sein, der Nein sagen kann. Jemand, der sich nicht mehr fiesen Lehrern beugen muss.

      In der Ferne rauschte der Verkehrslärm. Doch Svala lauschte dem Wind, der in den Bäumen spielte. Sie wurde ruhiger. Um sie herum war es friedlich.

      Plötzlich hörte sie direkt vor dem Zelt einen dumpfen Aufprall. Svala versuchte, durch die Zeltplane Umrisse zu erkennen, konnte aber nichts sehen. Von