Winterpony. Iain Lawrence

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Название Winterpony
Автор произведения Iain Lawrence
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783772545689



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dem Meer starben. Ich konnte mir vorstellen, dass er dachte, die Ponys würden ihn deswegen hassen.

      Die Männer hielten einen Moment mit ihrer Arbeit inne, als die toten Ponys ins Meer geworfen wurden. Gischt spritzte auf und befleckte Mr. Oates’ Stiefel, der darüber ganz erschrocken wirkte. Dann wandten sich die Matrosen wieder ihren Aufgaben zu, aber Mr. Oates blieb, wo er war. Er zog seine Pfeife aus der Jackentasche, zündete sie an und wandte das Gesicht dem Himmel zu.

      Verglichen mit mir war er klein und zerbrechlich, aber in diesem Augenblick kam er mir so stark wie ein Ochse vor, und ich wusste, dass ich ihm bis ans Ende der Welt folgen würde, wenn er es von mir verlangte.

      Süden, Süden, immer nach Süden fuhr das Schiff über Wellenberge und -täler auf unser Ziel zu, was immer das auch war.

      Irgendwann sahen wir den ersten Eisberg. Er trieb weit im Westen, und ich konnte ihn kaum erkennen. Die Männer waren ganz aufgeregt und riefen einander zu. Ich beugte mich nach rechts und spähte zwischen zwei Reihen Packkisten hindurch. Weit in der Ferne glänzte die Sonne auf der Spitze des Eisbergs. Für mich sah es aus wie ein Stück Zucker, das auf einem grauen Teller aus Meer und Himmel lag.

      Am selben Tag sahen wir schlanke Fische, die von den Männern Delfine genannt wurden, eine sehr verspielte Art. Die Männer versammelten sich am Bug und schauten ihn zu, wie sie in die Höhe sprangen und ihre Faxen machten. Es versetzte mir einen kleinen Stich, dass Mr. Oates bei ihnen war und so breit lächelte, dass ich mich fragte, ob er Fische lieber mochte als Ponys.

      Die Hunde kläfften pausenlos und veranstalteten bei dem prustenden Atem der Delfine ein ohrenbetäubendes Theater. Auch am folgenden Tag bellten sie wie verrückt, als Vögel und Eisschollen auftauchten. Es dauerte nicht lange, und wir waren von Eisbrocken umringt, über uns die Vögel, sodass die Hunde kaum noch zu halten waren. Der Fotograf, ein Mann namens Mr. Ponting, machte Bilder von allem, was sich bewegte, und von vielem, was sich nicht bewegte.

      Dann wurde das Eis dicker, und schließlich kam das Schiff nicht mehr voran. Wir saßen in einem Feld aus weißen Brocken fest, die sich in alle Richtungen ausbreiteten, so weit das Auge reichte. Die Segel wurden eingeholt, die Dampfmaschine stand still. Wir trieben einfach nur im Meer und warteten darauf, dass sich eine Rinne öffnete.

      Wir warten stundenlang. Wir warteten tagelang. Den Männern wurde langweilig; sie standen an der Reling und kletterten in die Wanten und benahmen sich genauso stumpfsinnig wie die Hunde. Sie deuteten auf alles, was sich bewegte, von den mächtigen Walen, die hin und wieder zwischen den Schollen auftauchten, bis zu den kleinsten Vögeln. Manchmal schrien sie einige dieser Dinge an, manchmal schossen sie darauf. Sie beschossen sich auch gegenseitig, das hohle Bellen ihrer Waffen klang flach, weil es kein Echo hatte. Aber meistens lachten sie, und am meisten lachten sie über die fetten kleinen Vögel, die sie Pinguine nannten, die jämmerlichste Sorte Vögel, die ich je gesehen hatte.

      Auf flachen Füßen aufrecht stehend, kamen die Pinguine mit ihren kleinen runden Bäuchen und ihren kurzen Stummelflügeln in Scharen auf uns zu gewatschelt. Sie waren schwarz und weiß, wie kleine Herren in kleinen Anzügen, die von einer Seite zur anderen schaukelten. Manchmal fielen sie über ihre eigenen Füße. In der Ferne sah ich, dass immer mehr kamen, und alle watschelten sie in Reih und Glied, entweder nebeneinander oder hintereinander.

      Hin und wieder teilte sich das Eis mit einem deutlichen Beben, und das Schiff fuhr ein Stück weiter, manchmal mit gesetzten Segeln, manchmal mit dem Motor. An einigen Tagen kamen wir nicht einmal eine Meile voran, und an anderen wurden wir von den Eisschollen rückwärts gedrückt. Hin und wieder erreichten wir offenes Wasser und segelten eine gute Strecke, doch schon bald kesselte uns das Eis wieder ein, und die Warterei ging von Neuem los.

      Die Tage glichen einander wie ein Ei dem anderen, außer einem Tag, den die Männer Weihnachten nannten. An diesem Tag brachte mir Mr. Oates einen besonderen Keks, und danach bekam ich von Taff Evans einen Presskuchen. Ich konnte mein Glück kaum fassen – zwei Leckereien an einem Tag! Und das, obwohl ich nichts weiter getan hatte, als in meiner Box zu stehen. Aber damit war Weihnachten noch nicht zu Ende. Nach dem Abendessen kam Captain Scott, gefolgt von drei oder vier Männern, einer nach dem anderen. An diesem Tag bekam ich mehr Köstlichkeiten und mehr Streicheleinheiten als in meinem ganzen Leben zuvor.

      Der Letzte, der zu mir kam, war ein Matrose namens Patrick Keohane, der eine lustige Art zu sprechen hatte, weil er von einem Ort namens Irland stammte. Er schenkte mir ein Stück Apfel, der erste seit sehr langer Zeit, und er blieb eine ganze Weile bei mir und tätschelte mich. «In Irland sind sie jetzt alle in der Kirche, weißt du», sagte er. «Ja, sie sitzen in der Kirche und sprechen vielleicht auch ein Gebet für mich. Den ganzen Tag schon musste ich an sie denken. Oh, wie sehr ich heute Morgen mein Zuhause vermisst habe!» Die Hände des Matrosen waren schwielig und rot. Er drückte mein Ohr in seiner Faust, fest und sanft zugleich. «Ich habe an die Schafe gedacht. An den Klee», sagte er. «Alles ist grün in Irland, das ganze Jahr über. Es würde dir da bestimmt gefallen.»

      Ich nickte mit dem Kopf und schnaubte leise, während ich mich an ihn drückte. Er streichelte mir seitlich über die Nase.

      «Du armer Kerl hast keine Ahnung, was uns bevorsteht.» Er kicherte leise. «Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es selbst weiß. Aber ich kann es mir vorstellen und du nicht. Und ich frage mich: Wer von uns beiden ist eher zu beneiden? Ich glaube, ich würde mit Freuden den Platz mit dir tauschen.»

      Vielleicht wäre er noch länger geblieben und hätte mit mir geredet, aber dann kam ein anderer Matrose, und Mr. Keohane war auf einmal verlegen, weil er sich mit einem Pony unterhalten hatte. Er versetzte mir einen freundschaftlichen Schubser und schlenderte dann davon.

      «Frohe Weihnachten, James Pigg», sagte er.

      Im Norden stand die Sonne nur noch sehr niedrig am Himmel. Das Eis schimmerte in unzähligen Farben, meistens in Blau- und Rottönen. Dann fingen die Männer unter Deck an zu singen. Ihre Lieder waren ernst und langsam, aber ich war glücklich in jener Nacht. Ich fühlte mich als ihr Kamerad.

      Am letzten Tag des Jahres erblickte Captain Scott die Berge auf dem Land vor uns. Er stand an der Reling, den Kopf über eine Packkiste gereckt, und starrte sehnsüchtig nach Süden, wie ein Murmeltier, das aus seiner Erdhöhle lugt.

      Als er die Berge sah, fing er an zu jubeln, woraufhin alle nach Süden schauten und jubelten. Ich spürte eine Erregung, die sich wie ein Lauffeuer auf dem Schiff ausbreitete. Selbst die Hunde wurden unruhig, auch sie fühlten, dass sich etwas verändert hatte, dass etwas bevorstand. Auf Captain Scotts Miene lag ein triumphaler Ausdruck, als ob sein ganzes Ziel darin bestanden hätte, bloß diese Berge zu sehen, und er jetzt umdrehen und nach Hause fahren könnte.

      Aber stattdessen fuhren wir weiter. Das Eis knarrte am Rumpf entlang, während wir uns Stück für Stück immer weiter nach Süden schoben, auf diese Berge zu. Und zwei Stunden später endete ein Jahr und ein neues begann. Obwohl das für mich keine Rolle spielte.

      Für die Männer war es nun 1911.

      Am dritten Tag des neuen Jahres sahen wir auch das Land entlang des Meeres. An was für einen schrecklichen Ort waren wir gekommen – in eine Welt, die sich mit riesigen Mauern aus Felsen und Eis zu schützen schien! Es gab Berge, die aufragten wie die Reißzähne eines Hundes. Einer hatte einen abgeflachten Gipfel, aus dem eine Rauchwolke quoll, als ob in seinem Inneren ein mächtiges Feuer brannte. Zwischen den Bergen stürzten Gletscher ins Tal und kalbten mit einem beständigen Dröhnen und Donnern ins Meer. Die Klippe vor den Gletschern ragte höher auf als die Masten unseres Schiffes, und haushohe Eisblöcke brachen ab und stürzten ins Wasser. Dort, wo die Eisberge durch das Wasser mahlten, brodelte die See.

      Bei dem Anblick beschlich mich eine ungute Vorahnung. Die Gesichter der Männer waren mit einem Mal grimmig und nachdenklich geworden. Aus schmalen Augen betrachteten sie Schnee, Eis und die Berge, vermieden es aber, sich gegenseitig anzusehen. Das Land war so kalt und kahl, dass ich unwillkürlich zitterte. Nirgends sah ich Bäume oder Blumen, weder Gras noch Klee, überhaupt keine Pflanzen.

      Aber Captain Scott schien sehr zufrieden zu sein. Man merkte ihm an, dass er diesen Ort liebte. Er nannte die Berge bei ihren Namen, genauso wie die Buchten und Landzungen und