Winterpony. Iain Lawrence

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Название Winterpony
Автор произведения Iain Lawrence
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783772545689



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Vor uns lag eine Insel, die aber ganz anders war als diejenige, von der wir kamen. Eis statt Wasser umgab sie von drei Seiten, und der Strand bestand aus einem schwarzen Sandstreifen, der nicht zum Rennen oder Toben einlud.

      Captain Scott kannte jeden Zentimeter. Ein schneebedeckter Strand tauchte genau da auf, wo er ihn vorhergesagt hatte, und er brachte das Schiff längsseits eines Eisbandes, das vor der Küste trieb. Die Männer warfen den Anker aus und machten das Schiff auf dem Eis fest. Die Taue gefroren, sodass sie steif und gerade waren wie Eisenstangen.

      Die Hunde gingen zuerst von Bord. Sie sprangen einfach über die Reling. Dann wurde die Ponykiste hervorgeholt, und diesmal freute ich mich sogar, sie zu sehen. Weary Willy wurde zuerst ausgeladen. Er machte einen Satz aus der Kiste, sobald die Tür geöffnet wurde, warf sich auf das schneebedeckte Eis und räkelte sich auf dem Rücken wie eine Katze, mit allen vier Beinen in der Luft. Ich war so voller Vorfreude, dass ich in der Kiste kaum stillhalten konnte. Und genau wie Weary Willy legte auch ich mich gleich hin und rollte mich ausgiebig hin und her. Ein paar der Männer lachten über mich. Aber das war mir egal. Es war ein herrliches Gefühl, sich strecken und kratzen zu können, die Läuse und losen Haare abzurubbeln. Und meine Beine freuten sich, denn zum ersten Mal seit vierzig Tagen mussten sie mich nicht tragen.

      Weary Willy knabberte an meinem Schorf und an den Läusebissen. Ich tat das Gleiche für ihn und dann für Jehu und Nobby, als sie sich zu uns gesellten. Wir standen zufrieden beisammen und gaben uns der Fellpflege hin.

      Unter den Männern gab es einen sehr netten Kerl mit einem sehr pompösen Namen. Mr. Apsley Cherry-Garrard. Für mich – und für alle anderen – war er bloß Cherry. Er war sechsundzwanzig, was einem Pony uralt vorkommt, für einen Menschen aber noch ziemlich jung ist. Er kümmerte sich um Weary Willy, und zwar mit einer großen Fürsorge. Cherry konnte nur dann sehen, wenn er zwei Glasscheiben auf der Nase sitzen hatte, als ob er seine Augen außerhalb seines Kopfes trüge. Er hatte die Aufgabe, die Tiere zu studieren, die in diesem winterlichen Land lebten, und er war womöglich der glücklichste Mann an Bord, denn er war umringt von lauter merkwürdigen Lebewesen.

      Auf dem Eis lagen fette Robben, langgestreckt wie riesige Schnecken. Die schwarzen Raubmöwen hockten in großen Scharen dicht beieinander und machten einen bösartigen Eindruck. Und dann die Pinguine, Hunderte von ihnen, und alle fanden Cherry genauso interessant, wie er von ihnen fasziniert war.

      Pinguine sind schrecklich neugierig. Sie kamen von überall her, um uns in Augenschein zu nehmen, watschelten über Schnee und Eis oder hüpften aus dem Meer wie Funken aus einem Feuer. Sie schossen geradewegs auf das Eis, plumpsten flach auf ihre Bäuche und richteten sich dann mit ihren kurzen Flügeln auf. Ich fand sie sehr lustig.

      In Gruppen von fünf oder sechs Tieren standen sie da und starrten uns an. Ihre kleinen Köpfe ruckten und wackelten, und sie murmelten einander in leisen, zwitschernden Tönen zu, die ziemlich hübsch anzuhören waren. Als sie unserer überdrüssig wurden, wandten sie sich den Hunden zu. Sie wussten nicht, dass sie Hunde fürchten mussten. Die Hunde knurrten und bellten, aber die Pinguine gingen immer näher. Mr. Meares verscheuchte sie, sodass sie mit ihren komischen Wackelschritten davontapsten, aber sobald sich die Gelegenheit bot, kamen sie wieder. Eine Zeit lang beobachteten wir diesen lächerlichen Kampf, bei dem Mr. Meares sie vertrieb und die Pinguine immer wieder kamen. Es dauerte nicht lange, da ging einer von ihnen zu weit.

      Es war Osman, der König der Hunde, der den Vogel zu sich heranlockte. Er hielt ganz still und ließ den Pinguin glauben, dass seine Leine schon straff war und er keinen Schritt mehr tun könnte. Dann wartete er auf seine Gelegenheit und schlug zu. Ein wölfisches Knurren, ein Aufblitzen von Zähnen, ein jämmerliches Aufquietschen des Pinguins. Dann lag der zerfetzte Körper in einem Fleck aus rotem Schnee, und die Federn waren über das Eis verstreut. Innerlich erschauerte ich, weil ich wusste, dass mir das Gleiche passieren konnte, wenn Mr. Meares jemals auf die Idee kommen würde, seine Hunde loszulassen.

      Aber die Pinguine hatten ihre Lektion immer noch nicht gelernt. Man hätte glauben können, dass sie überhaupt keine Angst kannten, dabei lebten sie doch in ständiger Furcht vor den Killerwalen.

      Die Killerwale waren die schlimmsten Tiere überhaupt – schwarzweiß, mit kleinen Schweinsäuglein und endlosen Zahnreihen. Ihre hohen Finnen durchschnitten das Wasser, manchmal kamen sie allein, manchmal in wolfsähnlichen Rudeln. Sie konnten so schnell schwimmen, wie ein Pferd galoppiert, dann wieder trieben sie reglos im Meer, die Köpfe hoch über der Wasseroberfläche. Das war ein unheimlicher Anblick, denn sie gaben nie auch nur einen Laut von sich, wenn sie so dahintrieben, sondern beobachteten einen nur mit ihren kleinen runden Augen. Nach einer Weile sanken sie ohne auch nur ein einziges Kräuseln des Wassers wieder nach unten.

      Wenn die Wale nah ans Schiff kamen, konnte ich ihre Stimmen durch das Eis zittern hören. Es war ein schwaches Geräusch, voller Pfiffe und Knarzen, und beim ersten Ton stürzten sich alle Pinguine aus dem Wasser. Zwanzig, dreißig, vierzig auf einmal, schossen die kleinen Vögel wie Raketen auf das Eis. Und hinter ihnen in den Wirbeln und Strudeln des Wassers schwammen kleine Fetzen aus Pinguinfleisch.

      Dann kam der Angriff der Raubmöwen von oben. Riesige Schwärme aus schwarzflügeligen Skuas stießen kreischend nieder, um sich an den Happen satt zu fressen. Ich konnte den Weg der Killerwale anhand der aufstiebenden und wieder nach unten flatternden Möwen verfolgen.

      Dieses eisige Land im Süden war eine grausame Welt. Robben jagten Fische, und Wale jagten Robben, und alle jagten die armen Pinguine. Die kleinen Babys versuchten verzweifelt, inmitten der Erwachsenen zu bleiben, aber mindestens einmal in jeder Stunde kreischte eine Raubmöwe auf und schoss nach unten. Dann stand wieder ein Muttertier blökend allein auf dem Eis und schaute sich traurig um.

      Ich war froh, dass niemand ein Pony fressen wollte, außer natürlich die schrecklichen Hunde.

      Drei Tage lang taten wir Ponys gar nichts. Angebunden an einen behelfsmäßigen Zaun an einem verschneiten Hang oberhalb des Strandes schauten wir zu, wie die Männer das Schiff ausluden und die Sachen auf dem Eis aufstapelten.

      Die riesigen Packkisten, die fast das ganze Deck eingenommen hatten, wurden von Bord gehievt. Darin befanden sich merkwürdige Schlitten mit Motoren auf den Rücken. Statt Kufen hatten sie breite Ketten, die immer rundherum liefen, während die Motoren dröhnten und klapperten. Sie hoppelten über das Eis und polterten über jeden kleinen Hügel, während immer ein paar Männer um sie herumwuselten und versuchten, sie aufrecht zu halten und auf einen geraden Weg zu bringen.

      Ich freute mich, als einer der Schlitten durch das Eis brach und unterging. Aber Captain Scott war darüber so traurig, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam. Die anderen beiden Motorschlitten wurden eingesetzt, um Holz und Zeltleinwand zu transportieren. Weary Willy schaute den Maschinen gerne zu, wie sie seine Arbeit erledigten, und das Einzige, was ihm noch besser gefallen hätte, wäre gewesen, wenn sie auch noch ihn getragen hätten.

      Dann wurden die Zuggeschirre für Ponys und Hunde herausgeholt und noch eines, das ich aber nicht kannte. Dieses Geschirr breiteten die Männer aus, befestigten die Stränge daran und legten sich dann selbst die Gurte an. Ich konnte es kaum glauben: Männer in Zuggeschirr, die mit aller Kraft zogen, die ächzten und stöhnten, während Ponys untätig daneben standen. Ich fragte mich, ob die Kälte und die Einsamkeit die Männer um den Verstand gebracht hatten. Sie schnallten sich sogar Bretter an die Füße – «Skier» nannten sie das. Damit glitten sie über das Eis und zogen Schlitten, auf denen sich Futtersäcke stapelten.

      Es war seltsam, tatenlos zuzusehen, wie Menschen schufteten. In Russland hätte mir das sehr gefallen, es hätte mich über alle Maßen verblüfft. Aber jetzt fühlte ich mich nutzlos und hatte Angst, dass Captain Scott glaubte, Ponys könnten nicht arbeiten. Ich kam mir fehl am Platz vor; ich wollte meinen Teil beitragen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wurden nun auch die Hunde angeschirrt. Sie schossen über das Eis und zogen kleine Schlitten, die so schnell waren wie der Blitz. Ein ganzes Hundegespann konnte nur dreihundert Pfund ziehen, ein Drittel von dem, was ich allein schaffte. Mr. Meares stand hinten auf dem Schlitten und lenkte die Hunde. Er schrie Befehle auf Russisch. «Ki!», rief er, und die Hunde wandten sich nach rechts, und wenn er «Tchui!» rief, bogen sie in einer Reihe nach links ab. Mit ihrem Heulen und Kläffen machten