Der Schreiberling. Patrick J. Grieser

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Название Der Schreiberling
Автор произведения Patrick J. Grieser
Жанр Языкознание
Серия Der Primus
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947816040



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       Drei Schritte …

      »Weißt du, ich hab mir gedacht, dass du meinen …«, sagte er mit belegter Stimme und wankte dabei unsicher hin und her.

      Zwei Schritte … Katerinas ganzer Körper war stark angespannt.

      »Und dann könnte ich dich noch von hinten …«

      Weiter kam der Fremde nicht, denn er hatte das weiße Kreuz, das Pickett auf den Boden gemalt hatte, überschritten. Raubkatzenartig stürzte sich Katerina auf den überraschten Mann und warf ihn zu Boden. Sie wickelte die schwere Eisenkette um seinen Hals und begann an dieser zu ziehen. Der Mann versuchte zu schreien, doch die Kette bohrte sich fest in seinen Hals. Seine Stiefel schabten über den Kellerboden. Katerina kanalisierte ihren ganzen Hass auf diesen Kerl. In diesem Moment war es Pickett, der vor ihr auf dem Boden lag. Mit unbarmherziger Härte schnürte sie ihm die Luft ab. Verzweifelt versuchte sich der Fremde zu wehren. Seine Hände griffen nach Katerina, rissen an ihren Haaren. Sie schrie auf und zerrte ihn weiter nach hinten. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurden seine Bewegungen langsamer. Und dann wich jedes Leben aus seinem Körper. Die Füße schabten ein letztes Mal über den dreckigen Boden. Dann wurde es still. Der Geruch von Urin breitete sich in dem Raum aus. Sie spürte, wie die warme Flüssigkeit ihre Waden benetzte. Angewidert stieß sie den Toten von sich weg.

      Sie glaubte, jeden Moment eine Panikattacke zu bekommen. Das Adrenalin rauschte durch ihren Körper; Lichtpunkte tanzten in einem irren Durcheinander vor ihren Augen. Sie hatte das Gefühl, als würde sie selbst ersticken. Wie ein Fisch, der an Land gespült wird, japste sie nach Luft. Ihre linke Gesichtshälfte fühlte sich plötzlich taub an. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ihr Körper wieder herunterfuhr und sie sich wieder beruhigte. Das Taubheitsgefühl blieb dagegen bestehen.

      Das Öl in der Lampe war aufgebraucht und die Finsternis kehrte zurück. Ihr Körper war komplett ausgelaugt. Jetzt wäre sie dankbar, wenn der Schlaf sie überkommen und ihr Bewusstsein wenigstens für ein paar Stunden auslöschen würde. Sie dachte noch einmal an jenen Tag, als sie auf den großen Steamer gestiegen war. Desmond Pickett hatte an Bord auf sie gewartet … Mit diesem Bild kam der Schlaf, doch er brachte ihr keine Erlösung.

      Nachdem sie sich im Morgengrauen in dem kleinen See gewaschen hatten, teilte Jeremy Slater dem Cowboy seine Entscheidung mit. Hekate hatte sich in dieser Nacht nicht blicken lassen.

      »Du wirst mich heute als Treiber nicht enttäuschen!«, sagte Slater, während er sich das Gesicht mit Wasser benetzte.

      »Ich hatte einen guten Lehrer!«, grinste der Cowboy.

      »Gut, denn wir werden diese Herde heute zur Blue-Lodge-Ranch treiben!«, erwiderte Slater und klopfte dem Cowboy auf die Schulter. »Keine Geheimnisse mehr zwischen uns beiden! Deal?«

      »Darauf können Sie einen fahren lassen!«, sagte der Cowboy.

      »Ich nehme mal an, das heißt Yeah!«

      Die Männer verteilten sich um die Herde und versuchten, diese in die gewünschte Richtung zu treiben. Die am Ende der Rinderherde reitenden Cowboys zogen als Schutz gegen den aufwirbelnden Staub ihre Halstücher über die Nase. Das Treiben der Herde war im wahrsten Sinne des Wortes ein Höllenjob! Die Tiere waren mit dem Führen von Menschenhand nicht vertraut, viele versuchten immer wieder auszubrechen. Außerdem waren sie das ständige In-Bewegung-Sein nicht gewohnt. Aus diesem Grund schaffte das Team um Jeremy Slater keine vier Meilen am Tag.

      Der Cowboy selbst fluchte pausenlos, denn die Tiere schienen zu wittern, dass er das unerfahrenste Mitglied in der Gruppe war. Wenn er auf die lose Rinderfront zuritt, dann wichen die zottigen Ungetüme einfach zur Seite und machten ihm Platz. »Ihr sollt mir keinen Platz machen, sondern eure Ärsche in Bewegung setzen!«, schnaubte der Cowboy. Und so bahnten sie sich Schritt für Schritt einen Weg zurück zur Blue-Lodge-Ranch.

      Als es wieder dunkel wurde, entschied Slater, dass sie trotzdem weiterritten, denn die Nacht war diesmal besonders hell, mit meilenweiter Sicht. Erst lange nach Mitternacht schlugen sie in der Nähe eines Prärie-Creeks ihr Lager auf. Durch die anhaltenden Regenfälle hatte sich der Creek in einen reißenden Strom verwandelt. Das Wasser war dreckig, eine braune Brühe, die mit Schlamm und Treibholz durchsetzt war. Einer von Slaters Männern wollte in dem Gewässer schwimmen gehen, doch Morgan Elroy hielt ihn davon ab.

      »Das lehmige Wasser ist zu schwer«, erklärte der Pawnee. »Wenn sich deine Kleidung damit vollsaugt, kannst du dich nicht mehr in der Strömung halten. Du wirst wie ein nasser Sack untergehen!«

      Jeremy Slater zauberte eine weitere Flasche Whiskey aus seinen Satteltaschen. Die Kerle grölten fröhlich und gesellten sich um ihren Boss. Für einen kurzen Augenblick war die unheimliche Kreatur, die die Rinder gerissen hatte, vergessen. Morgen würden sie die Herde ins Valley der Blue-Lodge-Ranch bringen. In Gedanken versunken, nippte der Cowboy an seinem Trinkbecher. Solange sie nicht auf der Ranch waren, würde er keine Sekunde ruhig schlafen können. Hekate war ein Miststück und sie würde sich früher oder später wieder zeigen.

      Die Männer standen in drei Reihen hintereinander auf dem Hof der Three-Pearls-Ranch. Brutal brannte die Mittagssonne auf sie herab. Der Schweiß floss in Strömen über die Gesichter. Die Hemden waren durchgeschwitzt. Doch das nahmen die Männer nur am Rande wahr. Alle Augen waren auf Desmond Pickett und seine rechte Hand, Mr. Willard, gerichtet, die aus dem Haupthaus kamen. Augenblicklich nahmen die Männer Stellung an.

      Pickett hatte sein weißes Tuch mit dem hellblauen Karomuster in der Hand und tupfte damit über seinen glänzenden Schädel. Willard folgte ihm wie ein Schatten. Trotz der hohen Temperaturen war er wie immer komplett in Schwarz gekleidet.

      Pickett trat vor die versammelte Mannschaft, die sich sichtlich unwohl fühlte, als der kahlköpfige Mann sie mit grimmiger Miene musterte. Der Boss der Three-Pearls-Ranch war in übler Laune. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten.

      Pickett gab ein Zeichen und ein breiter Chuckwagon kam aus dem Stall gefahren. Der rattengesichtige Gary (der vor einem Tag aus Cheops zurückgekommen war) saß auf dem Planwagen. Wortlos lenkte er den Planwagen in den Hof. Das Pferd tänzelte nervös, als es vor den versammelten Männern zum Stehen kam. Gary stieg vom Wagen, nickte seinem Boss zu und öffnete dann die Plane des Chuckwagons.

      Ein Raunen ging durch die Männer, als sie sahen, was sich unter der Plane befand. Gary zog den Toten aus dem Wagen und ließ ihn unsanft auf den Boden fallen. Eine Staubwolke stieg beim Aufprall des Körpers empor. Schnell trat Pickett einen Schritt zurück, aus Angst, dass seine schwarzen soeben polierten Stiefel staubig werden könnten.

      Der Tote war nackt. Dort, wo seine Genitalien hätten sein sollen, befand sich nur ein dunkelroter, fast schwärzlicher Fleck. Der Hals war mit blauen länglichen Flecken übersät, die einen starken Kontrast zu der bleichen Haut bildeten. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt, denn die Finger waren seltsam verkrampft. Wie ein dicker, aufgeblähter Wurm hing die Zunge aus dem offenen Mund heraus.

      »Tja, ich muss euch leider die traurige Nachricht überbringen, dass unser langjähriger Weggefährte Tony seine letzte große Reise angetreten hat.« Picketts Stimme war leise, trotzdem war sie bis in die hinterste Reihe zu hören. Der Boss der Three-Pearls-Ranch musste sich sehr beherrschen, dass er keinen Tobsuchtsanfall bekam.

      »Und wisst ihr, wie er gestorben ist?«, fragte Pickett in die Runde. In diesem Moment wirkte sein Gesicht einmal mehr wie ein sprechender Totenkopf. Aufgrund seiner inneren Erregung spannte sich die Haut straff über den Schädel.

      »Keine Idee? Niemand?« Desmond Pickett starrte in die ängstlichen Gesichter seiner Männer. Niemand wagte es, den Boss direkt anzuschauen.

      »Gut, dann sage ich es euch! Dieser Scheißkerl wollte sich an meiner geliebten Katerina vergreifen.«

      Unsicher schauten sich die Männer an. Sie konnten nicht begreifen, dass Tony so dumm gewesen war!

      »O ja, ihr habt richtig gehört! Dieser Bastard hat sich zugesoffen und ist dann in MEINEN Weinkeller spaziert, um MEINE KATERINA zu ficken!«

      Noch immer