Der Schreiberling. Patrick J. Grieser

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Название Der Schreiberling
Автор произведения Patrick J. Grieser
Жанр Языкознание
Серия Der Primus
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947816040



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Mit diesen Worten gab Jeremy Slater seinem Pferd die Sporen.

      Sie erreichten die Rinder, die sich in ihrer unkontrollierbaren Flucht nach Norden bewegt hatten, mit dem Einsetzen der Dämmerung. Manchmal konnte eine Stampede – ein gefürchtetes Phänomen – mehrere Stunden andauern, bis sich die Tiere wieder beruhigten. Doch die Männer hatten Glück. Friedlich graste die Herde in einer weiten Ebene, die völlig baumlos war. Wie ein riesiger dunkelbrauner Teppich bedeckten sie das Land. Es gab einen kleinen See, der durch die Regenfälle der letzten Nacht an vielen Stellen übers Ufer getreten war.

      Sie schlugen ihr Lager eine halbe Meile von der Herde entfernt auf. Die Männer waren unruhig bei dem Gedanken hier draußen schutzlos dem Untier ausgeliefert zu sein. Es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Slater entschied, dass sie jeweils zwei Mann als Nachtwache aufstellten. Diese sollten in einem Kreisbogen die Lagerstätte ablaufen. Man würde sich alle zwei Stunden abwechseln. Der Rancher wollte kein Risiko eingehen. Morgan Elroy bestand darauf, in dieser Nacht auf ein Lagerfeuer zu verzichten.

      Der Himmel verdunkelte sich zunehmend und die ersten Sterne erschienen am Firmament. Wortlos verzehrten sie ihren letzten Biskuit und spülten die Krümel mit Wasser und dem letzten Tropfen Whiskey hinunter. Jeder hing seinen eigenen düsteren Gedanken nach. Das Brummen und Schnaufen der Herde drang zu ihnen herüber.

      In dieser Nacht machte der Cowboy das erste Mal Bekanntschaft mit den fiesen Büffelmücken, die eine solche Herde begleiten und sehr schmerzhafte Stiche zufügen. In dichten Wolken schwebten sie über der Herde. Binnen kürzester Zeit war er an jeder freien Körperstelle zerstochen und es zeigten sich bereits Schwellungen wie von einem Bienenstich. Sie peinigten ihn entsetzlich! Ärgerlich schwang er seinen Hut hin und her, um die Biester von sich fernzuhalten.

      Irgendwann gesellte sich Jeremy Slater zu ihm, rollte seine Bettmatte neben ihm aus und legte sich hin. Sie lagen etwas abseits von den anderen und starrten zunächst eine Weile wortlos in den Sternenhimmel. »Ich habe dir ein Abenteuer versprochen, als wir losgeritten sind«, begann Slater das Gespräch. »Nun, ich habe nicht zu viel versprochen.«

      Der Cowboy blickte sich um, um festzustellen, ob sie ungestört waren, denn er wollte nicht, dass die Männer im Lager etwas mitbekamen, denn es war an der Zeit, Slater aufzuklären. Das war er ihm schuldig! Der Rancher hatte ihn in sein Haus aufgenommen und ihm eine Perspektive als Maverickjäger geboten. Slater verdiente eine Antwort!

      »Well, da gibt es etwas, was ich Ihnen sagen muss …« Er hielt kurz inne, um nach den richtigen Worten zu suchen. Slater drehte sich zu ihm. Seine rauchgrauen Augen musterten den Cowboy aufmerksam.

      »Morgan hat recht. Wir haben es hier mit einem sehr, sehr großen Wolf zu tun. Eigentlich einer Wölfin, aber das tut im Moment nichts zur Sache.«

      »Woher weißt du das?«, fragte der Rancher alarmiert.

      »Weil dieses Monster noch eine Rechnung mit mir offen hat.«

      »Warum hast du vorhin nichts gesagt?«

      »Gute Frage. Weil ich ein Mann bin, der sich nicht gerne von seiner Vergangenheit einholen lässt.«

      »Ich mag keine Männer mit Geheimnissen. Wenn du für mich reitest, dann darf es keine Geheimnisse zwischen uns beiden geben!«, stellte Jeremy klar und schüttelte den Kopf. »Du bist schon ein seltsamer Vogel! Erzähl mir von dieser Kreatur und warum sie es auf dich abgesehen hat!«

      Und so begann der Cowboy zu erzählen. Er ließ einige Sachen weg, weil Jeremy Slater dies nicht verstanden hätte. Und trotzdem verwandelte sich das Gesicht des Ranchers immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes in ein Fragezeichen. Er hakte oft nach und musste sich manches zweimal erklären lassen. Als der Cowboy seine Erzählung beendet hatte, fühlte sich seine Kehle vom vielen Sprechen ganz rau an. Es dürstete ihn nach einem kühlen Schluck Wasser.

      »Was geht Ihnen durch den Kopf, Boss?«, wollte der Cowboy wissen, nachdem Slater keine Anstalten machte, etwas zu sagen und nur vor sich hin schwieg.

      »In Kansas City haben sie eine große Heilanstalt gebaut für diejenigen, die nicht mehr ganz klar im Kopf sind. Ich glaube, da gehörst du hin!«

      »Sie wissen, dass ich die Wahrheit spreche!«

      »Eine Frau, die sich in einen Wolf verwandeln kann? Zumal kein menschliches Wesen, sondern eine Göttin aus der griechischen Sage? Das klingt wirklich sehr schräg!« Jeremy Slater schüttelte ungläubig den Kopf.

      Der Cowboy griff nach seiner Feldflasche und versuchte, sie in einem Zug zu leeren. Resigniert musste er feststellen, dass nur noch ein kleiner warmer Rest drin war, der zudem einen seltsamen Nachgeschmack in seinem Mund hinterließ.

      Slater reichte ihm seine Flasche, die noch halb voll war. Dankbar nahm er sie entgegen.

      »Diese Hekate … wird sie ein Problem für uns?«

      »Ich kann es nicht sagen. Aber sie ist unberechenbar!«

      »Ich werde mit Morgan reden müssen. Er ist mein bester Mann.«

      »Kein Problem.«

      »Es darf kein unschuldiges Blut vergossen werden. Wenn meine Männer in Gefahr sind, dann ist es besser, wenn sich unsere Wege trennen«, meinte Slater nach einiger Zeit mit Blick auf seine Leute.

      »Ein Wort von Ihnen und ich reite bei Anbruch des Tages weiter«, sagte der Cowboy und er meinte es auch so.

      Slater griff in seine offene Westentasche und holte eine alte Taschenuhr heraus. Sie war golden und mit einem mechanischen Glockengeläut ausgestattet. Ein weiteres Indiz, dass der Rancher sehr wohlhabend sein musste. »In zwei Stunden wird mich Millard wecken. Ich werde während meiner Nachtwache darüber nachdenken!«

      »Well, danke!«, sagte der Cowboy und ließ sich zurück auf seine Bettrolle sinken. Er würde es Slater nicht übel nehmen, wenn er ihn wegschicken würde. Für ihn waren seine Männer so etwas wie Familie. Er trug Verantwortung. Möglich, dass sich im Morgengrauen ihre Wege trennen würden. Es wäre nachvollziehbar, wenn der Rancher sich keine weitere Baustelle aufmachen wollte. Er hatte genug mit Desmond Pickett zu tun.

      Licht drang ins Gemäuer. Quietschend öffnete sich die Tür zum Verlies. Katerina Kurnikova schreckte aus ihrem Schlaf hoch. Die Dunkelheit wich wie eine lebende Substanz zurück. Es leuchtete matt vor ihr. Das Licht warf Schatten an die Wände, die den Dingen bizarre Umrisse gaben. Katerina hob die Hand, denn das Licht blendete sie.

      »Hoi, Süße! Ich wollte dich einmal in deiner ganzen Pracht bewundern!«, begrüßte sie eine Stimme, die scheinbar zu sehr dem Alkohol zugesprochen hatte.

      Katerina erstarrte. Vor ihr stand einer von Desmonds Männern. Sie hatte den blonden Kerl, der in seiner Rechten eine Öllampe trug, schon einmal auf dem Platz vor der Three-Pearls-Ranch gesehen. Er lächelte die Gefangene an. Es war ein gewinnendes Lächeln, das jedoch von der Gier in seinen Augen übertönt wurde.

      Katerinas Gesicht verzog sich. »Sieh zu, dass du Land gewinnst. Wenn Desmond Pickett erfährt, dass du hier bist, wird er dich kastrieren lassen!«, schnaubte sie verächtlich.

      Doch der Mann schüttelte den Kopf. »O nein! Du wirst ihm nichts davon erzählen. Wir beide werden unseren Spaß haben und dann gehen wir wieder getrennte Wege.« Unsicher machte er einen Schritt auf Katerina zu. Wahrscheinlich hatte er eine ganze Flasche Schnaps getrunken, denn seine Bewegungen wirkten fahrig und unkoordiniert. Der Alkohol hatte ihn fest im Griff. Das Feuerwasser hatte ihn geil gemacht.

      Katerina überlegte, ob sie laut schreien sollte. Vermutlich hatte der Kerl die Kellertür geschlossen, und niemand würde sie dort unten schreien hören. Genüsslich fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, als er den nackten Frauenkörper im Schein der Öllampe betrachtete.

      Vorsichtig nahm Katerina die schweren Eisenketten in die Hand, wobei ihre Augen den Eindringling keine Sekunde aus den Augen ließen. Jetzt wechselte er die Öllampe in die andere Hand und begann langsam mit der rechten seine Hose zu öffnen. »Mein Liebeskrieger braucht etwas Luft und Freiraum!«, lallte er.

      Noch fünf Schritte, dachte Katerina