Der Schreiberling. Patrick J. Grieser

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Название Der Schreiberling
Автор произведения Patrick J. Grieser
Жанр Языкознание
Серия Der Primus
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947816040



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Mal den Namen seines Gottes, »das war ein Dämon!« In diesem Moment wirkte der Mann mehr wie ein Mitglied seiner Indianersippe als jemand, der den Großteil seines Lebens bei Weißen aufgewachsen war. Seine Augen waren hart wie Flintsteine.

      Jeremy Slater winkte müde ab. »So etwas gibt es nicht. Du müsstest das am Besten wissen. Du bist einer von uns, keine abergläubische Rothaut!«

      »Das hier spricht aber eine andere Sprache!«, erwiderte Morgan Elroy düster, umfasste sein Amulett mit dem Adler und dem Wolf, die für Mut standen, das er an einem Lederriemen um den Hals trug, und fuhr dann fort: »Die Algonkin glauben an einen Dämon namens Anamaqukiu. Er ist die Verkörperung von allem Bösen. Dieser dunkle Geist soll die Gestalt eines riesigen Wolfes annehmen können. Als Kind habe ich oft diesen Geschichten am Lagerfeuer gelauscht.«

      »Also ist dieser Anamaqukiu heute Nacht um die Hütte geschlichen?«

      »Erklär du mir diese Abdrücke im Schlamm!«

      Jeremy Slater ging in die Hocke und hielt seinen Arm neben den Krallenabdruck. Der Umriss war genauso groß wie sein Unterarm. Einer von Slaters Männern pfiff.

      »Verflucht!«, murmelte Slater und erhob sich wieder.

      Der Cowboy stand etwas abseits von den beiden Männern und verfolgte wortlos die Diskussion. Er überlegte, ob er sich in das Gespräch einmischen und Jeremy Slater aufklären sollte. Das würde aber auch bedeuten, etwas von seiner Vergangenheit zu erzählen. Es würde viele Fragen aufwerfen. Und man durfte nicht vergessen, dass sich diese Männer erst am Anfang eines Zeitalters befanden, das sich der Aufklärung verschrieben hatte. Sie würden viele Dinge nicht verstehen und ihn für einen Verrücken halten.

      »Was sagst du dazu?«, wollte Jeremy nun von dem Cowboy wissen.

      »Ich kann nur sagen, dass ich mir beinahe in die Hose geschissen hätte. Was auch immer es ist, es hat mit seiner Visage durch das Fenster geschaut und uns beobachtet.«

      »Du glaubst also auch, es war dieser Anamaqukiu?«

      »Vielleicht etwas Ähnliches«, antwortete der Cowboy.

      »Was machen wir jetzt, Boss?«, fragte einer der Männer unsicher.

      Slater blickte in die Runde. Er nahm ein Stück Kautabak aus der Tasche, steckte sich den Riegel in den Mund und begann zu kauen. »Das, was wir immer machen. Wir gehen Mavericks einfangen!«

      »Und dieses Monster?«

      Jeremy Slater lächelte drohend, wobei er eine eisige Kälte ausstrahlte, die den Männern durch Mark und Bein ging. »Wenn es noch einmal unsere Wege kreuzt, dann töten wir es!«

      Und so stiegen die Männer auf ihre Pferde und ritten los. Während ihres Rittes verschlangen sie trockene Biskuits, um ihr Hungergefühl ein wenig zu betäuben. Niemand wollte länger als nötig in der verfluchten Hütte bleiben. Im Laufe des Vormittags zog sich der Himmel wieder zu. Ein neuerliches Unwetter lag in der Luft. Der Wind trug den Geruch von Regen und Präriegras.

      Der Cowboy hing während des gesamten Rittes seinen düsteren Gedanken nach. Hekate hatte überlebt, so viel war sicher. Und sie hatte ihn nicht vergessen. Er überlegte, warum sie ihn nicht getötet hatte. Die Gelegenheit wäre da gewesen. Gegen die mächtige Wolfskreatur mit den acht Augen hätten die Männer nicht den Hauch einer Chance gehabt.

      »Ach, es hätte alles so perfekt sein können«, murmelte der Cowboy leise in seinen Bart hinein. »Und dann kommt diese blöde Schlampe und macht alles zunichte!« Er musste bei der nächsten Gelegenheit mit Slater über Hekate reden.

      Einmal machten sie eine Pause von einer halben Stunde, um den Pferden eine kurze Rast zu gönnen. Jeremy Slater und der Pawnee betrachteten eine alte Karte von der Region und diskutierten darüber, in welchem Gebiet sich eine Rinderherde verstecken könnte. Danach stiegen sie wieder auf und ritten weiter.

      Nach einer gefühlten Stunde kamen sie in ein Tal, das von Hügelketten gezeichnet war. Es gab zwei größere Seen, in die mehrere Wasserläufe aus den Bergen mündeten. Zahlreiche Vögel kreisten über dem Areal. Der Pawnee hob die Hand, das Zeichen zum Anhalten.

      »Warum halten wir hier an?«, wollte der Cowboy wissen und gesellte seinen Rappen neben das Pferd des Indianers. Slater selbst beobachtete stumm die Vögel am Himmel.

      Morgan Elroys geschultem Auge waren die Kadaver im Tal sofort aufgefallen. Der Cowboy kniff die Augen zusammen und blickte in die Richtung, in die der Pawnee stillschweigend deutete. Einer von Slaters Männern stieß einen Fluch aus. Der Mann neben dem Cowboy machte ein Kreuzeichen und küsste ein kleines Kruzifix, das an einer Schnur um seinen Hals hing.

      Was zunächst aussah wie kleine braune Misthaufen, entpuppte sich beim Näherkommen als Rinderkadaver. Es waren bestimmt an die fünfzig. Überall wimmelte es von Vögeln mit schwarzem Federkleid und langen, breiten Flügeln, deren kleiner roter Kopf unbefiedert war. Es waren Truthahngeier, die mit ihrem ausgeprägten Geruchssinn Aas schon kilometerweit riechen können. In Scharen waren sie über die toten Rinder hergefallen.

      Slater gab seinem Pferd die Sporen und ritt ins Tal hinein. Ein gewaltiger Vogelschwarm erhob sich kreischend von der Wiese. Einige Geier ließen sich von den Neuankömmlingen jedoch nicht stören und rissen mit ihrem elfenbeinfarbenen Schnabel Fleischbrocken aus den verendeten Rindern.

      Morgan Elroy stieg von seinem Pferd und näherte sich den toten Tieren. Es bedurfte keines Fährtenlesers, um zu sehen, dass die Tiere noch nicht lange tot waren. Vielleicht eine halbe Stunde – mehr aber nicht. Die Kadaver waren noch warm, es gab keine Anzeichen für eine einsetzende Leichenstarre.

      Doch was die Männer am meisten beunruhigte, waren die tiefen Biss- und Klauenspuren auf den Körpern. Einer Kuh war der Bauch seitwärts mit einem mächtigen Hieb aufgerissen worden. Man sah ganz deutlich auf der Haut die Abdrücke der fünf Krallen, wie sie mit brachialer Gewalt über den Körper gefahren waren. Ein Teil der Gedärme hatte sich auf den Boden ergossen. Bei einem Longhorn war der halbe Hals aufgerissen.

      »Anamaqukiu!«, flüsterte Morgan Elroy, während sie zwischen den toten Tieren hindurchliefen.

      »Wie kann das sein?«, wollte Slater wissen. »Die Spuren gingen doch in den Wald!«

      »Es muss einen weiten Halbbogen geschlagen und uns parallel gefolgt sein. Während wir rasteten, hat es uns vermutlich überholt«, sagte Morgan Elroy nachdenklich.

      »Dann muss dieses Wesen schneller als unsere Pferde sein! Wie ist so etwas möglich?«

      »So schnell ist kein Tier. Es sei denn, es ist geflogen!«

      Der Pawnee umkreiste die toten Tiere, ging mehrere Male in die Hocke, um den Boden zu untersuchen. Dann ritt er mit dem Pferd zum gegenüberliegenden Ausgang des Tales, den Blick immer nach unten gerichtet. Nach zwanzig Minuten kehrte er zu Slater zurück. »Hier muss eine große Herde gewesen sein. Vielleicht tausend Rinder. Das Raubtier ist über die Herde hergefallen und hat diese in eine Stampede versetzt. Die Rinder sind aus dem Tal geflohen.«

      »Mit was haben wir es hier zu tun? Ein einziges Tier kann eine Herde von tausend Rindern in eine Stampede versetzen?«

      »Ich weiß es nicht.«

      Der Cowboy blickte zu den beiden Männern. Er überlegte, ob jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, um Slater reinen Wein einzuschenken. Doch er entschied sich dagegen. Es wäre besser, wenn er mit Jeremy alleine unter vier Augen sprechen würde. Er wollte nicht, dass sich das Team gegen ihn verbündete. Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis er die Blue-Lodge-Ranch verlassen müsste.

      »Was machen wir nun, Boss?«, fragte einer von Slaters Männern. Es war der älteste Bursche im Team, dessen narbiges Piratengesicht zum größten Teil von einer Augenklappe und einem gewaltigen Lederhut verdeckt wurde.

      »Wir folgen der Herde!«, entschied Jeremy Slater. »Niemand wird mir diese Rinder streitig machen!« Er blickte in die Gesichter seiner Männer. »Wenn jemand Zweifel hat, dann kann er auf die Blue-Lodge-Ranch zurückkehren. Ihr seid freie Männer. Niemand wird gezwungen mitzureiten.« Unsicher schauten sich die Männer