Der Tod des Jucundus. Franziska Franke

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Название Der Tod des Jucundus
Автор произведения Franziska Franke
Жанр Языкознание
Серия Krimi
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958132276



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gestern ein Beruhigungsmittel in den Wein geschüttet hat. Wahrscheinlich hat er das erst am fortgeschrittenen Abend getan, denn offensichtlich habe ich nur einen Becher davon getrunken, aber Jucundus und dich hat er betäubt.«

      »Warum?«, fragte Lucius entgeistert.

      Wieder hätte ich am liebsten »Dumme Frage« geantwortet, aber in dieser schwierigen Lage war es wichtig, dass wir zusammenhielten.

      »Um euch zu berauben«, antwortete ich. »Ist dir etwas abhanden gekommen?«

      Mein Bruder schüttelte ohne nachzudenken den Kopf.

      »Nein. Allerdings war meine Börse leer. Was hätte man mir schon stehlen sollen?«

      »Verdammt!«, entfuhr es mir. »Du hättest die Tasche des Jucundus durchsuchen sollen!«

      »Damit man mich für einen Raubmörder hält?«, protestierte mein Bruder und ich musste innerlich zugeben, dass mein Vorschlag ziemlich töricht war.

      Ganz plötzlich fiel mir ein, wie freigiebig der Viehhirte am Vortag gewesen war. Wahrscheinlich war auch bei ihm nichts mehr zu holen gewesen.

      »Warum hat Jucundus uns eigentlich gestern Wein spendiert?«, fragte ich daher.

      »Hast du ihm denn gar nicht zugehört?«, konterte Lucius erstaunlich heftig. »Jucundus hat uns gestern Abend lang und breit erzählt, dass er vorhatte, bald seine Verlobte Cornelia zu heiraten. Du kennst sie doch noch? Sie ist nämlich eine Sklavin unseres früheren Herrn. Er wollte sie freilassen.«

      Schuldbewusst fiel mir ein, dass Jucundus tatsächlich von einer Frau berichtet hatte. Da es mich aber nicht weiter interessierte hatte, war mir völlig entgangen, dass von der schönen Cornelia die Rede gewesen war.

      »Ich glaube, da hilft nur eins, wir müssen den Wirt zur Rede stellen«, bemerkte ich nach einer Weile.

      »Glaubst du, dass er Jucundus erstochen hat?«, fragte mein Bruder und hörte sich ängstlich an.

      »Eigentlich nicht«, beruhigte ich ihn. »Sonst würde ich nicht mit ihm reden.«

      »Und ich?«

      »Ich glaube, es ist besser, wenn du weiterhin den Kranken spielst.«

      Mein Bruder unternahm keinen Versuch mich vom Gegenteil zu überzeugen, sondern starrte in seinen leeren Becher, den er ins Atrium mitgenommen hatte.

      Ich vergewisserte mich nochmals, dass die Katze noch lebte. Dann marschierte ich wieder zurück zu dieser heruntergekommenen Taverne, obwohl ich mir noch am Vormittag geschworen hatte, niemals wieder einen Fuß auf ihre Schwelle zu setzen. Seit Mittag war das Wetter umgeschlagen und die Sonne schien, aber ich fühlte mich noch immer grauenhaft.

      »In dem Wein, den du uns gestern ausgeschenkt hast, war ein Betäubungsmittel!«, beschuldigte ich den Wirt ohne weitere Umschweife. »Jedes Leugnen ist zwecklos, denn ich habe die Wirkung des Giftes an einer Katze ausprobiert.«

      »Woher …?«

      Der Wirt warf seiner Tochter einen mörderischen Blick zu. Diese errötete heftig und schaute dann zu Boden.

      »Und wenn ich alles abstreite?«, fragte er mich mit einem verschlagenen Gesichtsausdruck. »Du könntest selbst etwas in den Wein geschüttet haben, um mich dann anschließend zu erpressen!«

      »Ich habe nicht vor, dich anzuzeigen«, versprach ich, was auch der Wahrheit entsprach. Im Interesse meines Bruders wollte ich die Sache vertuschen. »Alles, was ich möchte, ist herausfinden, wer Jucundus umgebracht hat.«

      Der Wirt gab sich nicht die Mühe, den Erstaunten zu mimen.

      »Ich war es nicht«, sagte er etwas kleinlaut, »ich bin Jucundus und Lucius gefolgt …«

      »Um sie zu berauben?«, fragte ich.

      »Um mich von ihrem Wohlbefinden zu überzeugen«, erwiderte der Wirt unverfroren. »Als ich die beiden gefunden habe, war Jucundus bereits tot und ich habe mich schleunigst aus dem Staub gemacht.«

      Meiner Meinung nach trug der Wirt zumindest eine Mitschuld am Tod des Viehhirten. Außerdem half mir seine Auskunft nicht weiter, denn noch immer wusste ich nicht, wer Jucundus erstochen hatte.

      »Sind die beiden eigentlich allein aufgebrochen?«, fragte ich in einem letzten verzweifelten Versuch, dem Wirt eine brauchbare Information zu entlocken, »oder ist ihnen jemand gefolgt?«

      »Nicht, dass ich es wüsste«, erwiderte der Wirt schulterzuckend. Er dachte einen Moment lang nach. »Dieser seltsame, schlecht gelaunte Sklave, der ihn begleitet hat, der ist ihnen natürlich nachgetrottet.«

      Der Sklave! Dass ich den vergessen hatte! Dabei war ich früher selbst ein Sklave gewesen und ich wusste, wie verletzend es war, dass Herren sich in Anwesenheit ihres Personals unterhielten als handele es sich bei Dienstboten um Möbelstücke. Sklaven waren für die meisten Menschen schlicht unsichtbar.

      »Den werde ich mir vorknöpfen!«, entfuhr es mir und der Wirt blickte mich erschrocken an. Befriedigt bemerkte ich, dass er Furcht hatte. Flackernde Unruhe lag in seinem Blick. »Er wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen!«

      Grußlos stürzte ich aus der Taverne.

      »Nichts für ungut!«, rief der Wirt mir nach. »Du wirst doch keine Geschichte über mich verbreiten?«

      Ich tat ihm nicht den Gefallen, ihn zu beruhigen, sondern beschloss, der Hütte des Jucundus in Castellum Mattiacorum einen Besuch abzustatten. Daher eilte ich zu unserem Wohnhaus zurück, wobei ich diesmal den kürzesten Weg nahm. Einer der Gründe dafür, dass wir am Stadtrand lebten, lag darin, dass ich als Händler Wagen und Zugtiere brauchte. Das für den Stall benötigte Grundstück konnten wir uns aber nur in einem der ärmeren Viertel leisten. Aber ich hätte nicht erwartet, ständig zwischen meinem Haus und dem Hafen hin und herlaufen zu müssen.

      Diesmal war der Empfang etwas besser: Kaum hatte ich die Haustür aufgerissen, eilte mir schon mein Diener Longus entgegen. Jedes Mal wenn ich ihn sah, fragte ich mich, ob sein früherer Herr sich über ihn hatte lustig machen wollen, indem er ihm diesen Namen verpasst hatte. Jedenfalls war Longus auffallend klein und gedrungen, was aber seiner Beweglichkeit keinen Abbruch tat.

      Es hätte sich eigentlich gehört, dass meine Dienstboten mich beide begrüßten. Da die Haushälterin dem Diener nicht Gesellschaft leistete, nahm ich an, dass sie momentan Besorgungen machte, falls sie nicht gerade mit den Sklaven der Nachbarn tratschte.

      »Bitte sattle sofort mein Pferd!«, befahl ich Longus. Der neugierige Ausdruck seines runden Gesichts mit der langen gebogenen Nase über breiten Lippen ließ erkennen, dass er sich fragte, was plötzlich in mich gefahren war. Denn normalerweise kehrte ich erst spät von der Arbeit zurück.

      »Ich bin leider schrecklich in Eile, denn ich will nicht von der Dämmerung überrascht werden«, fügte ich hinzu, um zu signalisieren, dass ich keine Zeit für lange Erklärungen hatte.

      Als Longus mit brummiger Miene verschwand, fragte ich mich, warum ich mich eigentlich meinen Dienstboten gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet fühlte.

      Einen Augenblick lang erwog ich, nach meinem Bruder zu sehen, der sich nicht hatte blicken lassen, obwohl ihm meine Rückkehr unmöglich verborgen geblieben sein konnte, so laut wie ich mit Longus gesprochen hatte. Aber ich wollte lieber gar nicht wissen, was Lucius momentan trieb. Ich hatte auch so genügend Sorgen.

      Während Longus mit meinem Braunen beschäftigt war, hetzte ich in mein Schlafgemach und streifte mir dort eine frisch gewaschene Tunika über. Falls der Besuch auf der anderen Rheinseite ergebnislos verlaufen sollte, hatte ich nämlich vor, das Landhaus des Marcus Terentius aufzusuchen und es wäre mir peinlich gewesen, nachlässig gekleidet bei meinem früheren Herrn vorzusprechen. Schließlich konnte er ruhig mitbekommen, dass ich es in der Zwischenzeit zu etwas gebracht hatte.

      Dann schlang ich hastig einen kleinen Imbiss herunter und eilte zu meinem treuen Reitpferd, das schon – von meinem Diener an der Leine gehalten – nervös auf der Straße tänzelte.