Der Tod des Jucundus. Franziska Franke

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Название Der Tod des Jucundus
Автор произведения Franziska Franke
Жанр Языкознание
Серия Krimi
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958132276



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von dem aus eine schnurgerade Straße zum Herrenhaus führte. Mit seiner repräsentativen Fassade wäre es selbst in Italien als Villa rustica durchgegangen. Aber der äußere Anschein täuschte: Außer der Schaufront besaßen nur die Kellerräume des Landgutes steinerne Wände. Der Rest war aus Ziegeln gebaut, was aber der weiße Anstrich kaschierte. Bedauerlicherweise warf das Gut bei weitem nicht soviel ab, wie der Patron glaubte, seinem Status schuldig zu sein. Allein die Tatsache, dass er seinen Sklaven gestattete, sich freizukaufen, zeigte, dass Marcus Terentius nicht gerade im Geld schwamm. Trotzdem hätte ich auch gern ein derartiges Landgut mit Blick auf den Rhein besessen, auch wenn es mit Hypotheken belastet war.

      Muhen, Blöken und Meckern übertönte die Vogelstimmen, als ich an den Stallungen vorbeikam. Der Wind blies mir einen beißenden Gestank ins Gesicht. Ein Misthaufen, durchfuhr es mich. Deren schiere Existenz hatte ich in der Stadt fast vergessen. Das Landleben war wirklich nichts für mich.

      Ich überquerte einen Hof, der mehrere Scheunen miteinander verband, und ein Junge flüchtete vor mir. Er war ein bemitleidenswert dünnes Kerlchen von ungefähr sieben bis acht Jahren mit kurz geschorenem dunklem Haar. Hastig rannte er über den frisch gefegten Hof und kletterte eine Leiter hoch, die gegen einen Speicher gelehnt war. Wahrscheinlich durfte der Junge hier nicht spielen oder er hatte irgendetwas auf dem Hof stibitzt. Jedenfalls fühlte ich mich unangenehm an meine eigene Kindheit erinnert, die ich auf diesem Anwesen verbracht hatte.

      Während ich mich so in meinen Gedanken verlor, erinnerte ich mich, dass Marcus Terentius schon damals ein vielbeschäftigter Mann war. Vielleicht hätte ich meinen Besuch vorher ankündigen sollen? Aber nun war es für derartige Überlegungen zu spät.

      Als ich die Veranda erreichte, die dem Hauptgebäude vorgelagert war, warf ich einen neidischen Blick auf den schön angelegten Ziergarten mit seinem kreisrunden Wasserbecken, der sich rechts des Herrenhauses befand. Ich würde sehr viel Wein verkaufen müssen, um mir einen derartigen Garten leisten zu können.

      Ein grobknochiger Knecht mittleren Alters schritt mir mit finsterer Miene entgegen. Ich teilte ihm mit, dass ich ein Freigelassener seines Herrn war und das schien ihm zu gefallen. Er rang sich sogar ein Lächeln ab. Wahrscheinlich ließ mein Anblick ihn hoffen, dass auch er es noch zu etwas bringen könnte. Ich überließ dem Knecht meinen Braunen und stieg die Stufen zur Veranda hinauf. Obwohl ich sicher war, dass man mich bereits aus dem Inneren des Hauses beobachtete, wurde die Tür nicht geöffnet. Trotzig zog ich also an dem Strick, der an der Messingglocke befestigt war.

      Die Angeln der Haustür quietschten als die Haustür aufgezogen wurde. Beim Anblick des Pförtners, den ich schon seit meiner Kindheit kannte, erschrak ich. Wie alt er geworden war! Sein Körper war ausgemergelt, das Gesicht von zahllosen Falten durchzogen und das kurz geschorene Haar schütter und grau. Er hieß Lydus, beziehungsweise hatte Marcus Terentius ihn so genannt, weil er aus Lydien kam und die Herren sich meist nicht die Mühe machten, sich die Namen ausländischer Dienstboten zu merken.

      »Ich möchte mit Marcus Terentius sprechen«, erklärte ich und schilderte dem Pförtner dann, worum es sich handelte.

      Ich hatte Glück und Lydus bestätigte, dass sein Herr zu Hause war. Er winkte einen etwa zwanzigjährigen Sklaven herbei. Aus seinem roten Haar und seinen Sommersprossen schloss ich, dass er Gallier war.

      »Ich werde nachfragen, ob der Herr für dich Zeit hat«, erklärte der Haussklave geflissentlich.

      Durch die offene Tür drang der Geruch von gedünsteten Forellen ins Freie und lenkte mich für einen Augenblick ab. In der Küche, in der Tag und Nacht gewaltige Mengen von Speisen für den großen Haushalt zubereitet wurden, kochte man also bereits das Mittagessen. Dieses war zwar nach altrömischer Sitte weit weniger üppig als die abendliche Cena, aber trotzdem begann mein Magen laut vernehmbar zu knurren.

      Während ich auf den Haussklaven wartete, musterte ich den Pförtner aus den Augenwinkeln. Ich zählte an den Fingern ab, wie lang ich ihn schon kannte: Es waren vierundzwanzig lange Jahre, die sicherlich auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen waren.

      Glücklicherweise ließ der Haussklave mich nicht lang warten.

      »Der Herr geruht dich zu empfangen«, erklärte er in einem pompösen Tonfall, der in drolligem Gegensatz zu seinem holprigen Latein stand und ich fragte mich, ob er wusste, dass ich ein Freigelassener seines Herrn war.

      Wahrscheinlich nicht, hätte er mich doch dann sicherlich weniger höflich behandelt.

      Majestätischen Schrittes führte er mich in den zentralen Innenhof des Hauses. Dabei durchquerten wir Zimmer mit prächtigen Wandgemälden, die vor einem roten Hintergrund kleine Bilder mit mythologischen Szenen in idyllischen Landschaften zeigten. Farbige Mosaiken mit geometrischen Mustern und täuschend echt wiedergegebenen Meerestieren überzogen die Fußböden der meisten Räume. Auch die Möbel waren aus kostbaren Materialien wie farbigem Marmor und afrikanischem Ebenholz gefertigt. Ihre zierlichen Dekorationen zeugten von Reichtum und gutem Geschmack ihres Besitzers. Auf den Tischen standen Steinpokale, sowie Gefäße aus geschliffenem Glas, schimmerndem Silber und glänzendem Gold.

      Wohlriechende Düfte lagen in der Luft und aus den Heizungsschächten unter dem Fußboden strömte wohlige Wärme. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich in unserem Hause die Heizung bereits seit einem Monat hatte abschalten lassen. Neidlos musste ich zugeben, dass dieses Herrenhaus unser eigenes Wohnhaus an Pracht in demselben Ausmaß übertraf wie der Kaiserpalast das Quartier des hiesigen Lagerkommandanten. Dieser Luxus war mir früher gar nicht aufgefallen, aber ich hatte damals auch mehr Zeit in den Weinbergen verbracht als im Haus meines Herrn.

      Marcus Terentius erwartete mich im Atrium auf einem Klappstuhl mit Elfenbeinfüßen sitzend. Das Möbelstück erinnerte mich an die Amtsstühle der höheren Beamten. Vor ihm plätscherte ein Brunnen mit einer Schale aus weißem Marmor, der eine bronzene Fischfigur als Wasserspeier besaß. Er war so kunstvoll gearbeitet, dass es sich nur um ein Importstück aus Italien handeln konnte.

      Mein Patron war mittelgroß und sein Gesicht war wettergegerbt und kantig. Sein schwarzes Haar zeigte an den Schläfen das erste Grau, aber ich habe immer vermutet, dass er älter aussah, als er tatsächlich war. Die Falten seiner Toga waren tadellos gelegt. Ich fragte mich, ob er sich in seinem Landhaus tatsächlich an einem gewöhnlichen Werktag so aufwändig kleidete oder ob er sich meinetwegen so in Schale geworfen hatte. Für letzteres sprach, dass er mich solange hatte warten lassen. Trotz des recht milden Wetters hatte er sich im Atrium ein Kohlenbecken aufstellen lassen.

      Ich begrüßte ihn mit der Zuvorkommenheit, die ihm als meinem Patron zustand.

      »Schön dich zu sehen«, erwiderte er, »Wie geht es deiner Frau? Leider habe ich ihren Namen vergessen.«

      »Ich bin nicht verheiratet«, erklärte ich verärgert und fragte mich, mit wem mein Patron mich wohl verwechselte.

      »Sei froh«, kommentierte er knapp.

      Ich hätte mich im Gegenzug zu gern nach seiner Gemahlin erkundigt, aber diese Frage hätte Marcus Terentius sicher als impertinent empfunden.

      »In der letzten Zeit geschehen schreckliche Dinge«, bemerkte er, nachdem wir einige Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht und uns kurz über Weinbau und Landwirtschaft unterhalten hatten. »Zuerst wird Jucundus erstochen und jetzt ist auch noch sein Sklave ins Wasser gegangen. So etwas gab es früher nicht!«

      Diese Worte schockierten mich derart, dass ich mich auf den Brunnenrand setzen musste. Leider stand im Atrium kein weiterer Stuhl.

      »Sein Sklave ist ins Wasser gegangen?«, fragte ich fassungslos zurück, weil ich mir nicht sicher war, ob ich mich nicht verhört hatte. »Was soll das heißen?«

      »Er hat sich im Main ertränkt«, antwortete Marcus Terentius in einem sachlichen Tonfall, doch man sah ihm an, dass auch ihn erschütterte, was geschehen war. In all den Jahren, die ich ihn kannte, hatte ich es noch niemals erlebt, dass er so nahe davor stand, seine Selbstbeherrschung zu verlieren.

      »Wann?«, wollte ich wissen.

      Mein Patron stand langsam auf, ging zum Brunnen und schaute mit dem Rücken zu mir in die Wasserfontäne, wahrscheinlich um