Brücken zwischen Leben und Tod. Iris Paxino

Читать онлайн.
Название Brücken zwischen Leben und Tod
Автор произведения Iris Paxino
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783772543210



Скачать книгу

oft gar als Namenloser dieser Welt entschwindet. Die Anonymität seines Lebens wird zur Anonymität seines Todes. Das Sterben ist somit ein «entsubjektivierter» Prozess, der als «unmenschlich» grausam und unpersönlich empfunden wird. Der Tod gehört nicht mehr zum Leben dazu, er wird lediglich zum Abbruch des Lebens. Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit ist gespalten, Leben und Tod werden nun zu zwei nicht miteinander zu vereinenden Gegensätzen.

      So ist eine Kultur entstanden, die den Glauben an eine Seele des Menschen, die nach dem Tod vom Körper unabhängig fortbesteht, als irrational ansieht. Die Vorstellung, dass das Bewusstsein des Menschen vom Gehirn produziert wird und mit diesem natürlich auch erlischt, dominiert weitgehend alle Lebensbereiche. Der Tod wird als endgültige Auslöschung der menschlichen Existenz deklariert. Die praktischen und intellektuellen Resultate der modernen Natur- und Geisteswissenschaften sind von so großer Tragweite, dass diese neue Weltanschauung eine totalitäre Allgemeingültigkeit beansprucht. Politische Systeme werden auf dieser Grundlage errichtet, schulische und universitäre Bildungseinrichtungen wachsen auf diesem Boden. Der Tod als Erscheinung, als Wesenhaftigkeit des Lebens wird hinwegdiskutiert. Die fehlende Auseinandersetzung mit diesem Bestandteil unseres Seins führt zu einer wachsenden Angst und zu einer Tabuisierung des Todes.

      Doch diese Anschauung, obwohl sie unsere westliche Kultur noch durchdringt, hat ihren Zenit bereits überschritten. Bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts vermehren sich Phänomene wie außerkörperliche Erfahrungen, Jenseitskontakte und vorgeburtliche Erinnerungen. Immer mehr Menschen berichten von eindrücklichen Engel- und Christus-Begegnungen, von Erlebnissen mit Elementarwesen und mit Verstorbenen. Meditationserfahrungen, die konkrete geistige Erlebnisse implizieren, häufen sich. In Bezug auf den Tod taucht – ausgerechnet als Ergebnis der medizinischen Wissenschaft – ein Phänomen auf, welches das moderne Weltverständnis erneut infrage stellt: Es handelt sich um Nahtoderfahrungen. Mithilfe von notfallmedizinischen Maßnahmen werden Menschen vom Rande des Todes ins Leben zurückgeholt. Diese Menschen erleben sich außerhalb ihres Körpers als waches und klares Bewusstsein, obwohl sie vom medizinischen Personal als klinisch tot deklariert wurden. Sie sprechen weiter von Einblicken in eine andere Realität, in der sie Begegnungen mit Verstorbenen und geistigen Wesenheiten haben. Der entsetzte Versuch der Wissenschaft, diese Erlebnisse als hirnorganische Prozesse, als angstinduzierte oder psychopathologische Abwehrreaktion einzustufen, scheitert. Abertausende Menschen bezeugen, solche Erfahrungen gemacht zu haben; dabei handelt es sich um psychisch gesunde Menschen. Diese Erlebnisse bestätigen sich gegenseitig, denn sie folgen einem gemeinsamen Muster, obwohl Essenz und Inhalt der Erfahrung von individueller Qualität sind.

      Es findet also ein Paradigmenwechsel statt. Die Gesellschaft beginnt, darauf zu reagieren, es entstehen neue medizinische und psychosoziale Fachbereiche, neue Institutionsformen. Der Sterbeprozess erhält erneut Beachtung und Würdigung, in nur wenigen Jahrzehnten entsteht eine weltweite Hospizbewegung. Die Sterbebegleitung und die Palliativmedizin halten Einzug in Kliniken und Krankenhäuser und werden in kürzester Zeit zu anerkannten Disziplinen. Nicht nur die körperlichen Belange des Patienten werden hier berücksichtigt, man ist bestrebt, auch seine psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse in diese Konzepte einzubinden.

      Somit befinden wir uns inmitten eines weltanschaulichen Umbruchs und können sehenden Auges wahrnehmen, wie die Zeit des materialistischen Denkens bereits abgelöst wird. Wie jede geschichtliche und geistige Ära zuvor, hat auch diese Kulturepoche einen zeitlichen Verlauf gehabt, in welchem sie gewisse Denksysteme, Inhalte und gesellschaftliche Formen entwickelt hat. Doch das Bewusstsein des Menschen verändert sich stetig und ermöglicht neue Wirklichkeitserfahrungen. Die bereits angebrochene Zeit bringt ein neues Verständnis für die Dimensionen von Leben und Tod mit sich, sie ermöglicht neue Erlebnisfähigkeiten hinsichtlich einer geistigen Realität und erschafft somit auch einen neuen Bezug zur Ganzheit des Menschseins als ein sich durch unterschiedliche Seinszustände entwickelndes physisch-seelisch-geistiges Wesen. Das, was zuletzt kontrovers als Glaube oder Nichtglaube an eine Existenz nach dem Tod diskutiert wurde, wird nun immer deutlicher von einer Spiritualität abgelöst, die auf persönlicher Erfahrung basiert. Bewusstseinsdimensionen, die unser Tagesbewusstsein überragen, erschließen sich immer mehr Menschen und eröffnen ihnen Einblicke in eine überaus vielschichtige, wundersam komplexe Komposition von übersinnlichen Ebenen.

      Der Bereich der Verstorbenen stellt lediglich eine Sequenz dieses umfassenden Sinngefüges dar. Die Frage, ob es eine Existenz nach dem Tod gibt, scheint für eine große Mehrheit unserer Gesellschaft bereits geklärt zu sein: ja! Nun geht es überdies darum zu erfahren, wie es nach dem Schwellenübertritt weitergeht. Wir können uns also auf den Weg machen und die nachtodlichen Welten Schritt für Schritt erkunden.

      Der Sterbeprozess

      Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust,

      wird es dir sein, als lachten alle Sterne,

      weil ich auf einem von ihnen wohne,

      weil ich auf einem von ihnen lache. (…)

      Und wenn du dich getröstet hast (…),

      wirst du froh sein, mich gekannt zu haben.

       Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz

      Die Thanatopsychologie unterteilt den Prozess des Sterbens in drei Stufen: Sterben, Tod und Danach. Das verweist sachgemäß auf die Tatsache hin, dass der Tod ein dynamisches Geschehen ist, welches einen fortschreitenden Verlauf impliziert. Dementsprechend ist auch zu erklären, dass der Tod nicht erst im Augenblick des physischen Absterbens wahrgenommen werden kann, sondern in vielfältiger Weise bereits schon im Voraus.

      Als Sterbeerlebnisse werden diejenigen Erlebnisse betrachtet, die in der gesamten Phase vor dem Tod stattfinden. Sie beziehen sich zunächst auf Zustände, die mit dem körperlichen Zerfall und mit der psychischen Beschäftigung mit dem Tod in dieser letzten Phase zu tun haben. Hier setzt die klassische psychologische Sterbebegleitung ein. Das Regeln noch ungelöster Dinge, das Abschiednehmen von Familie und Freunden gehört unmittelbar zu dieser Arbeit. Den meisten Sterbenden ist es auch ein Bedürfnis, ihr Testament und den Nachlass zu regeln. Manche möchten ihre Beisetzung abklären, andere wiederum scheuen sich gerade davor, diese Thematik anzugehen. Diese Angelegenheiten bilden den äußeren Rahmen und somit die erste Ebene dieser Arbeit.

      Eine zweite Ebene in der Begleitung Sterbender ist die Auseinandersetzung des betroffenen Menschen mit der eigenen Lebensgeschichte. Falls sein Zustand es erlaubt, ist eine abrundende und verständnisbildende Gesamtschau über seine irdische Biografie ein überaus wichtiger Prozess. Dieser biografische Blick ermöglicht es ihm, seinen Selbstbezug zu klären, den großen Bogen seines Lebenswegs zu erkennen und den Übergang über die Schwelle annehmend vorzubereiten.

      Eingebettet in diesem Geschehen der Klärung und Loslösung tauchen bei einigen Menschen geistige Erlebnisse auf, die durch die Anwesenheit von Engeln und bereits Verstorbenen ihren herannahenden Tod vorzeichnen. Diese Erlebnisse bilden die dritte und innigste Ebene des Sterbeprozesses eines Menschen. Sie zeigen auf, dass der Tod geistig vorbereitet wird und sich übersinnlich ankündigt.

      Ich erinnere mich an eine siebenundsechzigjährige Patientin im Krankenhaus, die einen äußerst schwierigen Krankheitsverlauf gehabt hatte. Ihr Wesen war liebevoll und mild, sie nahm die Hilfe der Pflegenden bescheiden und überaus dankbar an. Eines Tages betrat ich ihr Zimmer, und das Erste, was sie sagte, war: «Ich werde erwartet, wissen Sie? Ich werde erwartet», und ein Lächeln erhellte ihr grau gewordenes Gesicht. Ihr Körper war stark von der Krankheit gezeichnet, sie atmete schwer, die Schmerzen wurden von Tag zu Tag unerträglicher. «Ja, ich werde erwartet», wiederholte sie. Ihre Augen leuchteten dabei, und von ihrem Wesen ging ein freudevoller Glanz aus. «Möchten Sie mir davon erzählen?», fragte ich sie.

      «Es ist mein Engel. Ich weiß, dass er es ist. So liebend ist er, er wartet geduldig. Meistens am Kopfende steht er, sehen Sie? Hier …», sagte sie und deutete auf die Wand hinter ihrem Bett. «So liebend ist er … Und manchmal sehe ich ihn in der rechten Ecke des Zimmers, dort am Fenster, neben dem Vorhang, sehen Sie? Aber das ist seltener. Meistens spüre ich ihn hier hinten, bei mir. – An manchen Tagen sind es auch andere