Brücken zwischen Leben und Tod. Iris Paxino

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Название Brücken zwischen Leben und Tod
Автор произведения Iris Paxino
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783772543210



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schließen. Ich habe verstanden, dass uns im Grunde genommen lediglich ein kleiner Bewusstseinsschritt von der Welt der Verstorbenen trennt. Ich hoffe, dass immer mehr Menschen diesen Bewusstseinsschritt wagen, sodass ein lebendiger und immer bewussterer Austausch zwischen Diesseits und Jenseits möglich wird. Die Verantwortung für die Gestaltung unserer gemeinsamen Welt kann uns wahrhaftig Brücken zwischen Leben und Tod bauen lassen.

      Allen, denen ich auf diesem Weg begegnet bin, auf dieser und auf der anderen Seite des menschlichen Seins, und von denen ich so viel Kostbares lernen durfte, danke ich von Herzen! Meiner geliebten Großmutter, die mir die allerersten Einblicke über die Schwelle ermöglicht hat, widme ich, in inniger Schicksalsverbundenheit und tiefster Dankbarkeit, dieses Buch.

      Der Tod im Wandel der Zeit

      Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden,

      Als Eure Schulweisheit sich träumt (…)

       William Shakespeare: Hamlet, Erster Akt, 5. Szene

      Leben und Tod bilden die Grenzdimensionen der menschlichen Existenz auf Erden. Durch alle Menschheitskulturen und Zeitepochen hindurch begleitet uns die Frage, was Leben und Tod bedeuten. Zum menschlichen Sein dazugehörig, bedingen sie sich gegenseitig; und doch bedeuten sie für unsere Welt die größtmöglichen Gegensätze, die der menschliche Geist in der Lage ist zu erfassen. Religion, Geschichte und Philosophie, Kunst, Literatur und Wissenschaft kreisen seit jeher um diese größten Rätsel. Neue Antworten lösen alte Fragen ab, neue Fragen entstehen aus den bereits gefundenen Antworten. Können Leben und Tod als Sein und Nichtsein verstanden werden? Was ist die Dimension der Ewigkeit, zu der der Mensch stets als Ideal hingestrebt hat? Was geschieht mit dem Menschen, wenn er aus dem Leben scheidet? Ist das Phänomen des Todes ein Rätsel für die Menschen aller vergangenen Kulturen gewesen?

      Die geschichtlichen Quellen offenbaren uns, dass in den verschiedenen Zeitaltern und Kulturen unterschiedlichste Vorstellungen über das Schicksal des Menschen nach dem Tod geherrscht haben. Das, was wir Antlitz des Todes nennen, hat früher eine andere Bedeutung gehabt als heute. Das Verständnis von der Wesensnatur des Todes hat somit zahlreiche Umwandlungen erfahren. Alle Dokumente, die uns erhalten geblieben sind, zeugen davon, dass die Menschen vergangener Zeiten sich nicht die Frage stellten, was der Tod ist, sondern was mit der Seele des Menschen nach dem Verlassen der physischen Welt geschieht.

      Der Mensch der altindischen Hochkultur erlebte sich eingebettet in den Schutz der ihn umgebenden geistigen Wirklichkeit. Er spürte in sich die Sehnsucht nach dem Geistigen, welches er als Ursprung und Wirklichkeit des eigenen Daseins anerkennt. Dort ist für ihn das wahre Licht; die Existenz auf Erden wird als nebelhafte, illusorische Maya empfunden. Die Pforte zum Jenseits ist nicht verschlossen, gerade der Tod ermöglicht dem Menschen die Befreiung aus der irdischen Welt und somit die Erlösung der leibgebundenen Seele. Dieses uralte Wissen wird durch Gesänge und rhythmisch-poetische Verse über lange Zeiten hinweg in mündlicher Form überliefert. Später fließt es dann in die Vedenphilosophie, in die Sankhya- und in die ursprüngliche Yogaströmung ein.

      Eine weitere prägende Menschheitsepoche, die sumerischbabylonische, hinterlässt uns als Essenz ihrer Geisteshaltung das bewegende Gilgamesch-Epos. Es handelt sich hier um das erste schriftlich verfasste literarische Werk der Menschheit und zugleich um den ersten uns überlieferten Totengesang. Ab dem 25. Jh. v. Chr. zunächst mündlich überliefert, wird dieses Epos im 18. Jh. v. Chr. in Keilschrift niedergeschrieben. Es zeugt davon, dass der Mensch, Gilgamesch, das Sterben des schicksalsverbündeten Enkidu als Verlust an den Tod empfindet. Er macht sich auf den Weg, um den verlorenen Freund wiederzufinden und zurückzuholen. Der Tod bedeutet hier eine einschneidende, schmerzhafte Trennung, doch keine unpassierbare Grenze. Er ist kein Rätsel, er stellt eine Herausforderung für den Menschen dar.

      Eine der darauffolgenden Hochkulturen, die uns Zeugnisse ihrer Lebensart hinterlassen hat, ist die ägyptische Epoche. Das ägyptische Totenbuch, der Mythos von Isis und Osiris, die Funde der Gräber in den Pyramiden sprechen eine Sprache, die den Tod kennt und seine Wurzeln inmitten des Lebens platziert. Der Kult der Mumifizierung hat nicht lediglich den Sinn der Erhaltung des Leichnams, sondern ist als eine Brücke zwischen dem physischen Körper und der sich in die geistige Welt erhebenden Seele zu verstehen. Der Tod ist nicht das Ende des Lebens, er wird als erhabenes Tor zu einem jenseitigen Entwicklungsweg erlebt. Lediglich in der dekadenten Spätphase der ägyptischen Kultur verlagert sich das Verständnis für das Wesen des Menschen immer stärker ins Diesseits. Mit dem Untergang dieser zivilisatorischen Hochkultur entartet auch der Kult der Mumifizierung zum Versuch, das Irdische festzuhalten und zu konservieren.

      Die nächste große Epoche der Menschheitsentwicklung ist das antike Griechenland. Dieses hinterlässt uns überaus kostbare Werke auf dem Gebiet der Philosophie, der Dichtung, der plastischen Kunst und der Architektur. Diese Kultur ist inhaltlich so reich, dass in ihrem Schoß unterschiedliche geistige Strömungen entstehen können. Homer plastiziert uns dichterisch in seinen Meisterstücken Ilias und Odyssee das Bild des griechischen Menschen in seinem Weltzusammenhang. Das Reich des Todes ist Hades’ Welt: Es ist eine Schattenwelt, in der die Seelen der Verstorbenen in einer körperlosen, rauchigen Gestalt als Abbild ihres ehemals physischen Körpers für sich leben. Der griechische Mensch fürchtet diese Unterwelt; nur noch der «Held», also der mit besonderen Fähigkeiten Begabte, der Geschulte, der Muterfüllte, kann, von Liebe und Schmerz getragen, in diese Welt eindringen und sie als lebender Mensch wieder verlassen. Heraklit stellt die Verkettung von Leben und Tod in einem für den damaligen Menschen klaren Bild dar: Alles, was lebt, hat durch den durchlaufenden Strom des Werdens den Tod in sich. Der Tod hat wiederum stets das Leben in sich. Leben und Tod weben beide im menschlichen Leben und Sterben, nur so kann das ewige Werden alles durchströmen.

      Doch auch ein anderer philosophischer Ansatz entstand in der griechischen Antike, und zwar durch Demokrit, den Vater der griechischen Atomisten. Seiner Anschauung nach setzt sich alle Materie der Welt aus unteilbaren Stoffteilchen, Atomen, zusammen. Durch die Bewegung der Stoffteilchen zueinander entstehen die Naturvorgänge. Somit wird die Natur hier entseelt. Der Mensch fühlt sich nicht mehr als Teil des Göttlichen, welches Natur und Mensch mit seinem Ewigkeitshauch durchströmt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit entsteht nun die Frage, ob die Seele, die gemäß dieser Anschauung ebenfalls aus Atomen besteht, beim Tod des physischen Körpers den Weg der Auflösung geht. Der Tod, der bisher durch alle Kulturen den Menschen als Teil des Lebens begleitet hat, wird nun – und erst jetzt – zum Rätsel! Der Keim der materialistischen Weltanschauung wird durch diese Kulturströmung geboren. Obwohl die Philosophie der großen Denker Heraklit, Plutarch, Sokrates, Platon, Aristoteles u.v a. das Ferment der gesamten weiteren geistigen Entwicklung Europas darstellt, hat sich der Strom Demokrits, auch wenn erst unmerklich, aufrechterhalten. Der Boden der Aufklärung war dann fruchtbar für diesen Keim, denn ab da hat er sich zum gewaltigen Gebilde des Materialismus entfalten können.

      Die neue christliche Kultur brachte ein in anderer Hinsicht verwandeltes Todesverständnis mit sich. Der Mensch hatte zwar nicht mehr das Empfinden, dass er während seines Lebens in das Reich der Toten eindringen könnte, doch die Toten bekamen Platz inmitten des alltäglichen Lebens. Die Friedhöfe wurden direkt neben den Kirchen, im Herzen der Dörfer und Städte gebaut. Der Tod wurde als zum Leben dazugehörig akzeptiert, sein Herannahen wurde von den Menschen oft erspürt. Der Sterbeprozess wurde häufig von einem Priester und von der anwesenden Familie begleitet, der Sterbende segnete dabei seine Angehörigen und nahm feierlich Abschied von ihnen.

      Im Verlauf der Jahrhunderte verliert der Mensch jedoch immer mehr den Bezug zum Tod und beginnt, diesen als Bedrohung des Lebens zu erleben. Man ringt mit der Gestalt des Todes, die in der religiösen Kunst als furchteinflößende, skelettartige Gestalt des Knochenmanns dargestellt wird. Bis zum beginnenden 20. Jahrhundert hat sich diese Tendenz so weit verstärkt, dass der Tod in den westlichen Gesellschaften immer mehr aus dem Leben ausgeschlossen wird. Der Prozess des Sterbens wird in Krankenhäuser verlegt, das medizinische Personal und die Angehörigen verschweigen dem Sterbenden häufig seinen kritischen Zustand. Was sein Empfinden angeht, ist der Mensch nun sich selbst überlassen. Die zahlreichen Opfer der zwei Weltkriege veranschaulichen das Bild des gefallenen und einsam sterbenden Soldaten.