Brücken zwischen Leben und Tod. Iris Paxino

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Название Brücken zwischen Leben und Tod
Автор произведения Iris Paxino
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783772543210



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Liebe so stark auf mich zu fokussieren, dass sie mein Bewusstsein erreichen konnte, dann müsste es doch möglich sein, dass auch ich mein Bewusstsein in der Weise ausrichten könnte, sie von mir aus zu erreichen. Mir wurde klar, dass mein Tagesbewusstsein noch nicht geschult war, sich zwischen den Welten hin- und herzubewegen. Die Traumebene, also das Reich des Halbbewussten, war zum damaligen Zeitpunkt meine einzige Möglichkeit, eine Begegnung mit einem Verstorbenen zu erleben. So wurde die Suche nach einem konkreten Weg, die Welt der Verstorbenen selbst intendiert und wachbewusst zu erleben, zu meiner neuen zentralen Frage.

      Ich begann zu lesen und las in den folgenden Jahren so ziemlich alles, was ich zum Thema Tod finden konnte: Religionsgeschichte und Philosophie, Psychologie und Theologie, wissenschaftliche Abhandlungen und sogenannte Fachliteratur. Vieles empfand ich als recht dürftig und enttäuschend, denn das, was sich «wissenschaftlich» nannte, vertrat im Grundtonus lediglich das herkömmliche materialistische Dogma unserer Zeit: Das Absterben der Körperfunktionen bedeute zugleich die Auslöschung des menschlichen Bewusstseins. Ich fand jedoch auch viel Spannendes und Interessantes. Dies basierte allerdings lediglich auf Theorien und Hypothesen und half mir in meiner konkreten Fragestellung nach einem wachbewussten Umgang mit der Welt der Verstorbenen wenig weiter.

      Dann fand ich in der Anthroposophie Rudolf Steiners ganz konkrete Schilderungen des menschlichen Entwicklungsweges nach dem Tod, hier – endlich – in einem zeitgemäßen Kontext und in einem weit umfassenderen Gesamtbild als in allen anderen Darstellungen. Die Beschreibungen Steiners waren überaus komplex geformt, gedanklich glasklar nachvollziehbar und dem Geistigen gegenüber weit offen. Da begegnete ich einem modernen Denker, der aus eigenem Erleben heraus eine zutiefst spirituelle Sprache sprach. Hier fand ich die ersten greifbaren Antworten auf meine Fragen.

      Parallel dazu stieß ich auf Beschreibungen von Nahtoderfahrungen. Menschen, die klinisch tot oder dem Tod sehr nahe gewesen waren, berichteten über eigene Erlebnisse im Zustand eines vom Körper freien Bewusstseins. Es war mir klar, dass es sich hier lediglich um die ersten Augenblicke, also um die allerersten Schritte in der nachtodlichen Welt, handelte; aber es war zumindest der Anfang des Weges, den ich suchte. Für mich wurde somit das Phänomen der Nahtoderfahrungen zu einem eigenen Forschungsfeld. Ich suchte Menschen auf, die solche Erfahrungen an der Schwelle des Todes gemacht hatten, führte mit ihnen Gespräche und Interviews, fertigte eine wissenschaftliche Studie an und schrieb – entgegen der Empfehlung meines Professors – meine Doktorarbeit zu diesem Thema. Dabei berührte es mich ganz besonders, wenn die Menschen über ihre Erlebnisse an der Todesschwelle sprachen und sich ihr ganzes Wesen veränderte: Etwas Sanftes leuchtete in ihren Augen auf, wie aus einer geheimnisvollen inneren Quelle heraus strömte etwas Klares, Lebendiges, Liebegetragenes durch sie hindurch, was für mich real spürbar und wahrnehmbar war.

      In diesen Jahren begann ich auch meditativ zu üben, und mit der Zeit bemerkte ich, dass ich immer wahrnehmungsfähiger wurde. Empfindungen formten sich langsam zu erklärenden Bildern, innere Zwiegespräche wurden zu geistigen Begegnungen, auf Fragen stellten sich konkrete Antworten ein. Ausgangspunkt solcher Übungen war, das eigene Innere ganz still und vorurteilslos zu halten. Ich lernte also, dass man das Reich der Verstorbenen Schritt für Schritt übend betreten kann. Der Weg dahin ist ein Herzensweg, denn liebende Verbundenheit und waches, aufrichtiges Interesse am anderen bilden der eigenen Seele die Brücke über die Schwelle. Meine Erlebnisse mit Verstorbenen, erst intuitiv und mit der Zeit immer klarer und bewusster, häuften sich. Und so führte mich mein Weg dann weiter zu einer über Jahre anhaltenden Beschäftigung mit der Thematik des Todes.

      Später, als Psychologin in einem Krankenhaus, begleitete ich unter anderem auch Patienten, die an der Todesschwelle standen. An den Krankenbetten dieser sterbenden Menschen durfte ich eindrückliche Erfahrungen machen. Ich bemerkte, dass bei zahlreichen Patienten geistige Erfahrungen während des Sterbeprozesses auftraten. Manche von ihnen erlebten den eigenen Schutzengel, der ihnen in dieser Übergangsphase zwischen Leben und Tod liebend und geduldig beistand. Andere nahmen zuvor verstorbene Familienangehörige oder Freunde wahr, die sie nun an der Schwelle erwarteten. Als Begleitperson kann man lernen, das geistige Geschehen um einen sterbenden Menschen recht genau wahrzunehmen. Die Stimmung, die im Zimmer herrscht, ist anders als die Stimmung in anderen Patientenzimmern. Licht und Dunkel scheinen viel eindringlicher zu sein, die Haltung der Schutzengel ist ernster und trägt eine ganz besondere Qualität des Sakralen in sich. Auch der Doppelgänger des sterbenden Menschen macht sich in manchen Fällen deutlich bemerkbar, was sowohl für den Sterbenden als auch für die ihn umgebenden Menschen zu einer Herausforderung werden kann. – So verstand ich, dass Sterbebegleitung sich nicht lediglich auf die Organisation der letzten Angelegenheiten und auf das Annehmen und Loslassen des gewesenen irdischen Lebens beschränken kann. Diese Arbeit sollte ebenfalls eine bewusste Begleitung des Schwellenübertritts und eine Vorbereitung auf das danach Kommende umfassen.

      Eine weitere Erfahrung, die ich in dieser Krankenhauszeit machte, war, dass einige der Patienten auch noch nach ihrem Tod für mich erlebbar waren. Manche kamen, nun als geistige Gestalt, um sich zu verabschieden oder um sich für die gemeinsame Arbeit zu bedanken. Andere hatten noch eine Bitte oder ein Anliegen und benötigten hierbei Hilfe aus der physischen Welt. Es wurde mir immer deutlicher, dass diese Arbeit nicht an der Schwelle endet, sondern unweigerlich über diese hinausgeht.

      Anschließend an die Kliniktätigkeit lag der Schwerpunkt meiner Arbeit in einer eigenen psychologischen Beratungspraxis. Hier galt es, vorwiegend krisenhafte Lebensthemen zu begleiten, wie beispielsweise berufliche und persönliche Selbstfindungsprozesse, Paar- und Beziehungsprobleme, Trennungs- und Verlusterlebnisse, Depressionserkrankungen usw. Mit Sterbenden hatte ich zwar nicht mehr zu tun, dafür aber immer mehr mit Verstorbenen. Manche erschienen als Geistgestalt im Zusammenhang mit einem Klienten und waren Teil eines bestimmten zu bearbeitenden Problemkomplexes; andere hafteten dauerhaft an einem Klienten und bereiteten ihm unbemerkt Schwierigkeiten. Es handelte sich dabei um Seelen, die nach dem Tod bestimmte irdische Zusammenhänge nicht loslassen konnten und somit in der erdennahen Zwischenwelt stecken geblieben waren.

      Mit der Zeit stellte ich auch außerhalb der Praxisarbeit fest, dass es viele solcher hängen gebliebenen Seelen gibt, die erhebliche seelische Belastungen, soziale Schwierigkeiten bis hin zu schweren psychischen Erkrankungen verursachen. Sie können Menschen, Institutionen und soziale Zusammenhänge wie auch Lebensräume, Häuser und Landschaftsorte durch ihre Einwirkung belasten. Hier sind mir viele verunsicherte und desorientierte, leidende und verzweifelte Gestalten begegnet. Ihre Anzahl ist bestürzend hoch, und ihre Not ist erschütternd groß. Sie sind eine Bürde für unsere Welt und bilden ein regelrechtes therapeutisch-soziales Arbeitsfeld. Diese Verstorbenen sind auf Hilfe angewiesen, sie benötigen Aufklärung über ihren eigenen Zustand und eine bewusste Anbindung an die geistige Wirklichkeit, in der sie sich befinden. Erst durch eine solche «Erlösungsarbeit» können sie ihren nachtodlichen Entwicklungsweg weitergehen.

      Gleichwohl sind mir in dieser Arbeit auch Verstorbene begegnet, die ihrerseits Hilfe leisten. Das sind lichte, kraftvolle, selbstlose Verstorbene, die impulsierend und inspirierend wirken, sowohl innerhalb der nachtodlichen Bereiche als auch in unsere Welt hinein. Sie können wertvolle Stützen für unsere persönliche Entwicklung wie auch maßgebliche Mitwirkende an der Gestaltung der Erde sein. Ich verdanke ihnen erhellende Erkenntnisse und eine überaus erfüllende Zusammenarbeit.

      Die Welt der Verstorbenen ist uns also in ihrer Vielfalt Aufgabe und Unterstützung zugleich. Sie umgibt und durchdringt unsere Welt ganz unmittelbar. Wir bedingen einander in all unserem Wirken und bilden gemeinsam das große Ganze des Menschseins. Eine Entwicklung ohne ein bewusstes Miteinander wird immer schwieriger. Noch ist es in unserer Gesellschaft nicht geläufig, den Umgang mit Verstorbenen als Bestandteil unseres sozialen Zusammenhangs zu erkennen. Mit großer Freude begegne ich allerdings zunehmend mehr Menschen, die ein waches Interesse daran entwickeln und aktiv Erlösungsarbeit leisten. «Wir» sind also schon nicht mehr wenige. Von daher schaue ich vertrauensvoll in eine Zukunft, in der die Freundschaft und die Verbundenheit mit der Welt der Verstorbenen für immer mehr Menschen eine Lebensrealität sein wird.

      Wenn ich auf meinen persönlichen Entwicklungsweg in der Arbeit mit Verstorbenen blicke, entfaltet sich vor mir der Verlauf einer spannenden, lehrreichen und wundervollen Reise. Davon möchte ich hier berichten. Unterwegs durfte ich eindrucksvolle seelische und geistige