Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Box
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740931711



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etwa auch an dieser Fete teilnahm. Begeistert davon war sie nicht. Dafür aber verspürte sie eine leise erwartungsvolle Freude bei dem Gedanken, dass Volker Reinegger anwesend sein würde. Dabei müsste sich doch bestimmt die Möglichkeit eines Kontaktes ergeben.

      Wenige Minuten nach zwei Uhr nachmittags war es, als sie in ihrem in jungmädchenhaften Stil eingerichteten kleinen Appartement in München-Sendling eintraf und ihre Umhängetasche leerte. Dabei fiel ihr wieder das Magazin in die Hände, das sie von Harry Büchner bekommen hatte und in dem ihre Mutter abgebildet war. Über Alices Nase bildete sich eine kleine Unmutsfalte. »Ich muss einmal ernsthaft mit ihr reden«, murmelte sie vor sich hin, »ob ihr das nun gefällt oder nicht. Ja, am Sonntag nach der Fete, werde ich es tun.«

      Dieser Entschluss brachte sie gleichzeitig auf den Gedanken, die Mutter anzurufen und ihr mitzuteilen, dass sie den Rest der Nacht vom Samstag auf Sonntag und auch den gesamten Sonntag im Haus am Tegernsee bleiben wolle. Sie ließ diesem Gedanken auch sofort die Tat folgen, griff zum Telefon und rief ihre Mutter an.

      Etwas enttäuscht legte sie nach einer Weile wieder auf, denn es meldete sich niemand am anderen Ende der Leitung. »Mama ist wieder einmal unterwegs«, flüsterte sie. »Es würde mich nicht wundern, wenn sie jetzt schon in München ist und sich auf den Abend einstellt.« Wahrscheinlich mit ihrem jetzigen jungen Freund, fügte sie in Gedanken hinzu.

      Wie mag dieser Mann wohl aussehen, fragte sie sich im nächsten Augenblick neugierig. Was hatte er Besonderes an sich, dass Mutter ihn zu ihrem Favoriten gemacht hatte? War es nur der Umstand, dass er dreizehn Jahre jünger war? Alice kannte den Mann nicht. Sie hatte ihn noch nie gesehen und wusste nur, dass er Fotoreporter für einige Blätter war und Rolf Sternau oder Sterneck oder so ähnlich hieß.

      Eine ganze Weile beschäftigte sie sich in Gedanken noch mit ihrer Mutter, während sie sich in der winzigen Küche etwas Essbares zubereitete. »Na, auf jeden Fall werde ich Sonntag mit ihr reden«, stieß sie hervor. »Morgen werde ich noch einmal versuchen, sie anzurufen. Bis Samstag sind ja noch fast drei Tage. Einmal muss sie ja zu Hause sein.« Mit diesen Worten beendete sie ihre Überlegungen um die Mutter und deren jüngeren Freund und begann zu essen, weil sie sich anschließend einige vorgegebene Lektionen vornehmen wollte.

      *

      Abschätzend sah Katharina Helbrecht, die in ihrem roten Ferrari saß, den jungen Mann an, der vor der noch geöffneten Wagentür stand und prüfend auf sie herunterblickte. Bis vor wenigen Minuten war sie noch mit ihm im Haus gewesen und hatte seine drängenden Fragen über sich ergehen lassen. Eine Viertelstunde lang hatte es gedauert, und sie war sich wie jemand vorgekommen, der verhört wurde. Kurzerhand hatte sie der Unterhaltung ein Ende gesetzt, denn die Zeit wurde ihr knapp. Um halb drei wollte sie wie abgesprochen in der Klinik am See sein. Das sagte sie jetzt, als sie bereits startbereit im Auto saß, auch ihrem Besucher, dem jungen Fotoreporter Rolf Sternau, den sie sich vor einigen Wochen als ihren Freund ausgewählt hatte.

      »Rolf, bitte begreife doch – ich muss zur Behandlung in die Klinik«, stieß sie hervor. Mit einer unnachahmlichen Handbewegung strich sie über ihr fast schulterlanges kastanienbraunes Haar.

      »Das begreife ich ja auch, Liebling«, gab Rolf Sternau leicht gereizt zurück. »Was ich nur gern wissen möchte, ist, weshalb du seit fast zwei Wochen irgendwie anders geworden bist mir gegenüber.«

      »Wie, anders?« Ein kaum erkennbares Lächeln kräuselte sich um die vollen Lippen Katharinas, die man auf höchstens Mitte dreißig schätzte. Zu ihrem gepflegten Äußeren in Verbindung mit ihrer gewählten Ausdrucksweise und der Art, sich zu bewegen, passte der Begriff »Dame« im wahrsten Sinne des Wortes.

      »Nun, ich deutete es schon an – irgendwie kühler bist du zu mir«, erwiderte Rolf, in dessen Augen es verlangend glühte. Seit er Katharina kannte, sah er keine anderen Frauen oder Mädchen an. Mit anderen Worten – er war drauf und dran, alle seine bisherigen Prinzipien, sein Junggesellenleben so lange wie nur möglich weiterzuführen, über Bord zu werfen und mit Katharina in den Ehehafen einzulaufen. Lieber heute als morgen. Er, der eigentlich nie an die sogenannte große Liebe geglaubt hatte, gestand sich ein, dass er diese Frau liebte. Zumindest bildete er sich das ein. Dass Katharina um dreizehn Jahre älter war, störte ihn überhaupt nicht.

      »Liebst du mich denn noch?«, unterbrach Rolf Sternau die blitzartigen Gedankengänge Katharinas.

      Die sah den jungen Mann fest an. »Rolf, was soll diese Frage?«, gab sie zurück. »Ich mag dich, das weißt du. Ich mag dich sogar sehr.«

      »Du hast mir aber auch, und das nicht nur einmal, zugeflüstert, dass du mich liebst«, konterte Rolf. »Mehr noch – wir haben sogar schon von einer festen Verbindung, von einer Ehe also, gesprochen, und du warst nicht abgeneigt.«

      »So? Meinst du?«, gab Katharina leise zurück. Natürlich erinnerte sie sich an ein solches Gespräch. Oder waren es zwei gewesen? Sie wusste es nicht mehr.

      »Ja, das meine ich«, stieß Rolf hervor. Um Antwort bittend sah er die Frau an, deren Mann er nur zu gern werden wollte. Nicht wegen des enormen Vermögens, das sie nach dem Tode ihres zweiten Mannes geerbt hatte, nein, sondern einzig und allein wegen ihrer Ausstrahlung und ihrer Fähigkeit, einem Mann schon auf Erden den Himmel zu geben.

      »Lassen wir doch bitte jetzt dieses Thema«, ergriff Katharina wieder das Wort. Sie war es plötzlich leid, darüber weiterzudiskutieren. »Denke einmal darüber nach, dass ich dreizehn Jahre älter bin und auch eine schon erwachsene Tochter habe.«

      »Die hast du mir bisher vorenthalten«, entgegnete Rolf mit einem leisen Vorwurf in der Stimme. »Ich hätte sie gern einmal kennengelernt, denn immerhin gehört sie zu dir, die ich ja liebe.« Über seine Lippen kam ein leiser Knurrlaut. »Sag mir bitte, gibt es etwa einen anderen Mann, den ich als Rivalen zu betrachten habe?!« Funkelnd sah er Katharina an.

      »Rede keinen Unsinn«, erwiderte sie ausweichend, griff nach der Seitentür und zog sie zu. Durch das heruntergekurbelte Seitenfenster sagte sie: »Jetzt muss ich aber fahren, sonst komme ich zu spät.«

      Rolf schluckte. »Sehen wir uns heute am Abend?«, fragte er. »In München oder bei dir zu Hause?«

      Katharina überlegte nur ganz kurz. »Nein, heute nicht, Rolf«, antwortete sie. »Ich habe mir vorgenommen, das begonnene Bild endlich fertig zu malen.«

      »Ach ja, deine Malerei«, murmelte er, »die ist auch zu einer Art Rivale für mich geworden.« Er wusste, dass Katharina bereits seit einem Jahr ihrem Hobby, der Malerei, nachging, obwohl sie seines Wissens bisher noch kein einziges von ihren gemalten Bildern verkauft hatte. Nun ja, es war eben nur ein Hobby von ihr. Sie hatte es nicht nötig, damit Geld zu verdienen. Von dem besaß sie genug. »Also, wann sehen wir uns wieder?«, wollte er wissen. »Ich muss leider für zwei oder auch drei Tage wegen einer größeren Fotoreportage nach Berlin …«

      »Wir können ja nächste Woche miteinander telefonieren«, erklärte Katharina und drückte auf den Anlasser. Es passte ihr gut, dass Rolf für drei Tage außer Reichweite war, denn sie hatte für das kommende Wochenende schon etwas vor – zusammen mit Dr. Lindau. Sie hoffte, dass er mitmachte. »Er muss …«, entfuhr es ihr.

      »Wer muss was?«, fragte Rolf, der die Worte vernommen hatte.

      Keineswegs verlegen, erwiderte Katharina: »Der Motor muss anspringen.« Das geschah auch im gleichen Augenblick. »Also dann …«, rief Katharina und gab Gas.

      *

      Mit nachdenklicher Miene verließ Dr. Lindau, Chefarzt der Klinik am See, das Untersuchungszimmer der Chirurgie. Dr. Reichel, der Leiter der Station für innere Krankheiten, der bei der eben beendeten Untersuchung der Patientin dabei gewesen war, folgte ihm.

      »Einwandfrei eine Achalasie«, ergriff er als Erster das Wort, als er wenig später mit dem Klinikchef das Stationszimmer betreten hatte.

      Dr. Lindau nickte zustimmend. »So ein anhaltender Krampf des Mageneingangs kommt eigentlich relativ selten vor«, entgegnete er, »und ist auch normalerweise durch eine Drehung der Speiseröhre zu beseitigen.«

      »In diesem Fall aber war es ohne Ergebnis.« Fragend sah Dr. Reichel