Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen. Christiane Antons

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Название Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen
Автор произведения Christiane Antons
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783894256807



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Beziehung mit einem Menschen einzulassen. Sonst endest du womöglich als alte alleinstehende Frau, die in ihrer Wohnung hockt, eine Spinne oder schlimmer noch eine Katze als Haustier hat und von Tag zu Tag seltsamer wird.«

      »Ich habe nicht den Eindruck, dass du von Tag zu Tag …«

      »Ich rede ja auch nicht von mir!« Doro schaute sie entrüstet an.

      Nina wollte sich hastig entschuldigen, da zwinkerte ihr ihre Vermieterin schelmisch zu.

      Erleichtert nahm Nina noch einen Schluck Tee und erhob sich dann. »Wie immer hast du recht, liebe Doro«, sagte sie zum Abschied. »Wir werden sehen. Aber fürs Erste«, sie zeigte auf die Magnetwand, »haben wir einen Fall zu lösen.«

      12

      Die Herbstsonne war hinter den Hügeln des Teutoburger Waldes versunken, als sie wieder das Versteck aufsuchte. Sie hatte nicht viel Zeit. Das Miststück schaute sofort auf, als sie den Kellerraum betrat, und gab panische Laute von sich.

      Sie wartete mit einigen Metern Abstand, bis die Frau aufgab und still wurde. Doch der Blick, den ihr das Miststück zuwarf, gefiel ihr nicht. Er trug zu viel Wut in sich und zu wenig Respekt. Sie schritt auf die Gefangene zu und gab ihr eine saftige Ohrfeige. »Schau. Mich. Nie. Wieder. So. An«, zischte sie.

      Es trug Früchte, Angst flackerte in den Augen der anderen auf. Schließlich nahm sie eine Wasserflasche aus ihrer Tasche, hielt sie ihr vor das Gesicht und sagte: »Ich gebe dir etwas zu trinken, wenn du still bleibst.«

      Die Frau nickte hektisch.

      Erneut wartete sie ein paar Sekunden, dann befreite sie ihre Gefangene von dem Knebel und führte die Wasserflasche an ihren Mund. Diese trank so hastig, dass das Wasser links und rechts aus ihrem Mund auf ihre Kleidung lief.

      »Benimm dich. Hat dir niemand Tischmanieren beigebracht?«

      Sie nahm ihr die Flasche wieder weg. Als das Miststück daraufhin versuchte, noch ein letztes Mal ihren Mund an die Flasche zu führen und flehende Laute von sich gab, holte sie erneut aus. »Du hast für jetzt genug. Und trink das nächste Mal langsamer.«

      Sie steckte ihr den Knebel wieder in den Mund, setzte sich in ihre Leseecke, nahm ein Buch aus ihrer Tasche und schlug die erste Seite auf. »Und jetzt lese ich dir etwas vor.«

      13

      Ihr Telefon riss Nina unsanft aus dem Schlaf. Doch als sie mit einem Auge auf ihren Wecker schaute, wusste sie, dass sie keinen Grund hatte, sauer zu sein. Halb zehn war eine Uhrzeit, zu der man guten Gewissens Menschen anrufen durfte. Die Welt konnte ja nichts dafür, dass Nina ein ausgesprochener Morgenmuffel war.

      Sie raffte sich auf, holte sich das Telefon, das auf ihrem Sofa lag, und legte sich damit wieder unter die noch warme Decke.

      »Hallo?«

      »Ich finde ja, dieses ›Hallo‹ ist eine Unart. Du hast doch einen Namen!«

      »Guten Morgen, Hetta, ich dich auch«, antwortete sie. »Kleine Vorwarnung: Du hast mich geweckt und ich hatte noch keinen Kaffee. Mein Geduldsfaden ist also im Moment wie deiner stets ist: extrem kurz.«

      »Dann sieh mal zu, dass du dir einen Kaffee besorgst. In zwei Stunden hast du einen Termin auf dem Friedhof in Schildesche.«

      »Wer ist gestorben?«

      »Niemand, den wir kennen. Aber deine treu sorgende Mutter hat dir eine Stelle für deine Sozialstunden besorgt. Allerdings nur, wenn du dich Carl gegenüber etwas weniger bescheuert verhältst als mir.«

      »Und Carl ist?«

      »Der Friedhofsgärtner. Stell dir vor: Arbeit im Freien, bei der dir kaum Menschen über den Weg laufen – zumindest keine lebenden. Ist doch genau das Richtige für dich!«

      Nina dachte einen Moment nach. Auch wenn sie es nur ungern zugab, hatte ihre Mutter recht. Die Vorstellung, in einem Pflegeheim oder Kindergarten auszuhelfen, gefiel ihr schon allein wegen der vielen Regeln, Vorgesetzten und Kollegen nicht. Sie hatte ein Problem mit Autoritäten. Aber ein bisschen gärtnern bei frischer Luft, das könnte ihr in der Tat gefallen.

      »Okay. Wo muss ich hin?«

      »Carl erwartet dich um zwölf Uhr vor der Friedhofskapelle. Benimm dich.«

      Nina verdrehte die Augen und rang sich ein »Danke, Hetta« ab. Sie hörte, wie sich ihre Mutter eine Zigarette anzündete und einen tiefen Zug nahm.

      »Gern geschehen«, entgegnete sie, ganz ohne Sarkasmus in der Stimme. Ihre Mutter war stets für eine Überraschung gut.

      Exakt fünf vor zwölf zeigte die Uhr an, als Nina ihr Auto auf dem Parkplatz des Friedhofs abstellte. Ob sie dies als Zeichen für etwas werten sollte? Sie schmunzelte. Höchstens als Zeichen dafür, dass sie sich zügig und ohne Umwege zur Kapelle bewegen sollte, denn ein zu spätes Kommen würde sicherlich keinen guten Eindruck erwecken.

      Sie spazierte über den alten Teil des Schildescher Friedhofs und sah bereits von Weitem einen Mann im Eingangsbereich der weiß getünchten Kapelle stehen. Es nieselte. Nina beschleunigte ihren Schritt, um schneller das Vordach der Kapelle zu erreichen.

      »Mahlzeit, ich bin Nina Gruber. Sie haben mit meiner Mutter telefoniert, vielen Dank, dass ich mich vorstellen darf.« Sie streckte dem Mann die Hand hin.

      Er war fast zwei Köpfe größer als sie und hatte einen kräftigen Händedruck. Wegen der Kappe, die er trug, lag sein Gesicht zur Hälfte im Schatten. »Mahlzeit. Kein Problem. Hab gehört, du hast einem prügelnden Familienvater die Fresse poliert? Glückwunsch.«

      Nina schaute für einen Moment auf ihre Schuhspitzen und nickte. »Klingt so, als hätte Hetta Sie über das Wesentliche bereits informiert.«

      Carl lachte leise. »Sagen wir, sie ist eine Frau der klaren Worte. Aber das weißt du als ihre Tochter ja bestimmt besser als jeder andere. Und offiziell weiß ich sowieso von nichts. Lass uns uns mal duzen, sonst fühle ich mich so alt.«

      Nina nickte erneut.

      »Willste eine kleine Runde über den Friedhof drehen oder biste aus Zucker?«

      Nun lachte sie. »Meine Jacke ist wasserfest.«

      Er deutete auf die Kapelle hinter ihnen. »Die wurde 1930 gebaut und steht seit 2002 unter Denkmalschutz.«

      Nina betrachtete das schlichte Kreuz auf der Hauptgiebelfläche. »Ich finde die Kapelle sehr schön. Auch wenn es sich komisch anfühlt, das zu sagen.«

      »Weil dort Tote aufgebahrt werden? Der Tod gehört nun mal zum Leben, auch wenn das den meisten Menschen nicht passt. Ich bin schon immer gerne über Friedhöfe spaziert. Da isses so angenehm …«

      »… ruhig«, komplettierte Nina den Satz.

      Er nickte. Sie ließen die Kapelle hinter sich liegen und spazierten los. »Auf dieser Seite findest du übrigens auch noch ein paar sehr schöne alte Familiengräber.«

      Nach einer Weile gelangten sie an eine Hauptstraße, die den alten vom neuen Part des Friedhofs trennte. Während sie an der Fußgängerampel warteten, blickte sie Carl von der Seite an und fragte sich, wie alt er wohl war. Mitte fünfzig vielleicht? Seine Hände waren kräftig und offensichtlich Arbeit gewohnt.

      »Ich bin gerne an der frischen Luft«, sagte er plötzlich recht laut, als ob er Ninas Betrachtung unterbrechen wollte. Sie überquerten die Straße und betraten den jüngeren Friedhofsteil.

      »Ich auch«, sagte sie schnell.

      »Da«, Ninas Blick folgte seinem Fingerzeig, »ist die Grabstätte des Konvents der Breslauer Ursulinen. In den Fünfzigerjahren wurde das Ursulinenkloster in Schildesche gebaut.«

      »Interessant. Wie lange bist du hier schon als Gärtner tätig?«, erkundigte sich Nina.

      Er zuckte mit den Schultern. »Seit zwölf Jahren.«

      »Und was hast du vorher …«

      Er