Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen. Christiane Antons

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Название Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen
Автор произведения Christiane Antons
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783894256807



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sich geschlossen hatten, brachte Yasemin die Sache auf den Punkt. »Pascal ist aber schon ein Alphamännchen, ne?«

      Nina lächelte. »Ich glaube, das musst du auch sein, wenn du in der Küche bestehen willst. Komm, wir fahren jetzt in die Kommandozentrale und bringen Doro auf den Stand der Dinge.«

      15

      4. September 1991

      Heute war der erste Tag auf dem Gymnasium. Wir mussten erst zur dritten Stunde zur Schule kommen und es gab eine Begrüßungsfeier in der Aula. Mama hat sich extra freigenommen, um mich zu begleiten. Sie trug ihr Kostüm für besondere Anlässe, wie sie es nennt, und sah perfekt aus. Ich hatte meine beste Strumpfhose an, die weiße, und mein Lieblingskleid aus Jeans. Ich habe den ganzen Morgen nichts gegessen und getrunken, damit ich mir bloß keinen Flecken auf die Kleidung mache. Nach der Begrüßung hatten wir nur eine Stunde in der Klasse und haben unseren Stundenplan bekommen. Ich kenne niemanden, meine Freunde sind auf die Gesamtschule gegangen. Aber Mama meint, nur das Abi auf dem Gymnasium ist das wahre Abi. Ich sei für Höheres bestimmt. Meine Klassenlehrerin heißt Frau W. und ist nett. Wobei Mama immer sagt, mit nett allein kommt man nicht weit. Aber ich werde mal weit kommen, das weiß ich schon jetzt!

      »Klingt hoffnungsvoll, oder?« Langsam klappte sie das kleine Buch zu. Dann starrte sie eine Weile stumm auf das Miststück. »Noch trägst auch du Hoffnung in dir, nicht wahr? Noch redest du dir bestimmt ein, dass alles gut werden wird. Dass du hier heile wieder rauskommst.« Sie lächelte, nahm ihre Tasche und ging zum Ausgang.

      Es waren vier Schritte von ihrer Leseecke bis zur Tür. Bevor sie diese sicher von außen verschloss, drehte sie sich noch einmal zu ihrer Gefangenen um. »Weißt du, was Heiner Müller einst gesagt hat? Hoffnung ist nur ein Mangel an Information.«

      16

      Im Treppenhaus roch es vielversprechend nach deftigem Essen. Nina sog die Luft laut durch die Nase ein.

      »Ich tippe auf jeden Fall auf Rosmarinkartoffeln«, verkündete Yasemin.

      »Als ob man Kartoffeln riechen kann!«

      »Kann man. Aber vor allem den Rosmarin. Es sei denn, man hat so gar keine Ahnung.« Sie drehte sich zu Nina um und streckte ihr die Zunge heraus. »Da fällt mir ein, hattest du nicht gesagt, du bist heute Abend mit Brüggendings verabredet?«

      »Das war eine Notlüge, um dich von Ela wegzukriegen.«

      »Du Biest.«

      »Ich dich auch.« Nina warf Yasemin einen Kussmund zu.

      Als Doros Türöffner summte und sie durch den Flur ins Wohnzimmer schritten, nickte Yasemin. »Sach ich ja. Rosmarin.«

      »Hallo, meine Lieben! Da unser Mittwochs-Essen ausgefallen ist, dachte ich mir, wir holen das heute nach und ihr könnt mir von eurem Besuch bei Pascal erzählen. Ich war in der Zwischenzeit übrigens auch fleißig.«

      »Wo ist Ela?«, fragte Yasemin plötzlich mit Panik in der Stimme.

      »Ela liegt nebenan in ihrem Reisebettchen und schläft tief und fest. Sie hat gut gegessen, die Windel anständig vollgemacht und wir haben viel gelacht.« Doro winkte Yasemin und Nina zur Schlafzimmertür und öffnete sie leise.

      Für einen Moment blickten die drei Freundinnen gemeinsam auf das friedlich schlafende Baby und lauschten ihren regelmäßigen Atemzügen.

      »Ist sie nicht das vollkommenste Geschöpf?«, flüsterte Yasemin gerührt und Nina und Doro nickten.

      Leise zogen sie die Tür wieder hinter sich zu und begaben sich ins Esszimmer.

      »Ich hoffe, ihr habt Hunger? Ich habe gekocht. Es gibt Hühnerkeulen mit Rosmarinkartoffeln«, sagte Doro. »Setzt euch, ich tische auf.«

      Yasemin schaute Nina triumphierend an.

      Sie aßen größtenteils schweigend, unterbrochen von kurzen Seufzern, weil es so vorzüglich schmeckte. Wieder einmal hatte Dorothee sich selbst übertroffen. Als sie beim Nachtisch angelangt waren und ihr Tiramisu löffelten, berichteten Yasemin und Nina endlich von ihrem nachmittäglichen Besuch bei Pascal Neumann.

      »Demnach werden wir uns nun in den kommenden Tagen die Ex-Frau und den Ex-Partner Höhner vornehmen«, schloss Nina ihre Erzählung und leckte dabei den letzten Rest ihres Tiramisus vom Löffel ab. Doro nickte, ging zur Wandtafel und notierte eifrig.

      »Wie ihr euch geschickt der Ex-Frau annähert«, sie tippte mit ihrem Zeigefinger auf den Namen an der Tafel, »ohne dass ihr Pascal in die Bredouille bringt, weiß ich bereits.«

      »Na, dann schieß mal los«, sagte Yasemin.

      »Erika erwähnte ja, dass Barbara Neumann, die Ex, abgeschieden auf einem Bauernhof lebt. Aber auch wenn Frau Neumann zurück zur Natur will, braucht sie Geld, um zu leben. Und das verdient sie mit Kursen und Seminaren, die sie auf ihrem Hof anbietet. Im Netz findet sich eine Website, sehr einfach von einer Agentur gestaltet. Es sieht also so aus, als ob Barbara Neumann wirklich nicht sehr internetaffin ist. Auf der Seite gibt’s allgemeine Infos über den Hof Ensō und den Hinweis, dass man sich ein Seminarprogramm bestellen kann. Das lag heute in meiner Post.« Doro ging zum Schreibtisch und hielt triumphierend eine Broschüre hoch. »Ein Schweigeseminar, bei dem man seine eigene innere Stimme wiederfinden soll, eignet sich weniger für unsere Zwecke. Aber am kommenden Wochenende findet ein Töpferkurs nur für Frauen statt und das klingt doch sehr gesellig. Da habe ich euch zwei angemeldet.«

      »Töpfern. Schön. Das habe ich schon in der Schule gehasst«, antwortete Nina.

      »Von deinen persönlichen Vorlieben mal abgesehen, musst du zugeben, dass das ein sehr guter Weg ist, um undercover zu ermitteln. Während des Seminars könnt ihr ganz zwanglos mit Pascals Ex-Frau ins Gespräch kommen. Vielleicht gelingt es euch ja sogar, einen Blick ins Haus zu werfen, und ganz eventuell stolpert ihr zufällig über einen PC, der sich dann anschaltet. Und wenn der schon mal hochgefahren ist, kann man ja schauen, ob man irgendwelche Spuren findet.« Doro warf ihren Freundinnen einen unschuldigen Blick zu.

      »Ich finde Töpfern super. Ich töpfere für Ela einen Becher.«

      »Klar, fall du mir jetzt noch in den Rücken«, entgegnete Nina.

      »Du, meine Liebe, könntest mir doch eine schöne Obstschale basteln. Oder deiner Mutter einen neuen Aschenbecher«, regte Dorothee an. »Wie dem auch sei, Sonntag geht’s um zehn Uhr für euch los. Hier ist die Adresse.«

      17

      Auf das Datum genau war es zwei Jahre her. Damals hatte es geregnet, doch heute prahlte der September mit seiner ganzen Schönheit. Was für ein herrlicher Herbsttag es war!

      Sie blickte vom Johannisberg hinunter auf die Stadt, nippte an ihrem Prosecco und fühlte sich königlich. Seit siebenhundertdreißig Tagen war sie auf sich allein gestellt. Der Anfang ihrer Reise war hart gewesen. Sie hatte sich wie ein erbärmlicher Wurm gefühlt: Hilflos. Klein. Einsam.

      Sie verzog ihren Mund zu einem bitteren Lächeln. Wie naiv sie damals gewesen war, als sie gedacht hatte, ein Seelenklempner könnte ihr helfen und würde sie verstehen. Nichts hatte der verstanden! »Das war keine liebevolle Verbindung, die Sie erlebt haben. Das war eine destruktive Beziehung. Ich lade Sie ein, mit mir daran zu arbeiten, dass Sie mit Ihren Gefühlen besser umgehen können. Dass Sie sich selbst genug sind, aber auch lernen, die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen. Sonst werden Sie nie in der Lage sein, liebevolle Verbindungen aufzubauen. Dazu müssen Sie ehrlich zu sich selbst und gleichzeitig fähig sein, Kritik anzunehmen. Wollen Sie das probieren?«

      Nein, das hatte sie nicht gewollt. Stattdessen hatte sie sich nach diesem Schwachsinnsmonolog erhoben und den Therapeuten gefragt, ob er sein Diplom auf einer Baumschule gemacht habe. Und von einem Kerl in einem billigen Polyesteranzug würde sie sich ohnehin nichts sagen lassen.

      So ein verfickter Spinner!

      Dass sie wusste, was Liebe ist, das bewies sie seit zwei Jahren jeden Tag eindrucksvoll. Sie schätzte, dass sie ihre Mission