Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen. Christiane Antons

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Название Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen
Автор произведения Christiane Antons
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783894256807



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Ich hole dich um 18:30 Uhr ab. Freu mich.

      Sie zögerte. Dann fing sie an, eine Antwort zu tippen, löschte sie wieder, tippte erneut, löschte. Schließlich ließ sie ihr Handy seufzend in die Tasche gleiten.

      4

      Siehst du, was ich alles ohne dich schaffe?, schrieb sie. Du hast gedacht, ich pack das nicht, stimmt’s? Soll ich dir etwas verraten? Ich schaffe alles. Ich vollbringe das, was du versäumt hast. Ich weiß genau, wie du jetzt guckst. Du hast diesen spöttischen überheblichen Blick, den du immer hast, wenn ich dir von meinen Plänen erzähle. Aber ich werde es perfekt zu Ende bringen. Für dich. Für uns.

      Sie schickte die Nachricht ab und in jenem Moment erschien ihre gemeinsame Wohnung vor ihren Augen. Die Jahre, die sie zusammen durchs Leben gegangen waren. Für einen Augenblick spürte sie dieses unerträgliche Ziehen im Magen. Die Zweifel, ob sie wirklich all das allein schaffen konnte.

      Doch sie kannte ein wirksames Gegenmittel, scrollte in ihren Nachrichten und las erneut eine ältere, die sie empfangen hatte:

      Du nervst mit deinem ständigen Jammern. Du kriegst dein Leben einfach nicht geschissen. Nie ziehst du was durch. Du kannst froh sein, dass du mich hast und in meinem Windschatten fahren darfst.

      Es funktionierte auch dieses Mal. Das Ziehen im Magen verschwand. Wurde ersetzt durch eine tiefe Entschlossenheit.

      Morgen startete Projekt Nummer fünf.

      5

      Nina blickte aus ihrem Wohnzimmerfenster auf die Hügel des Teutoburger Waldes. Sie liebte die Aussicht.

      Nichts war in diesem Sommer davon zu spüren gewesen, dass das Mittelgebirge ein Regenfänger war. In manch schlafloser Nacht hatte sie versucht, sich in die Eistruhe des Kiosks zu träumen. Als Tim Ninas Gestöhne über die ständige Hitze nicht mehr hatte ertragen können, hatte er sie eines Abends mit zwei riesigen Tüten Eiswürfeln überrascht. Wortlos hatte er die in die Badewanne gekippt und schließlich auf ein gemeinsames, erfrischendes Bad bestanden. Das wiederum hatte dazu geführt, dass sehr viel Eis nicht allein aufgrund der hohen Außentemperaturen geschmolzen war.

      Schmunzelnd blickte Nina auf die Uhr und begab sich rasch ins Bad. Tim war immer pünktlich und würde in fünf Minuten an ihrer Tür klingeln. Zügig trug sie schwarze Wimperntusche auf, rieb sich ein wenig Gel in die Hände und brachte ihre Kurzhaarfrisur in Form. Anschließend schminkte sie sich mit einem dezenten rosafarbenen Lippenstift, den Yasemin ihr geschenkt hatte.

      Es klingelte an der Tür. Nina schnappte sich ihre Jacke und verließ die Wohnung. Tim wartete unten an seinem SUV und öffnete die Beifahrertür.

      »Schöner Lippenstift.« Er gab ihr einen Kuss zur Begrüßung.

      »Danke schön.« Sie musterte ihn betont auffällig von oben bis unten. »Schöne Socken.«

      »Die siehst du doch gar nicht unter der Jeans.«

      »Aber sie sind bestimmt schön. Schlicht schwarz, wette ich. Klassisch. Zeitlos.«

      »Steig ein und halt die Klappe.«

      Nina lachte. »Wie war deine Woche?«

      Er fuhr los und legte eine Hand auf ihren Oberschenkel. »Unspektakulär. Viel Bürokram. Im Moment verhalten sich in Bielefeld fast alle brav.«

      Nina nickte. »Sogar meine Mutter. Ich habe sie gestern besucht und es war unspektakulär nett. Das ist spektakulär.«

      »Freut mich.« Brüggenthies lächelte und bog nach wenigen Kilometern links in Richtung der Kliniken Bethel ab.

      »Stell sie mir doch irgendwann mal vor«, sagte er nicht zum ersten Mal und nicht zum ersten Mal nickte sie zur Antwort kurz, um nicht zu unhöflich zu wirken.

      Nach einigen Metern hielt er in einer Seitenstraße vor einem Restaurant. »So, da wären wir auch schon. Madame hat sich griechisch gewünscht und so soll es sein.«

      Seit sie mit Tim ausging, waren sie noch nie in demselben Restaurant essen gewesen. Jedes Mal überraschte er sie mit einer Gaststätte, die sie noch nicht kannte.

      »Das Castello ist familiengeführt«, erklärte er, als er Nina die Tür aufhielt.

      Im Inneren fühlte sie sich auf Anhieb wohl. Die Wände waren mit rötlichen Backsteinen verkleidet, Rundbögen und Säulen sowie Bilder von griechischen Landschaften verliehen dem Raum Gemütlichkeit. Der Wirt duzte Tim, begrüßte Nina herzlich und bat sie, an einem der Holztische Platz zu nehmen. Sie bestellten ihre Getränke, bevor sie in die Speisekarten schauten.

      »Ich empfehle dir das Lamm«, sagte Tim.

      Nina blickte hoch. »Du, Vegetarier Tim, empfiehlst mir das Lamm? Wie glaubwürdig ist das denn bitte?«

      Er lachte. »Es ist nicht so, dass ich nie Fleisch gegessen habe. Außerdem habe ich Freunde, die keine Vegetarier sind.«

      »Ach? Seit wann genau bist du denn Vegetarier?«

      »Seit drei Jahren.«

      »Und warum der Wandel?«

      »Stichwort Massentierhaltung. Und überfischte Meere.«

      »Wow. Du handelst oft so vernünftig und richtig, dass ich mich schlecht fühle.«

      »Völlig zu Recht.«

      »Solange du allerdings mit einem SUV durch die Gegend fährst, kriegst du keinen Heiligenschein von mir.« Sie klappte die Karte zu. »Ich folge deinem Rat und wähle das Lamm. Dazu nehme ich einen trockenen Rotwein.«

      »Sehr gute Wahl. Ich nehme den vegetarischen Auflauf und einen Retsina. Und freu dich auf die Vorspeisen, die gehen hier aufs Haus.« Auch Tim legte die ledergebundene Speisekarte zur Seite.

      Der Wirt nahm ihre Bestellung auf. Nachdem sie wieder zu zweit am Tisch waren, umschloss Tim mit seinen ihre Hände.

      »Wie geht’s Yasemin mit Ela?«, wollte er wissen.

      »Ela geht es prima. Yasemin dreht jedoch ziemlich am Rad und ist sehr auf die Kleine fixiert. Sie glaubt, zweihundert Prozent geben zu müssen, weil sie alleinerziehend ist. Wir versuchen, sie wieder ein wenig im Kiosk einzubinden, damit sie unter Leute kommt und einen Grund hat, sich regelmäßig den Babybrei aus den Haaren zu waschen.«

      »Guter Plan.« Nach einer kleinen Pause fragte er: »Möchtest du eigentlich auch mal Kinder in die Welt setzen?«

      Nina wurde heiß und kalt. Damit hatte sie nicht gerechnet. »Stellen die Frage nicht eigentlich immer die Frauen den Männern?«, versuchte sie, sich aus der Affäre zu ziehen.

      Er schenkte ihr ein Lächeln und wartete offensichtlich auf eine vernünftige Antwort.

      Nina löste ihre Hände und lehnte sich im Stuhl zurück. Langsam öffnete sie ihren Mund, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie antworten sollte. Aus den Augenwinkeln sah sie den Wirt auf ihren Platz zusteuern.

      »Bitte schön, hier kommen eure Getränke und kleine Appetitanreger.«

      »Mhm, das sieht ja lecker aus«, rief Nina erleichtert aus und hob das Glas, um mit Tim anzustoßen. »Wann gehen wir eigentlich mal wieder auf die Alm, um Fußball zu gucken?«, brachte sie das Gespräch auf sicheres Terrain.

      Er zögerte sichtlich, bevor er sein Glas in die Hand nahm und ihr schließlich zuprostete.

      »Darf ich ihn mal probieren?«, fragte Nina und deutete auf den Retsina. Schweigend schob er ihr das Glas zu. Sie nahm einen Schluck und verzog unmittelbar den Mund. »Eigenwillig.«

      Nun musste Tim lachen. »Passt doch zu dir.«

      6

      Sie betrachtete das Miststück von der Seite. Schaute die eigentlich nicht in den Spiegel, bevor sie das Haus verließ? Es war ihr fast peinlich, mit ihr gesehen zu werden, aber sie wollte in dieser Nullachtfünfzehn-Stadt ja nicht ihr restliches