Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen. Christiane Antons

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Название Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen
Автор произведения Christiane Antons
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783894256807



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los«, sagte die junge Kioskbesitzerin, nachdem sie den ersten Schluck zu sich genommen hatten.

      »Also, mein Neffe Pascal, der ist für mich wie mein eigener Sohn. Ihr wisst ja, dass seine Eltern früh gestorben sind.« Erika blickte zu Doro, die ihr aufmunternd zunickte. »Pascal betreibt ein Cateringunternehmen. Er hat damals den Feinkostladen seiner Eltern übernommen und das Geschäft vor einigen Jahren erweitert. Das mit dem Catering läuft mittlerweile richtig gut. Was man von seiner Ehe leider nicht behaupten kann. Und irgendjemand versucht jetzt auch noch, seine Existenz zu ruinieren! Seit ein paar Wochen werden schlimme Gerüchte gestreut. Ich kenne mich mit diesem Internet ja nicht aus, aber die schreiben böse Dinge in seinem Gästebuch und auf diesem …«

      »Facebook«, half Yasemin.

      »Ja, da auch. Überall werden Lügen verbreitet! Er muss euch das alles dringend selbst erzählen.«

      »Das ist Rufmord. Wenn die Anschuldigungen erfunden sind, sollte er damit zur Polizei gehen«, riet Nina.

      »Das will er nicht. Seine Ex-Frau sucht jeden noch so kleinen Grund, ihm das gemeinsame Sorgerecht für seine Tochter zu entziehen. Wenn die Sache an die große Glocke gehängt wird mit Polizei und allem Pipapo, kriegt sie davon bestimmt Wind und wird es gegen ihn verwenden.«

      »Schaut die Ex-Frau nicht ins Internet und kriegt das ohnehin mit?«, fragte Nina skeptisch.

      Erika schüttelte den Kopf. »Die hat mit Internet seit einiger Zeit nix mehr am Hut. Sie ist mit ihrem Liebhaber«, Erika schnaubte bei dem Wort, »für den sie Pascal verlassen hat, auf einen Bauernhof gezogen und will dem natürlichen Leben auf die Spur kommen. Isst kein Fleisch, heizt mit einem Ofen und umarmt Bäume.« Erika wischte mit ihrer Hand vor ihrem Gesicht hin und her. »Ballaballa, wenn ihr mich fragt. Für die kleine Emma ist das wie ein Abenteuerurlaub, wenn sie bei ihrer Mutter ist. Und ein Kind braucht seine Mutter. Aber eben auch den Vater. Pascal kann im Übrigen nicht völlig ausschließen, dass …« Erika stockte und überlegte offenbar, ob sie den Satz zu Ende bringen sollte.

      »… dass seine Frau hinter der ganzen Sache steckt«, sprach Nina die Befürchtung aus und Erika nickte.

      »Deshalb will er erst recht nicht die Polizei einschalten. Die würde bestimmt auch in die Richtung ermitteln und die kleine Emma würde davon garantiert etwas mitbekommen. Das will doch kein Mensch.« Erika warf verzweifelt ihre Arme in die Höhe. »Ach, wären die beiden doch einfach zusammengeblieben. Ich mag Emmas Mutter, ehrlich! Barbara und Pascal haben gut zusammengepasst. Was ist das heute mit euch jungen Leuten? Sobald es schwierig wird, der eine mal länger arbeiten muss oder die andere etwas seltsam wird, geht ihr alle sofort getrennte Wege. Ihr schmeißt Ehen wie Plastiktüten weg! Und die Kinder leiden.« Erikas Augen wurden feucht.

      »Na ja, ganz so ist es ja nun nicht«, widersprach Nina. »Es bringt doch den Kindern nichts, wenn sie ihre Eltern jeden Tag streiten sehen. Und früher war auch nicht alles …«

      Doro hob die Hand, um Nina zu unterbrechen. »Wie dem auch sei«, sagte sie in einem Ton, der Nina signalisierte, dass dies nicht der geeignete Zeitpunkt für eine Grundsatzdiskussion war. »Tatsache ist: Pascal hat ein Problem.«

      Erika nickte. »Ihr habt doch damals die Sache mit Yasemins Stalker auf eigene Faust gelöst. Und deshalb wollte ich euch fragen, ob ihr nicht nachforschen könnt, wer meinem Pascal Böses will. Ich weiß wirklich nicht, wen ich sonst um Hilfe bitten könnte. Die Firma – das ist seine Existenz!« Erika schaute die drei Frauen mit flehendem Blick an.

      »Meine Damen, ich finde, das ist eine fantastische Idee.« Doro, die hinter Yasemin stand, schenkte Nina einen vielsagenden Blick und deutete stumm mit ihrem Zeigefinger auf die Kioskbesitzerin. Nina verstand und nickte. Für die junge Helikoptermama würde ein neuer Fall die perfekte Abwechslung darstellen.

      »Ja, es wird Zeit, dass wir unsere Kommandozentrale in Doros Wohnzimmer wiederaufleben lassen«, stimmte sie zu. »Yasemin, du bist dabei, oder?«

      Die zögerte sichtlich und strich der kleinen Ela über den Kopf, die ungerührt das Waschschild ihrer Stoffgiraffe begutachtete. »Wie soll ich das mit meiner Kleinen und dem Kiosk auf die Kette kriegen? Ela braucht ihre anne.«

      »Natürlich braucht Ela ihre Mutter!« Doro legte einen Arm um Yasemin. »Aber du kennst doch das Sprichwort: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Wir sind doch zu dritt! Mindestens eine von uns ist immer für Ela da. Und die meiste Zeit werden wir ohnehin alle zusammen verbringen.«

      Nina sah, wie Yasemin mit sich kämpfte. »Na gut«, antwortete sie schließlich. »Ich kann dir ja eh nix abschlagen, Erika. Dann lasst uns mal loslegen.«

      10

      Eine Studie vom University College London hatte ergeben, dass Ungewissheit mehr Stress verursachen kann als die Gewissheit, dass dir Schmerzen zugefügt werden. Deshalb hatte sie das Versteck zunächst zügig verlassen, nachdem das Miststück aufgewacht war. Die Gefangene sollte einige Stunden geknebelt und gefesselt ihren Gedanken nachhängen, die feuchten Wände anstarren und sich in ihren Ängsten verlieren. Sie lächelte, während sie durch Bielefeld fuhr. Die Stadt war längst erwacht und ihr strahlte ein sonniger Herbsttag entgegen. Das hob ihre Laune zusätzlich. Sie war eine Sonnenanbeterin und hasste die dunklen Monate. Spontan beschloss sie, sich in einem Café eine kleine Pause zu gönnen. Vielleicht könnte sie sich sogar nach draußen setzen und unter einer Decke geschützt ihre Nase in die Sonne halten. Danach würde sie erledigen, was erledigt werden musste. Weiter falsche Fährten legen.

      Sie parkte ihren Wagen in der Altstadt und ging in Richtung des Alten Marktes, wo sich ein Café an das nächste reihte. In ihrem Kopf ratterte es unaufhörlich. Sie durfte bloß nichts vergessen, es nicht vermasseln. Sie ging noch einmal ihre nächsten Schritte durch. Und schüttelte dann diese fiesen kleinen Selbstzweifel, die sich für einen Moment in ihren Kopf gebohrt hatten, ab.

      Sie würde es all diesen Losern zeigen. Um sich zu entspannen, stellte sie sich eine Aufgabe: 87 mal 93. Während sie rechnete, steuerte sie auf ein Café in einer Seitenstraße zu. Sie würde sich einen Milchkaffee und ein Croissant bestellen. Hoffentlich bekam sie ein warmes, das würde dann besonders gut schmecken, wenn sie es mit Butter und Marmelade bestrich. Die Extrakalorien durfte sie sich zur Feier des Tages gönnen.

      Als sie sich an einen kleinen Tisch direkt ans Fenster setzte, denn draußen war es doch zu frisch, hatte sie die Antwort parat. Sie lautete 8.091.

      11

      Seit Nina in Doros Haus wohnte, gab es für sie zwei feste Termine in der Woche. Jeden Sonntagabend schaute sie gemeinsam mit Yasemin und Doro den Tatort im Fernsehen. Während ihre beiden Freundinnen stets hoch konzentriert das Geschehen verfolgten, übernahm sie zuverlässig die Rolle der Spielverderberin und ließ Kommentare fallen wie »Das ist so unrealistisch« oder »Ja, schon klar. Er war’s. Wie lahm«.

      Je nachdem, was gerade zur Hand war, warf Yasemin dann Chipstüten, Kissen und neuerdings auch Babyspielzeug in ihre Richtung.

      Jeden Mittwochabend lud Dorothee Yasemin und Nina zum Essen ein. Ihre Vermieterin war eine ausgezeichnete Köchin, die sie je nach Jahreszeit mit deftigem Braten, Rouladen, einer raffinierten Suppe oder auch mal einem Salat verwöhnte. Doch als Nina an diesem Abend Doros Wohnung betrat, roch es weder nach köstlichem Gebratenen noch war wie sonst der Tisch liebevoll gedeckt. Stattdessen war Doro damit beschäftigt, ihr Wohnzimmer in die Kommandozentrale von einst zu verwandeln. Rechts neben dem Schreibtisch hatte sie bereits Platz für die Magnetwand freigeräumt, die sie damals genutzt hatten, um ihre Ermittlungsergebnisse zusammenzutragen.

      »Hilf mir mal gerade«, bat sie Nina und führte sie in ihren Abstellraum. Gemeinsam trugen sie die Magnetwand an den vorgesehenen Platz. »Sehr schön.« Doros Wangen waren von der Anstrengung des Tragens und vielleicht auch vor Vorfreude gerötet. »Jetzt schmiere ich uns schnell ein paar Brote, schneide uns Gürkchen auf und sobald Yasemin hochkommt, planen wir unser Vorgehen.«

      Während Dorothee in die Küche verschwand, setzte sich Nina leise seufzend aufs Sofa. Sie hatte sich auf ein warmes Abendessen gefreut, doch daraus wurde wohl nichts. Bei ihr blieb die