Inselgötter. Reinhard Pelte

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Название Inselgötter
Автор произведения Reinhard Pelte
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839249369



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bindet dich ein, Henning. Korrekt von ihm, könnte man sagen.«

      »Tomas, ich bitte dich. Sei doch nicht so furchtbar naiv. Wenn der Polizeipräsident mich anruft, dann will er was von mir. Dann hat er ein Problem. Und ich anschließend auch. Er sagt mir durch die Blume, ich soll ihm helfen, sein Problem aus der Welt zu schaffen. Vielleicht hat er sogar mehrere. Hier geht es nicht um Belanglosigkeiten. Das rieche ich. Ich habe das schon zu oft erlebt.«

      Tomas Jung hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Er war es leid, sich einen Gutmenschen, einen Besserwisser oder naiv nennen zu lassen. Sogar Charlotte bezichtigte ihn einer sauren Moral und nannte ihn altmodischen Tugendbold. Svenja tutete ins gleiche Horn und haute ihm den ganzen Kram noch einmal um die Ohren. Auf welchem Thron saßen sie eigentlich, dass sie sich das erlauben durften? Reichte es, Vorgesetzter oder Frau zu sein? Er war Polizist, ›Ordnungshüter‹ war ein anderer Name für das, wofür er bezahlt wurde. Holtgreve übrigens auch. Recht und Gesetz durchzusetzen und zu schützen, war ihr Beruf. Was war daran altmodisch? Gewaltenteilung, Beweisbarkeit, Schutz vor Übergriffen, Unschuldsvermutung, Nichteinmischung, Verschwiegenheit und so weiter und so fort. Das waren, neben vielen anderen, Eckpfeiler dieser Ordnung, Werte, auf die sich die Gesellschaft in Deutschland verständigt hatte und an die er glaubte. Aus Überzeugung. Er spürte ein großes Verlangen, das lauthals in die Welt zu brüllen. Tomas Jung schwieg verbissen.

      Holtgreve griff zu seinem Glas. Jung machte es ihm nach. Die anderen waren einfach schlauer, dachte er, während er einen zweiten Schluck nahm. Holtgreve war Inspektionschef geworden, nicht er. Und Frauen waren unangreifbar, solange sie ihre soziale Kompetenz ausspielten. Sie hatten eine feine Witterung dafür, wo sozialer Abstieg drohte, Gefahr für Leib und Leben bestand, vor allem von Kindern, oder überflüssige Opfer gebracht werden sollten. Jung setzte langsam sein Glas zurück.

      »Was hat er für ein Problem?«, fragte er mit gespielter Gleichgültigkeit.

      »Das hat er natürlich nicht explizit gesagt. Aber …«

      »Natürlich? Ich finde das nicht natürlich. Ich finde das verlogen«, giftete Jung.

      »Natürlich oder verlogen, das ist doch völlig wurscht, Tomas. Er hat Angst vor der Öffentlichkeit. Das spüre ich. Presse und Medien sollen unter allen Umständen außen vor bleiben. Keine Schlagzeilen, keine Homestory, keine Interviews, keine Fotografen vor der Haustür. Was nicht in den Medien erscheint, existiert auch nicht. Verstehst du?«

      »Wie will er das bewerkstelligen? Wir leben nicht …«

      Jung brach ab, weil der Kellner das Essen brachte. Sie hoben ihre Gläser und wünschten sich guten Appetit. Dann machten sie sich über ihre Teller her. Schon nach wenigen Bissen kam Holtgreve zurück zur Sache.

      »Der Präsident will, dass du die Sache in die Hand nimmst. Er besteht darauf«, erklärte er mit Nachdruck.

      »Ich?«, reagierte Jung erstaunt. »Ich bin Leiter des S-Kommissariats bei der Bezirkskriminalinspektion Flensburg, Henning. Ich bearbeite unaufgeklärte Kapitalverbrechen, nicht Vermisstenanzeigen. Weiß er das?«

      »Oh ja. Das weiß er ganz genau. Er hat aber darauf verwiesen, dass du durchaus zuständig sein könntest. Er ist nicht dumm. Er …«

      »Das weiß ich, Henning. Er wäre sonst nicht da, wo er ist«, warf Jung ein.

      »Er ist listig, Tomas. Das solltest du dir gut merken.«

      »Okay, okay. Ich weiß. Aber warum ich?«

      »Die Fälle sind nicht abgeschlossen. Also unaufgeklärt. Keiner weiß, was passiert ist. Verbrechen drängen sich als Erklärung geradezu auf. Da hat er einfach recht. Das musst du zugeben, Tomas.«

      Holtgreve kaute schweigend und sah Jung durchdringend an.

      »Am Anfang ist immer alles unaufgeklärt«, sagte Jung lahm. »Das kann nicht der Punkt sein. Es gibt ein paar Menschen, die sich verdünnisiert haben. Nichts deutet bislang darauf hin, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Vielleicht haben sie keine Lust mehr auf unsere Gesellschaft. Einer von ihnen ist der Sohn eines abgehalfterten Bankvorstandes. Wenn an den Gerüchten etwas dran ist, dann braucht der Junior vielleicht mal ’ne Erholungspause von dem Alten. Darauf würde ich zuerst tippen.«

      Holtgreve lachte gequält.

      »Tomas, ich bitte dich, reg dich nicht auf. Ihr habt die volle Unterstützung und das uneingeschränkte …«

      »Ihr?«, ging Jung dazwischen. Seine mühsam bewahrte Beherrschung begann zu bröckeln. »Wer ist das denn? Das wird ja immer abenteuerlicher, Henning.« Jung stocherte fahrig in seinen Nudeln herum. Er ahnte Schlimmes. Ihm begann der Appetit zu vergehen.

      »Lass mich bitte ausreden, Tomas. Ich mach es kurz. Du und die Kollegin Bakkens seid oben positiv aufgefallen. Sehr positiv. Den letzten Fall habt ihr geräuschlos und vor allem beeindruckend schnell abgewickelt. Der Auftritt der Kollegin Bakkens vor den Medien hat den Präsidenten begeistert. Das war eine brillante Idee von dir, mein Lieber. Cool, professionell, attraktiv. Beste Werbung für die Polizei. So seine eigenen Worte. Wenn ihr die vorliegende Angelegenheit ebenso erledigt, dann seid ihr oben angekommen, Tomas. Dann stehen euch alle Türen offen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«

      Jung starrte Holtgreve entgeistert an.

      »Bevor ich durch irgendeine Tür gehe, habe ich aber die totale Arschkarte. Überleg doch mal, Henning. Kopper-Carlson ist schon eine Ewigkeit an der Sache dran. Er hat …«

      »Eilers junior steht erst seit ein paar Tagen auf der Liste«, unterbrach ihn Holtgreve. »Kopper-Carlson kann also noch gar nicht richtig losgelegt haben.«

      »Er war fleißig«, ließ Jung sich nicht beirren. »Seine Ermittlungen sind akribisch und umfassend. Ich habe die Akten gelesen. Und jetzt soll ich den ganzen Kram in Nullkommanichts in die Archive bugsieren.« Tomas Jung lachte grimmig. »Daran kannst du nicht ernsthaft glauben.«

      »Kriminaldirektor Tomas Jung zusammen mit Kriminaloberkommissarin Charlotte Bakkens. Doch, Tomas. Ich …«

      »In spe, Henning, in spe. Wenn überhaupt. Was ist, wenn …«

      »Tomas, reg dich ab«, beschwor ihn Holtgreve. »An deiner Stelle …«

      »Du bist nicht an meiner Stelle, Henning. Du bist …«

      »Der Präsident hat sie bereits informiert«, machte Holtgreve dem Wortgefecht ein Ende. »Sie ist auf dem Weg zu uns.«

      »Was? Er hat sie …«

      Jung brach abrupt ab. Ihm wurde klar, dass die Würfel längst gefallen waren. Die Beamtenmaschinerie war angesprungen und nahm ihren Lauf. Die Probleme waren von oben nach unten bis auf die Arbeitsebene durchgereicht worden. Und da würden sie unweigerlich mit den alltäglichen Notwendigkeiten kollidieren. Krawumm! Und das Desaster begann. Nur ein Weltuntergang, ein Krieg oder Krankheit würden daran etwas ändern können. Die beiden ersten waren nicht in Sicht und krank wollte Jung nicht werden. Aus diesen Gründen schon gar nicht. Aber welche Motive bewegten die Leute an den Schalthebeln, das absehbare Kuddelmuddel zuzulassen? Welche Gründe könnte es überhaupt dafür geben? Vielleicht überschätzte er seine Vorgesetzten einfach.

      Holtgreve schien in Jungs Gesicht zu lesen, was ihn bewegte. Er redete begütigend auf ihn ein.

      »Der Präsident hat seinen Einfluss geltend gemacht und dafür gesorgt, dass ihr zu jeder Zeit und zu jedem Thema mit Eilers reden könnt. Auch mit seiner Frau. Ihr habt exklusiven Zutritt zu den beiden. Das war die Bedingung für seine Zugeständnisse. Soviel ich weiß, sind sie alte Freunde.«

      »Auch das noch«, stöhnte Jung.

      »Das kann durchaus von Vorteil sein, Tomas. Wenn der Präsident euch persönlich auswählt, dann zeigt er damit, dass ihr sein uneingeschränktes Vertrauen genießt. Dass er mit all seinem Einfluss hinter euch steht. Verstehst du, was ich damit sagen will?«

      »Sein Vertrauen. Ach du meine Güte«, brummte Jung unwillig.

      »Seine Macht färbt auf euch ab. Man wird euch mit Respekt