Inselgötter. Reinhard Pelte

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Название Inselgötter
Автор произведения Reinhard Pelte
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839249369



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geht so viel durch den Kopf. Ich muss höllisch aufpassen. Die Lage ist prekär.«

      »Prekär?«, fragte Jung erstaunt. »Darf ich fragen, warum?«

      »Ich komme gleich dazu. Lass uns zuerst bestellen.«

      Holtgreve winkte der Bedienung. Er entschied sich für Tagliatelle in Rotweinsauce mit Paprika und gebratenem Schweinefilet. Jung nahm Muschelnudeln in Proseccorahm mit Scampi und Zucchini.

      »Was wünschen die Herren zu trinken?«, fragte die Bedienung.

      »Mach du das, Tomas. Du bist doch der ›King of wines‹.«

      Woher hat er das denn, dachte Jung und studierte angestrengt die Karte.

      »Wir nehmen eine Flasche Primitivo aus dem Mezzogiorno«, entschied er schließlich. »Er passt zu den Tagliatellen.«

      »Gute Wahl, mein Herr.« Die Bedienung deutete eine Verbeugung an und ließ sie allein.

      »Du wolltest mir etwas erklären, Henning«, leitete Tomas Jung das Gespräch ein.

      »Richtig.« Holtgreve hielt inne und schien im Zweifel, wie er fortfahren sollte.

      »Hat es etwas mit den Vermissten zu tun, um die ich mich kümmern sollte?«, half Jung ihm auf die Sprünge.

      »Genau. Es gibt da eine Besonderheit, die mir Kopfzerbrechen macht. Es könnte eine Menge davon abhängen, wie wir mit der Sache umgehen. Eine delikate Angelegenheit, Tomas. Höchste Alarmstufe.«

      Jung wusste mit den ominösen Andeutungen seines Chefs nichts anzufangen und schwieg. Schließlich schien Holtgreve gefunden zu haben, wonach er gesucht hatte.

      »Kennst du eigentlich einen von den Vermissten? Hast du ihre Namen schon einmal gehört oder von ihnen in der Zeitung gelesen?«

      »Nein? Sollte ich?« versetzte Jung.

      »Der Letzte auf der Liste ist der Sohn eines einflussreichen Mannes. Er war Vorstand eines, nach eigenem Selbstverständnis, mächtigen Geldinstitutes. Ich würde eher sagen, eines von regionaler Bedeutung. Trotzdem ein Mann mit Beziehungen«, sagte Holtgreve mit einer Mischung aus Respekt und Herablassung.

      »Wer? Der Vater oder der Sohn?«

      »Der Vater.« Holtgreve schwieg und sah Jung in die Augen. Jung las darin die Erwartung, dass er die richtigen Fragen stellte.

      »Der Letzte auf der Liste heißt Jens Eilers«, bemerkte Jung. »Der Name sagt mir nichts. Von dem Vater habe ich auch noch nie gehört.«

      »Liest du nicht das Tageblatt? Dann müsstest du Jan Eilers, den Vater, eigentlich in guter Erinnerung haben. Oder besser, in schlechter.«

      »Ich lese keine Tageszeitung«, stellte Jung fest und kam sich blöd vor.

      »Er war vor langer Zeit mal das Hätscheltierchen des Chefredakteurs. Dann hat er sich verdächtig gemacht und wurde der Buhmann. Jede Menge vor Moral und Selbstgerechtigkeit triefende Leitartikel. Ekelerregend.«

      »Du sagtest, er war Vorstand«, kam Jung zurück zum Thema. »Was ist er denn jetzt?«

      »Er ist Anlageberater.«

      »Für Leute mit zu viel Geld.«

      »Für Geldanleger«, erwiderte Holtgreve sachlich. »Er ist auch der Geschäftsführer einer Wohnungsbaugesellschaft.«

      »Aha. Welche Rechtsform?«, forschte Jung süffisant.

      »GmbH & Co. KG. Sie heißt ›Team Futuro‹.«

      »Und er ist auch Kommanditist, oder?«

      Holtgreve nickte bestätigend. »Er hält die Mehrheitsanteile.«

      »Aha, perfekt. Warum ist er eigentlich kein Banker mehr?«

      »Er passte nicht mehr in die Landschaft. Das ist eine lange Geschichte. Ich will das an dieser Stelle nicht vertiefen. Nur so viel: Ihm wurde nahegelegt, sich zurückzuziehen. Die Argumente müssen ausgereicht haben, dass er dem freundlichen Verlangen seines Aufsichtsrates widerstandslos gefolgt ist. Jedenfalls drang nichts Gegenteiliges nach draußen.«

      »Sie reichten aber nicht aus, ihn in den Knast zu bringen«, folgerte Jung.

      »Ich nehme an, er wusste zu viel. Er hätte den einen oder anderen mitgenommen. Über die Namen hätten wir uns sicherlich gewundert. Wenn diese Leute ins Straucheln kommen, kennen sie kein Pardon.«

      Jung überkam die Lust weiterzufragen. Er hielt sich aber zurück und sagte: »Es geht um seinen Sohn. Reden wir über ihn.«

      »Genau das ist das Problem. Wenn wir über den Sohn reden, müssen wir auch über den Vater reden. Er …«

      »Wieso das denn?«, fiel Jung ihm ins Wort. »Ist der auch verschwunden?«

      »Nein, nein«, winkte Holtgreve ab. »Aber Eilers senior versucht, Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen. Über den Innenminister, den Polizeipräsidenten, den Generalstaatsanwalt. Ich bin der Letzte in der Kette. Bei mir landet die Arbeit. Verstehst du?«

      »Nicht so ganz. Er war einmal mächtig, mag sein. Aber heute ist er einer von vielen. Im Übrigen ist es ganz egal, was er war oder was er ist. Alle Versuche, Einfluss zu nehmen, müssen zurückgewiesen werden. Oder sehe ich das etwa falsch?«

      »Nein. Natürlich hast du recht. Dennoch …«

      »Ich verstehe. Man muss Rücksicht nehmen. An höherer Stelle, nicht wahr?«, höhnte Jung.

      »Ich selbst weiß nichts Genaues. Aber es gibt Gerüchte. Es werden üble Geschichten über ihn erzählt. Er soll schon als Student in Kiel …«

      Holtgreve unterbrach seine Rede, weil die Bedienung mit der Flasche an ihren Tisch trat und einen Probeschluck einschenkte.

      »In Ordnung, danke«, nickte Jung dem Mann zu und wartete, bis er außer Hörweite war. Dann wandte er sich wieder seinem Chef zu.

      »Mein Gott, Henning. Das kennen wir doch zur Genüge. Gerüchte, Intrigen, Neider, üble Nachrede und so weiter und so fort. Alles Gelaber, nichts als Getuschel und Gemauschel.« Jung schüttelte angewidert den Kopf.

      Holtgreve hatte gerade nach seinem Weinglas gegriffen und setzte es wieder ab, als hätte ihn ein Insekt gestochen. Er sah Jung intensiv an. Dann sagte er mit Nachdruck: »Dieses ›Gelaber‹, wie du es auszudrücken beliebst, bewegt das Wohl und Wehe der ganzen Menschheit. Darüber solltest du dir mal Gedanken machen, mein Lieber, anstatt den Gutmenschen und Besserwisser raushängen zu lassen.«

      Jetzt stellte auch Jung sein Weinglas ab. Er fühlte sich bis ins Mark getroffen. Ein ungewohntes Gefühlskonglomerat machte sich in ihm breit: Wut, Angst und Trotz, begleitet von einer Art Respekt. Noch nie zuvor hatte er Holtgreve gegenüber ähnlich empfunden. Nur mühsam behielt er seinen Gleichmut bei. Holtgreve nahm einen langen Schluck.

      »Was hat Eilers senior denn tatsächlich unternommen? Was hast du damit zu tun?«, nahm Jung scheinbar ungerührt das Gespräch wieder auf.

      »Er hat den Generalstaatsanwalt und den Polizeipräsidenten ersucht, ihn über den Fortgang der Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten.«

      »Sein Sohn ist verschwunden. Da ist der Wunsch verständlich«, warf Jung ohne Überzeugung ein.

      »Aber nach Gesetz und Recht nicht statthaft. Das hast du bereits richtig angemerkt. Er hat keinen Anspruch auf Extrawürste. Er könnte die Ermittlungen beeinflussen, im schlimmsten Fall torpedieren. Mit ziemlicher Sicherheit aber komplizieren. Das weißt du so gut wie ich.«

      »Okay. Meinetwegen. So könnte es sein, muss aber nicht. Ich sehe da nicht unbedingt eine Zwangsläufigkeit.«

      »Du kennst die Kreise nicht, in denen die sich bewegen, Tomas.«

      »Mag sein. Aber ist das ein Grund, die höchste Alarmstufe auszurufen? Wo ist das wahre Problem?«

      »Dass Eilers an allerhöchster Stelle Gehör gefunden hat. Gegen die üblichen Regeln, um das noch