Inselgötter. Reinhard Pelte

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Название Inselgötter
Автор произведения Reinhard Pelte
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839249369



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am Ende sein müssen.

      *

      Tomas Jung bewohnte ein karges Zimmer. Zwölf Quadratmeter auf Holzdielen, ein Tisch, ein Lehnstuhl, ein Bett, ein Schrank. Es erinnerte ihn fatal an das Zimmer, in dem er seine Jugend verbracht hatte. Nur hatte es da noch ein paar Bilder, Bücher und ein Radio gegeben. Hier nicht. Ein Provisorium. Mehr sollte es nicht sein. Seine Verletzlichkeit hatte ihn hierhergetrieben, nicht die Absicht, sich von Svenja zu trennen. Der Gedanke daran war ihm so fern wie der, sich einen Arm abzuhacken.

      Insgeheim verfluchte er seine Feinfühligkeit. Sie machte Probleme. Ihm gefiel das nicht, obwohl er sich über die Jahre angewöhnt hatte, sie als ein seltenes Geschenk zu betrachten. Sie brachte ihm auch Vorteile. Gerade in seinem Beruf.

      Er war Leiter des S-Kommissariats bei der Bezirkskriminalinspektion Flensburg, dem Dezernat für unaufgeklärte Kapitalverbrechen. Der Blick aus seinem Zimmer ging in den Hinterhof, nicht nach vorne, auf den Willy-Brandt-Platz und den Hafen. Der Hinterhof passt viel besser zu mir, hatte er gleich beim ersten Mal gedacht. Die Aussicht ins Dahinter war seine Sache, nicht der Glanz, mit dem sich die Menschen ins beste Licht zu setzen bemühten. Die allgegenwärtige Sucht nach Glamour und Glanz war für Jung Ausdruck eines Mangels, eines verzweifelten Bettelns um Aufmerksamkeit, die vielleicht irgendwann zuvor hätte gestillt werden können, aber nie gestillt worden war und die in Zukunft auch nie gestillt werden würde. No chance. Absolutely no chance. So sah Tomas Jung das.

      Holtgreve

      Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.

      »Ja«, sagte er laut und drehte sich um.

      Jung begrüßte ihn freundlich.

      »Moin, Henning. Komm rein und setz dich.«

      Diese Aufforderung hätte ein Besucher von außerhalb mit Sicherheit als Zumutung empfunden. Jungs Büro glich einer Zelle, allerdings einer geräumigen Zelle. In den Augen seiner Frau war das Ambiente schäbig. Sie hatte ihn des Öfteren gefragt, wie er es aushielte, so zu arbeiten. Ein Aktenschrank, ein Aktenbock, ein Bürosessel mit verstellbarer Sitz- und Rückenlehne und ein Besucherstuhl waren neben dem Schreibtisch die einzigen Möbelstücke in Jungs Büro. Die spärliche und in vielen Jahren abgenutzte Möblierung ließ den Arbeitsraum leer und karg erscheinen. Es hätte nicht gepasst, Bilderschmuck oder andere dekorative Elemente darin unterzubringen. Früher hatte Jung sich über die armselige Ausstattung aufgeregt, heute schätzte er es, sich ohne Ablenkung auf seine Arbeit konzentrieren zu können.

      »Moin, Tomas. Ich hab nicht viel Zeit. Gleich ist Lagebesprechung. Du weißt schon. Ich …«

      »Was kann ich für dich tun?«, kürzte Jung die Prozedur ab.

      »Ich möchte dich bitten, mit Kopper-Carlson Kontakt aufzunehmen.«

      *

      Kopper-Carlson! Gütiger Gott! Der auch noch, fluchte Tomas Jung lautlos. Kopper war ein Fall für sich. Mittelgroß, hager, rotblond. Er gab sich betont ruhig und besonnen und trat in der Inspektion auf als der konservative Hanseat mit einer Vorliebe für britisches Understatement. Zu diesem Zweck hatte er sich einen Gentleman-Schnauzer wachsen lassen und stellte seine Armbanduhr 20 Minuten nach. Er las in jeder freien Minute renommierte deutsche und englische Zeitungen. Es fehlte nur noch, dass er Pfeife geraucht hätte, um das Bild des überlegenen, coolen Ermittlers so perfekt rüberzubringen, dass es zu seiner eigenen Karikatur getaugt hätte. Stattdessen löffelte er Joghurt, trank Tee aus großen Bechern, pellte Bananen und kaute geräuschvoll seine mitgebrachten Äpfel. Er haderte mit der Welt, in der ihm noch nie jemand begegnet war, der in der Lage gewesen wäre, seine wahre Klasse zu erkennen und ihm die verdiente Hochachtung entgegenzubringen. Das hatte dazu geführt, dass er seine Schrullen pflegte, weil sie ihm Aufmerksamkeit zu verschaffen versprachen. Letztlich hatten sie ihm aber nur den Spitznamen »Die Diva« eingebracht. Er spielte Tennis. Da lachte er manchmal, und wenn er mit seinen dünnen, o-beinigen Stelzen auf den Platz schlurfte, dann konnte man einen Eindruck davon gewinnen, welch verträglicher, munterer Knabe er einstmals gewesen sein musste.

      *

      »Den Kopper? Den von den Zentralen Diensten?«, vergewisserte sich Jung seufzend.

      »Genau den. Er arbeitet gerade an einigen mysteriösen Vermisstenanzeigen. Ich möchte, dass du dir das mal ansiehst.«

      »Bin ich jetzt dein Mann für alle Fälle, oder was?«, frozelte Thomas

      Sie lachten.

      Sein Chef wiederholte: »Sieh es dir einfach mal an. Ich will deine Meinung dazu hören.« Er war schon fast aus der Tür, als Jung noch einmal nachhakte:

      »Gibt es daran etwas Besonderes? Soll ich auf irgendetwas achten?«

      »Sieh es dir einfach an, okay? Ich muss los. Wir sprechen nachher darüber. Gehen wir zusammen mittagessen?«

      »Gerne. In die Walzenmühle?« Tomas dachte an sein klägliches Frühstück.

      »Geht in Ordnung. Reservier uns einen Tisch, an dem wir ungestört reden können.«

      »Okay, mach ich. Bis dann.«

      »Bis dann, Tomas.«

      *

      Die Suche nach Kopper dauerte. In seinem Büro war er nicht zu finden. Schließlich erwischte Jung ihn in der Kantine beim zweiten Frühstück.

      »Moin, Herr Kollege«, begrüßte er Kopper-Carlson. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

      »Moin. Machen Sie, was Sie wollen, aber machen Sie keinen Stress.«

      »Haben Sie Stress?« Jung setzte sich und lächelte ihn provozierend an.

      »Mehr als mir guttut. Was gibt’s denn? Holtgreve hat Sie geschickt, nicht wahr?«, fragte der Kollege, als erwarte er gar keine Antwort. »Schämen Sie sich eigentlich gar nicht?«

      »Nein«, antwortete Jung trocken.

      »Na klar. Sie sind ja sein Spezi.«

      »Spezi? Wie kommen Sie darauf?«

      »Das weiß doch jeder. Er duzt Sie. Eine äußerst zweifelhafte Ehre.«

      »Womit haben Sie Stress, Kopper?«, versuchte Jung, dem Geplänkel ein Ende zu machen.

      Kopper zog eine missmutige Grimasse. »Er nervt. Wie immer. Er rückt ja nie mit der Sprache heraus, unser Herr Chef. Was will er?«

      »Sie bearbeiten Vermisstenfälle, ist das richtig?«, fragte Jung sachlich.

      »Ja.«

      »Holtgreve will, dass ich mich in der Sache schlaumache.«

      »So, will er das! Ich glaube eher, dass er mich kontrollieren will.«

      »Ich glaube, er möchte, dass wir vorankommen.«

      Jung