Lakota Moon. Antje Babendererde

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Название Lakota Moon
Автор произведения Antje Babendererde
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401801131



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gelaufen. Stirnrunzelnd sah ich Rodney an. Hatte er meine Mutter etwa geheiratet, um an dieses Haus zu kommen? Eigentlich traute ich ihm das nicht zu, aber wer weiß . . .

      Er erzählte weiter: »Baustoffe aus Hanffasern, das ist vielleicht unsere Zukunft. Die Pflanze ist anspruchslos und bietet eine Menge Vorteile. Sieh dir das Land doch an«, er breitetet die Arme aus. »Hier wächst nicht viel, aber Hanf wächst. Er ist genauso genügsam wie wir Indianer. Allerdings stellen sich die Bundesbehörden quer. Sie denken, wenn sie uns erlauben Nutzhanf anzubauen, wird es auch andere Hanffelder geben.« Rodney zwinkerte mir zu.

      Redete dieser Mann wirklich mit mir? Ich drehte mich zu meiner Mutter um, aber sie war gar nicht da. Er redete tatsächlich mit mir. Als wenn ich jemand wäre, mit dem man über so was reden könnte.

      »Siehst du dort drüben?« Rodney zeigte nach Westen auf einen nahen, baumlosen Hügel. »Dort wächst Hanf auf meinem Land. Wir haben den Samen Anfang Mai ausgesät. Bei Gelegenheit werde ich dir die Pflanzen zeigen. Der Hanf gedeiht diesmal prächtig, er überragt mich bereits, und das will was heißen.« Er lachte zufrieden.

      Ich sah mich noch ein bisschen um. Auf der Wiese hinter dem Haus standen drei hohe Bäume, die Ähnlichkeit mit unseren Pappeln hatten. Es waren Cottonwoods, wie ich später erfuhr, eine Pappelart, die für den heiligen Sonnentanzbaum verwendet wurde.

      Zwei verkrüppelte alte Apfelbäume standen da noch und ein paar Holundersträucher. Meine Mutter kam aus dem Haus und schloss ab. Rodney hatte nicht vor mit dem neuen Van zu fahren, er steuerte auf einen weißen Pick-up zu, der im Schatten des Hauses stand.

      Als wir in den rostigen, alten Ford-Pick-up steigen wollten, kam ein anderes Fahrzeug über den Feldweg geholpert und zog eine dicke Staubwolke hinter sich her. Der klapprige Kleinlaster hielt vor dem Haus und ein junger Indianer stieg aus. Er trug eine schwarze Sonnenbrille und auf dem Kopf eine umgedrehte Baseballmütze, unter der schulterlange Haare hervorschauten. Der junge Mann hieß Dustin Shortbull und Rodney stellte ihm Mom und mich als seine neue Familie aus Deutschland vor.

      Uns erklärte er, dass Shortbull zur Deer-Creek-Genossenschaft gehörte, die nicht weit von uns noch ein anderes Hanffeld besaß und einen alten Schuppen, in dem die Ziegelsteine für das Haus hergestellt worden waren. Hanffasern vermischt mit Lehm, Kalkstein und Beton. »Alles ist jetzt noch ein bisschen primitiv, aber bald wird es dort eine kleine Fabrik und Arbeitsplätze geben.«

      Dustin war guter Laune, weil er Rodney noch angetroffen hatte, und beide machten Späße mit schnellen Worten, die ich nicht verstand. Dustin hatte eine Ladung Hanf-schindeln auf seinem Pick-up, die für die Verkleidung des Hauses bestimmt waren. Also hieß es abladen. Genau wie ich es befürchtet hatte. Gleich am ersten Tag musste ich arbeiten.

      Meine Mutter fasste sofort mit an, obwohl die Schindelpakete schwer waren. Natürlich konnte ich mich nicht drücken, auch wenn ich das am liebsten getan hätte. Mir fiel es nun mal schwer, andere zu enttäuschen.

      Mit mürrischem Gesicht trug ich dazu bei, dass das Zeug vom Wagen runterkam und wir endlich losfahren konnten. Nach einer halben Stunde war alles erledigt und der Schweiß lief mir den Rücken hinunter. Dustin klopfte mir lachend auf die Schulter, so heftig, dass ich einen Schritt nach vorn machen musste, um mein Gleichgewicht zu halten. Dann stieg er wieder in seinen Laster und fuhr davon, eine dicke Staubwolke hinter sich her ziehend. Wir wuschen uns die Hände an einem Wasserhahn hinter dem Haus und es konnte losgehen.

      In der Fahrerkabine eines Pick-ups sitzt man weit oben und kann gut sehen, wenn man nicht gerade mörderisch durchgeschüttelt wird, weil die Straße schlecht ist. Meine Mutter saß zwischen Rodney und mir und hielt sich an uns beiden fest. Sie fand das Geschaukel ungeheuer lustig und ich verdrehte mehr als einmal die Augen, weil sie hemmungslos kicherte wie ein Teenager.

      Nach einer halben Meile bogen wir auf die Schotterstraße und ich sah, dass links und rechts tatsächlich noch andere Häuser standen. Der Ausdruck Häuser war vielleicht ein bisschen übertrieben, Behausungen passte besser. Es waren längliche, kastenförmige Fertighäuser aus Plastik, Trailer genannt, die im Stück an Ort und Stelle gebracht worden waren. Alte Reifen auf den Dächern sollten wohl verhindern, dass die Bedachung davonflog, wenn es stürmte.

      Manchmal stand auch nur ein alter Wohnwagen da, von dem die Farbe blätterte, bewacht von drei oder vier Hunden und ein paar Pferden. Überall lag Müll herum, der schon seit Jahren nicht mehr weggeräumt worden war.

      Die Nachbarschaft scheint ja nicht sehr viel versprechend zu sein, dachte ich enttäuscht, war aber doch froh nicht selbst in so einem Wohnwagen zwischen Müllbergen hausen zu müssen. Ich glaube, dann hätte ich meine Sachen gar nicht erst ausgepackt und wäre gleich wieder nach Hause geflogen.

      Von Rodney hatte ich eine Karte vom Reservat bekommen, damit ich mich auf der Fahrt ein wenig orientieren konnte. Nach sieben Meilen Schotterpiste erreichten wir die Asphaltstraße nach Kyle, jener Ortschaft, in der ich zur Schule gehen würde.

      Kurz darauf waren wir da und ich sah mich um. Rodney erklärte alles. Es gab zwei Tankstellen – eine davon mit Lebensmittelladen –, ein Kulturzentrum mit einer Imbissbude davor, das Kyle Food Stop Café und eine Menge Wohnhäuser verstreut auf den Hügeln ringsherum, die alle irgendwie gleich aussahen. Die meisten Asphaltstraßen wurden nach dem letzten Haus zu Feldwegen.

      Menschen waren kaum zu sehen. Nur an der Tankstelle und der Imbissbude sah ich ein paar Leute. Sie standen herum, mit Getränkedosen in der Hand, und erzählten. Eilig hat es hier niemand, dachte ich. Hektik kannten die Lakota nicht. Dafür schienen sie sich nur schwer von Dingen trennen zu können, die aus Altersgründen ausgedient hatten. Keine Ahnung, warum, aber statt die alten Möbel, den kaputten Kühlschrank oder das ausgeschlachtete Auto dorthin zu bringen, wo man sich um die fachgerechte Entsorgung kümmern würde, wurde alles neben oder hinter dem Haus gelagert. Fast jeder hatte also seinen privaten Müllplatz gleich nebenan. »Indianische Gartenkunst«, nannte Rodney das. Ich fand, es sah nicht unbedingt hübsch aus, und fragte mich, warum die Indianer ihren Mist nicht einfach wegräumten. Die Trostlosigkeit, die mich umgab, schlug mir mächtig auf den Magen und ich musste mich ganz schön zusammenreißen, um es mir nicht anmerken zu lassen. Es war nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, nicht annähernd.

      Alles, was ich denken konnte, war: Du bist jetzt weit weg von zu Hause, Olli. Zu weit weg.

      Ich hätte maulen können, Unmut und Unverständnis durch Grunzlaute oder Kopfschütteln kundtun können, aber das war nicht meine Art. Irgendwie hatte mir der Anblick der vernachlässigten Fertigteilhäuser mit dem Gerümpel drum herum die Sprache verschlagen. Alles da draußen wirkte fremd, ja beinahe feindselig auf mich. Das war kein Spaß, kein Abenteuer – wie meine Mutter es bezeichnet hatte. Das war mein zukünftiges Leben. Hier würde ich ab September zur Schule gehen und meine Klassenkameraden lebten in diesen klapprigen Häusern, Trailern oder Wohnwagen.

      Eine Welle von Selbstmitleid überschwemmte mich. Wie sollte ich hier leben? Die Indianer kannten es vielleicht nicht anders, aber ich schon. Herausgerissen aus der zivilisierten Welt, war ich mitten in einem Alptraum gelandet. Und ich hatte nicht mal versucht es zu verhindern.

      In diesem Augenblick wurde mir auch klar, dass ich mir umsonst Sorgen um Taschengeld gemacht hatte. Ich würde keines brauchen. Denn hier gab es nichts, wofür ich es ausgeben konnte. In gewissem Sinne vereinfachte das die Sache gewaltig.

      Während ich grollend meinen trüben Gedanken nachhing, hielt Rodney vor einem großen roten Gebäude mit einer eigenwilligen Architektur, deren Sinn sich mir nicht gleich erschloss. Auf einem großen Schild las ich, dass es die Little Wound High-School war, meine zukünftige Schule. Mister Superindianer, der sich hier mit allem wunderbar auskannte, stellte den Motor ab, um mir einen Vortrag zu halten. Vermutlich konnte er Gedanken lesen, denn zuerst löste er das Rätsel um die seltsame Bauweise des Gebäudes.

      Das Mittelstück in dem komplett rot gefliesten Bau hatte ein abgeschrägtes Dach und runde Fenster. Es sollten Bullenaugen sein. »Das Hauptgebäude wurde von einem indianischen Architekten entworfen und stellt einen stilisierten Büffelkopf dar«, erklärte Rodney mir und Mom.

      »Deshalb heißt sie auch Büffelkopfschule. Little Wound ist eine der