Lakota Moon. Antje Babendererde

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Название Lakota Moon
Автор произведения Antje Babendererde
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401801131



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beschäftige mich seit Jahren mit dem Leben der Lakota-Indianer. Ich weiß, was uns im Pine Ridge erwartet. Rodney ist ein wichtiger Mann im Reservat, ein Hoffnungsträger für sein Volk. Er kann nicht einfach wegziehen und seine Leute im Stich lassen.«

      Ich stöhnte leise. Tatsächlich war meine Mutter schon immer von der Idee besessen gewesen, eines Tages dorthin überzusiedeln, wo sie ihre spirituellen Wurzeln vermutete. In unserer Wohnung sah es aus wie in einem Tipi. Überall hingen diverse indianische Gegenstände, die alle irgendeine tiefere Bedeutung hatten. Ich fand das Zeug ja ganz dekorativ, aber interessiert hatte es mich nie. Meine Kumpel dagegen waren jedes Mal hellauf begeistert, wenn sie in unsere Wohnung kamen. Besonders mein Freund Markus interessierte sich für all die Bilder, Holzschnitzereien, Leder-und Perlenarbeiten. Mom musste ihm dann immer etwas über das Leben der Indianer erzählen, was sie auch gerne tat. Sie war der Meinung, in dieser Hinsicht hätten wir Deutschen mächtige Bildungslücken und sowieso vollkommen falsche Vorstellungen.

      Bis jetzt hatte ich den ganzen Hokuspokus einfach ignoriert, aber wenn meine Mutter es ernst meinte, dann würde ich das bald nicht mehr können. Dann würde es auf einmal mein Leben sein. Etwas, das ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte.

      »Ich komme nicht mit«, sagte ich. »Gewöhne dich an den Gedanken.«

      »Du wirst es dort toll finden«, meinte sie, als hätte sie nicht gehört, was ich gerade gesagt hatte.

      »Ich bleibe hier«, wiederholte ich mich. »Ich will mit Nina zusammen sein, genau so, wie du mit Rodney zusammen sein willst. Ich werde deinem Glück nicht im Wege stehen, aber du solltest es meinem auch nicht. Ich liebe Nina«, sagte ich und hoffte, meine ungewöhnlich klare Ausdrucksweise würde ihr die Augen öffnen.

      Stattdessen sagte sie: »Du weißt doch noch gar nicht, was Liebe ist.«

      Mir blieb die Luft weg. Das war ja wohl der Hammer. Ihre Worte hallten in meiner Magengrube wieder. Meine Mom hatte mich nie geschlagen, auch als ich klein war nicht. Aber nun hatte sie mich ungeheuer verletzt. Und verdammt, es tat weh. Wie konnte sie nur so etwas sagen? Sie wollte einen Typen von einem anderen Planeten heiraten und erzählte mir, ich wüsste nicht, was Liebe ist.

      Ich stand wortlos auf und ging aus der Küche. Bevor ich die Haustür ins Schloss fallen ließ, rief ich noch: »Warte nicht auf mich, ich komme heute Nacht nicht nach Hause.«

      Wie betäubt lief ich durch die Straßen und die Worte meiner Mutter hämmerten in meinem Kopf. »Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist.« Und ob ich das wusste. Ich liebte Nina, mit allem was dazugehört. Seit ich sie hatte, interessierte mich kein anderes Mädchen mehr. Ich dachte unaufhörlich an sie und dabei war mir innerlich warm. Wenn sie redete, hörte ich ihr gerne zu, egal, was sie erzählte, und wenn es dabei um irgendwelche Klamotten ging. Mir gefiel ihr Stil. Sie sah immer perfekt aus, was sie auch anhatte. Ich sah Nina gerne an und am liebsten lachte ich mit ihr. Und natürlich wollte ich mit ihr schlafen. Wir hatten in diese Richtung schon einige Versuche unternommen, aber für den letzten Schritt hatte uns der Mut gefehlt. Es funktionierte einfach nicht, wenn jeden Moment die Türklinke heruntergehen konnte und sich draußen jemand darüber wundern würde, warum das Kinderzimmer abgeschlossen ist.

      Aber wie auch immer, es war auch so schon aufregend genug und letztendlich hatten wir ja alle Zeit der Welt. Das hatten wir jedenfalls geglaubt. Und nun? Was würde Nina sagen, wenn ich ihr von den Plänen meiner Mutter erzählte? Ob sie einen Rat wusste oder eine rettende Idee hatte?

      Vielleicht konnte ich bei ihr bleiben. Nina und ihre Eltern bewohnten ein großes Haus mit Garten am Stadtrand und es gab darin noch mindestens drei leere Zimmer, seit ihre Oma letztes Jahr gestorben war. Vielleicht konnte ich eines davon haben. Oder vielleicht konnte Nina mich im Keller verstecken, bis alles vorbei war.

      Aber es würde nie vorbei sein. Nein, da brauchte ich mir keine Illusionen zu machen: Ohne mich würde Mom nicht nach Amerika gehen. Aber gehen würde sie, da kannte ich sie viel zu gut. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, tat sie es auch. Ihre Entschlossenheit war beängstigend und raubte mir die letzte Hoffnung.

      Als ich endlich vor Ninas Haustür stand, fühlte ich mich immer noch, als hätte ich einen Schlag mit dem Holzhammer bekommen. Nina öffnete mir und strahlte mich an. Sie trug Jeans mit weitem Schlag und ein kurzes dunkelbraunes T-Shirt, das ihren Bauchnabel frei ließ. Ihre Haare waren frisch gewaschen und noch feucht und dunkel. Der Duft nach Sommerwiese ließ mich aufwachen aus meiner Benommenheit.

      »Komm rein!«, sagte sie. »Meine Haare sind noch nass, ich erkälte mich sonst.«

      Sie hatte vielleicht Sorgen.

      »Stimmt was nicht mit dir?«, fragte sie.

      Das war auch etwas, das ich so an ihr mochte. Nina merkte gleich, wenn irgendetwas nicht stimmte. Sie konnte in meinem Gesicht lesen wie in einem Buch. Sie umarmte mich und gab mir einen Kuss. Es war so ein Kuss, der einem die Knie weich werden ließ. Dann nahm sie meine Hand und zog mich hinter sich her ins Wohnzimmer. Ihre Eltern waren übers Wochenende verreist und niemand würde uns stören. Wir setzten uns auf die gemütliche Ledercouch.

      »Was ist los mit dir, Olli?«, fragte Nina erneut, während sie meine Hand immer noch hielt.

      Am liebsten hätte ich angefangen zu heulen, aber das verkniff ich mir. »Meine Mutter will Rodney heiraten«, brachte ich hervor.

      Nina überlegte eine Weile, dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte. »Ach Olli, bist du etwa eifersüchtig? Warum sollte sie nicht wieder heiraten? Deine Mutter ist eine schöne Frau und viel zu jung, um alleine zu bleiben.«

      »Du verstehst nicht . . .«, hob ich an, da setzte sich Nina auf meinen Schoß. Ihre feuchten Haare streiften mein Gesicht. Mein Körper reagierte sofort und ich seufzte leise.

      »Was verstehe ich nicht?«, flüsterte sie, ihre Lippen dicht an meinem Mund. Sie strich mir das Haar hinter die Ohren, das tat sie immer, bevor sie mich küsste.

      Ihr Kuss war ein Sommerwiesenwindstoß, der all die furchtbaren Gedanken aus meinem Hirn pustete. Da war nur noch Nina und ihr warmer Körper, die festen, kleinen Brüste unter ihrem kurzen Hemd. Es hatte Wochen gedauert, bis ich mit meinen Händen zu ihnen vordringen durfte, und jetzt genoss ich dieses Privileg in vollen Zügen. Ich schwebte irgendwo im Raum. In Windeseile waren wir dort, wo wir das letzte Mal aufgehört hatten. Wo hatte ich eigentlich die Kondome gelassen?

      Aber dann zog Nina meine Hand unter ihrem T-Shirt hervor, warf ihre Haare über die Schultern und fragte: »Und was wird aus dir, wenn deine Mutter Rodney heiratet?«

      Ich stöhnte und sagte: »Aus mir wird Oliver Schlimme Hand und ich werde nachts heulen wie ein Wolf, weil ich vor Sehnsucht nach dir nicht schlafen kann.«

      Mit einem Ruck setzte Nina sich auf. Ihre grünen Katzenaugen blickten mich erschrocken an. »Heißt das etwa...?« Sie sprach es nicht aus, aber nun hatte sie endlich begriffen.

      »Ja«, erwiderte ich. »Genau das heißt es: Meine Mutter wird zu Rodney nach South Dakota ziehen und ich muss mit.«

      »Amerika?«, fragte sie.

      »Amerika«, antwortete ich.

      Nina zupfte ihr T-Shirt zurecht und zog ihre Jeans wieder an. Ihr Traumkörper verschwand unter den Kleidungsstücken und ich wusste, ich würde Nina nicht haben können. Nun nicht mehr. Ich würde nie wieder solche herrlichen Brüste berühren.

      Ein bisschen war es wie sterben.

      Ich zog mich auch an, setzte meine Brille wieder auf und dann saßen wir schweigend nebeneinander auf der Couch und starrten auf den Teppich zu unseren Füßen. Die orientalischen Muster verschwammen zu eigenartigen Gebilden, die plötzlich wie Ungeheuer aussahen.

      »Ich kann nichts machen, Nina«, sagte ich. »Ich habe nicht mal eine Oma, bei der ich bleiben könnte.«

      »Scheiße!«, sagte Nina.

      Schimpfwörter passten gar nicht zu ihr, Nina drückte sich immer sehr gepflegt aus. Verwundert sah ich sie an. Sie weinte und die Tränen tropften auf ihre Hände, die auf