Lakota Moon. Antje Babendererde

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Название Lakota Moon
Автор произведения Antje Babendererde
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401801131



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Familie, mögen die uns nicht? Müsst ihr deshalb heimlich heiraten?«

      Meine Mutter lächelte kopfschüttelnd. »Nein, wir müssen überhaupt nicht heimlich heiraten. Rodneys Leute legen nur nicht viel Wert auf eine standesamtliche Hochzeit. Sie muss sein, und das ist alles. Das Fest am Wochenende wird die eigentliche Hochzeit sein. Dann werden wir auch Rodneys Familie kennen lernen.«

      Ich sah aus dem Fenster, dorthin, wo Rodney jetzt mit seinem Freund aus dem Trailer kam. Die beiden lachten und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, sie lachten über Mom und mich. Ich fühlte mich zunehmend unbehaglicher.

      Der Mann, den Rodney uns vorstellte, hieß Arlo Has no Horse. Wir erfuhren, dass er nicht nur Rodneys Freund, sondern sein Schwager war, der Mann seiner verstorbenen Schwester Donna.

      Arlo Hat kein Pferd war ein fröhlicher Mensch, der uns herzlich willkommen hieß und auf dem Weg zum Friedensrichter noch ein paar Späße machte, sodass meine Stimmung sich wieder etwas besserte.

      Was meine Mutter mir nicht gesagt hatte, war, dass ich der zweite Trauzeuge sein sollte. Und obwohl ich es nicht gerne tat, ihr zuliebe willigte ich ein. Mir blieb ja mal wieder gar nichts anderes übrig.

      Wenn ich heute darüber nachdenke, dann ging alles ganz schnell und war so unwirklich wie ein Film. Nur dass ich zu den Hauptdarstellern gehörte. Die Augen meiner Mutter leuchteten wie die einer jungen Braut, als sie dem alten, graubärtigen Kauz im schwarzen Anzug, der sie und Rodney soeben verheiratet hatte, ihre Unterschrift gab.

      Es gab nicht mal Eheringe, aber meine Mutter war trotzdem richtig glücklich und ich konnte nicht begreifen, warum. Arlo boxte mich einmal freundschaftlich vor die Schulter, als ich bei der kurzen Zeremonie ein allzu langes Gesicht machte. Nun war es passiert. Es gab kein Zurück mehr. Meine Mutter war mit einem Indianer verheiratet und ich hatte einen Stiefvater mit Zöpfen.

      Rodney lud uns nach der Trauung in ein mexikanisches Restaurant ein und dort erfuhr ich, dass seine Schwester Donna vor drei Jahren an Krebs gestorben war und ihre beiden Töchter in Santa Fe Kunst studierten. Arlo, der als Automechaniker in einer Werkstatt in Rapid City arbeitete, versprach auf jeden Fall zur Hochzeitfeier zu kommen.

      »So ein Ereignis lasse ich mir doch nicht entgehen«, sagte er grinsend. »Ich hätte nie gedacht, dass der alte Rodney noch mal heiratet, wo doch Ella Rae so ein alter Drachen war und er mit ihr keine ruhige Minute hatte.«

      Zum ersten Mal erlebte ich Rodney verlegen. Meine Mutter konnte auch ein Drachen sein, wenn sie wollte. Alle Frauen konnten das. Ob er das ahnte?

      »Susan ist anders«, sagte er. »Deshalb habe ich sie auch geheiratet. Sie macht mich glücklich.« Treuherzig sah er meine Mutter an. Es war unerträglich und ich musste meinen Blick abwenden.

      Nachdem wir Arlo Hat kein Pferd zu seinem Trailer zurückgebracht hatten, fuhren wir zu Walmart einkaufen. Ich war ja wirklich einiges gewöhnt, aber so einen riesigen Supermarkt hatte ich noch nie gesehen. Draußen war eine Höllenhitze und drinnen, vor den Kühlregalen, klapperten mir die Zähne. Ich hätte mir was drüberziehen sollen. Rodney und meine Mutter kauften Unmengen an Lebensmitteln, Pappgeschirr und Plastikbesteck, und ich fragte mich, ob der ganze Stamm zu ihrer Hochzeit kommen wollte, denn danach sah es inzwischen aus.

      Den ganzen nächsten Tag war Rodney unterwegs. Er war schon fort, als ich am Morgen aufstand, und ich war froh, mal wieder mit meiner Mutter allein zu sein – wenigstens für eine Weile.

      Als ich am Tisch saß und mein Müsli löffelte, umarmte sie mich von hinten und legte ihre Wange an meine. Das hatte sie lange nicht mehr getan. Sie roch gut, so vertraut, und ich hätte auf der Stelle losheulen können.

      Schließlich setzte sie sich mir gegenüber und legte ihre Hand auf meine. Ihr war natürlich nicht entgangen, dass ich, seit wir hier waren, mit einer Leidensmiene herumschlich. »Gibt es hier gar nichts, das dich ein wenig interessieren könnte?«, fragte sie, zwei Sorgenfalten über der Nasenwurzel.

      »Mir fehlt die rosarote Brille«, erwiderte ich kopfschüttelnd. »Die hast du nämlich auf.«

      »Warum sagst du das, Olli?«, fragte sie traurig. »Macht es dir Freude, mich zu quälen?«

      »Fragt sich, wer hier wen quält, Mom. Hier zu sein ist wie eine Strafe für mich und ich habe keine Ahnung, womit ich die verdient habe.« Irgendwie war ich in der Phase des Selbstmitleids stecken geblieben und konnte nichts dagegen tun.

      Meine Mutter zog ihre Hand zurück und verschränkte sie mit der anderen, wie um sich daran festzuhalten. »Ich war lange allein, Oliver«, sagte sie. »Du warst da, das hat mich gerettet. Trotzdem war ich oft sehr einsam. Jetzt habe ich jemanden gefunden, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Ich habe nur dieses eine. Vermutlich wird es nicht einfach, aber das habe ich vorher gewusst. Du hast dein Leben noch vor dir und du musst hier auch nicht für immer bleiben. In drei Jahren kannst du deine eigene Entscheidung treffen.«

      »Drei Jahre sind eine endlos lange Zeit, Mom.«

      »Nur, wenn man so jung ist wie du.«

      »Mir gefällt aber auch nicht, dass du für immer hier sein wirst.«

      Meine Mutter lächelte traurig. »Mach dir mal um mich keine Sorgen. Ich bin gerne hier. Es ist das, was ich immer wollte: ein Haus in der Prärie, Pferde, für jemanden der Halt sein.«

      »Okay«, sagte ich. »Aber verlange nicht von mir, dass ich dasselbe empfinde wie du. Lass mich einfach damit in Ruhe und versuche nicht mir hier irgendetwas schönzureden.«

      Die Sehnsucht nach Nina packte mich mal wieder wie ein Raubvogel, der seiner Beute die scharfen Krallen in den Rücken schlägt. Es tat so weh, dass mir die Luft wegblieb. Ich hatte ihr schon drei dicke Briefe geschrieben, mit kleinen Bleistiftzeichnungen, die ich gemacht hatte. Zeichnungen vom Haus, den scheckigen Pferden und einem traurigen Olli. Nina hatte mir erst einmal geschrieben, einen Brief aus Frankreich, der gar nicht traurig klang, sooft ich ihn auch daraufhin untersuchte.

      Ich wählte Ninas Nummer, aber es war nur ihre Mutter dran, die mir erzählte, dass Nina bei irgendeiner Party war. Mich überkam die große Eifersucht, Selbstmitleid und furchtbare Wut, alles auf einmal. Ich rannte den Hügel hinter dem Haus hinauf und warf mich auf die Erde, riss mir die Brille vom Gesicht und heulte. Ich heulte so viel und lange, dass ein paar Tage später an dieser Stelle plötzlich Blumen wuchsen. Meine Tränen hatten ihre Samenkörner geöffnet.

      Aber an diesem Morgen fühlte ich mich so elend wie lange nicht. Ich kam mir vor wie in der Verbannung, so weit fort von allem, das in irgendeiner Weise etwas mit Freude zu tun gehabt hätte. Um mich herum diese verdammten Hügel, bedeckt mit braunem, filzigem Gras. Kein Mensch in der Nähe, mit dem man ein paar Worte hätte reden können. Geschweige denn einer, der meinen Kummer verstanden hätte.

      Ich konnte hier auf dem Hügel sitzen und vergehen vor Langeweile oder ich konnte in meinem Zimmer hocken und dort dasselbe tun. Da gab es wenigstens noch den Fernseher, aber ich war noch nie sonderlich wild auf Fernsehen gewesen und die langen Werbeunterbrechungen in den amerikanischen Filmen verleideten es mir endgültig. Eigentlich konnte ich mich gleich erschießen. Das würde überhaupt das Beste sein: eins von Rodneys blöden Jagdgewehren nehmen und mir eine Kugel in den Kopf jagen. Peng und aus. Aber ich hasste Gewehre und ich konnte sowieso keiner Fliege was zu Leide tun, geschweige denn mir selbst. Dazu fehlte mir einfach der Mumm.

      So lag ich da, zerkratzte mir das Gesicht an den harten Halmen und hoffte, irgendwer dort oben würde mich aufheben, zwischen zwei Finger nehmen und zurücksetzen nach Deutschland, wie eine Figur in einem Schachzug.

      »Bitte, Großer Geist!«, murmelte ich voller Hingebung. Aber nichts dergleichen passierte. Vielleicht erhörte Wakan Tanka die Gebete von Weißen nicht, ich konnte es ihm nicht verübeln. Schließlich war er Indianer.

      Irgendwann wurde es zu heiß, um liegen zu bleiben, und dann hörte ich die Pferde wiehern. Ich richtete mich auf und setzte die Brille wieder auf meine Nase. In meinem Kopf drehte sich alles und ich sah Sterne tanzen. Die Pferde standen im Tal am Koppelzaun und sahen zu mir herüber. Wahrscheinlich machten sie sich Sorgen um mich. Ich machte mir