Lakota Moon. Antje Babendererde

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Название Lakota Moon
Автор произведения Antje Babendererde
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401801131



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aus, wie tot.

      Einige Schritte entfernt vom Haus, sah ich ein längliches rotes Gebäude mit hellem Blechdach und großem Tor. Das war vermutlich die Scheune, denn Rodney züchtete Pferde, so viel wusste ich zumindest schon. Und dann sah ich sie auch, die Tiere, ein Stück weiter unten in einem kleinen Tal, wo ein paar grüne Büsche wuchsen und sie Wasser und Schatten fanden.

      Was ich weit und breit nicht finden konnte, war ein anderes Haus, obwohl ich gestern Nacht Lichter gesehen hatte, bevor wir abgebogen waren. Sollten wir tatsächlich völlig allein hier draußen wohnen? Meine Mutter war zwar nicht von der ängstlichen Sorte, aber diese Einsamkeit war eine Herausforderung. Für uns beide. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. War die nächste Ortschaft 10, 20 oder 50 Meilen entfernt? Wo lag der Ort Kyle und wie kam ich dorthin, wenn ich im September zur Schule gehen musste?

      Zu Rodney Bad Hands Haus führte nur ein Feldweg. Was würde im Winter werden, wenn Schnee lag und Stürme tobten? Wo war das nächste Krankenhaus, wenn ich plötzlich eine Blinddarmentzündung bekommen sollte? Auf einmal wurde mir ganz schlecht bei all den vielen Fragen, deren Antworten sich so direkt auf mein Leben auswirken würden. Ich merkte, dass es eine Menge Dinge gab, über die ich mir bisher nie Gedanken gemacht hatte. Vieles war selbstverständlich für mich gewesen und jetzt war es das auf einmal nicht mehr. Ich war wütend, aber da war auch noch etwas anderes, das mich plötzlich beherrschte: Ich hatte Angst. Angst davor, dass Dinge mit mir geschehen würden, die ich nicht voraussehen und die ich nicht beeinflussen konnte.

      Ganz plötzlich überfiel mich heftige Sehnsucht nach Nina. Der Gedanke an sie trieb mir Tränen in die Augen und ich bekam Bauchschmerzen. Mit Nina hätte ich über alles reden können. Sie hätte mich verstanden und mit ihrer Hilfe hätte ich vielleicht eine Richtung gefunden, in die ich gehen konnte. Aber Nina war immer noch in Frankreich mit ihren Eltern und ich konnte sie nicht einmal anrufen. Mir würde nichts anderes übrig bleiben, als ihr einen langen Klagebrief zu schreiben.

      Der Abschied von Nina war schrecklich gewesen. Wir hatten einander gegenübergestanden wie Fremde. Keine Ahnung, wieso. Es war unser letzter Abend und in Ninas Zimmer stand ihre Reisetasche, fertig zur Abfahrt. Ihr Vater wollte nachts fahren, denn der Weg war weit bis ans Mittelmeer und die Hitze tagsüber unerträglich. Dabei hatten sie doch eine Klimaanlage in ihrem nagelneuen BMW.

      Nina fuhr nach Frankreich und der Flieger, der meine Mutter und mich nach Amerika bringen sollte, ging zwei Wochen später. Nina und ich, wir würden beide auf eine Reise gehen. Mit dem Unterschied, dass sie wiederkommen würde und ich nicht. Jedenfalls für eine sehr lange Zeit nicht.

      »Ich vermisse dich jetzt schon«, hatte ich gesagt. Nina war in Tränen ausgebrochen.

      Am Ende hatte ich ihr einen langen, verzweifelten Kuss gegeben und war wortlos gegangen.

      Die Erinnerung an diesen Abschied schmerzte, als würde jemand mein Inneres mit Sandpapier bearbeiten. Ich war innen wund und es tat verflucht weh. Es war ein tiefer, pochender Schmerz, der vielleicht niemals aufhören würde. Seit Nina und ich zusammen waren, hatte es keinen Tag gegeben, an dem wir uns nicht gesehen hatten. Und nun musste ich schon 16 Tage ohne sie auskommen. Von den Wochen und Monaten, die vor mir lagen, ganz zu schweigen.

      Ich ging duschen und zog meine alte Jeans und ein frisches T-Shirt an. Nachdem ich einen Blick in den kleinen Raum auf der anderen Seite des Flures geworfen hatte, der vollkommen leer war und noch keinen Fußboden hatte, tappte ich missmutig nach unten. Rodney saß in der Küche an einem großen hellen Holztisch und blätterte in seinem Terminkalender. Als ich kam, tat meine Mutter das Essen auf. Spaghetti mit Tomatensoße. Wahrscheinlich hatte Rodney nichts anderes im Haus.

      »Morgen«, brummelte ich und Rodney lachte mir freundlich zu. Langsam ging mir sein Grinsen mächtig auf die Nerven. Als ob sich was ändern würde, wenn er mich nur lange genug anlachte. Auf jeden Fall hatte ich keinen Appetit und stocherte lustlos in den Nudeln auf meinem Teller herum.

      »Hast du keinen Hunger?«, fragte meine Mutter.

      Nicht auf Spaghetti, wollte ich sagen, aber ich schüttelte nur den Kopf. Rodney redete was von Jetlag und dass ich spätestens morgen wieder normalen Appetit haben würde. Tja, dachte ich, vielleicht hat er Recht, aber was, wenn nichts da ist, worauf ich Appetit habe. Mann, war ich vielleicht beschissen dran. Ich sollte von nun an hier zu Hause sein, würde aber garantiert ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich auch nur die Kühlschranktür öffnete.

      »Magst du Toast?«, fragte Rodney. »Oder vielleicht Cornflakes?«

      Ich nickte überrascht. Konnte er etwa Gedanken lesen? Ich sah ihn an und zum ersten Mal sah ich ihn wirklich. Er hatte eine große Nase und narbige Wangen. Seine Augen waren dunkelbraun, fast schwarz und ich wette, das gefiel Mom. Die langen schwarzen Haare auch. Rodney war schon 44, also fast zehn Jahre älter als meine Mutter, hatte aber noch kein einziges graues Haar auf dem Kopf. Zugegeben, er war eine beeindruckende Erscheinung und vermutlich genau das, wonach meine Mom immer Ausschau gehalten hatte. Der Mann ihrer Träume sozusagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie einander begegneten, hatte schätzungsweise eins zu einer Million gestanden. Aber es war passiert. Das Schicksal hatte die beiden zusammengeführt und mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.

      Rodney war mit einer kleinen Delegation Lakota-Indianer nach Deutschland gekommen, um sich über die Möglichkeiten der Verarbeitung von Nutzhanf zu informieren. Dabei war er ausgerechnet in dem ökologischen Baustoffbetrieb gelandet, in dem Mom damals arbeitete. Zwischen den beiden hatte es sofort gefunkt. Meine Mutter hatte ihn einmal mit nach Hause gebracht und für ihn gekocht. Ich hatte das als nette Geste gesehen und nicht als Bedrohung für mein zukünftiges Leben.

      Rodney stand auf, öffnete sämtliche Küchenschränke, die hell und neu waren, und zeigte mir, wo sich was befand. Es war eine Menge da, auch der Kühlschrank war gut gefüllt. »Du kannst dir natürlich alles nehmen, Oliver, du bist jetzt hier zu Hause«, sagte er. »Wenn du was aufbrauchst, dann schreib es auf einen Zettel. Damit der, der einkaufen fährt, Bescheid weiß. Okay?«

      »Okay«, sagte ich und füllte mir eine Schüssel mit Cornflakes. Meine Mutter sah mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. Vielleicht dachte sie, dass ich krank war, denn Cornflakes hatte ich das letzte Mal zu mir genommen, als mein Vater noch bei uns lebte. Aber was sollte ich machen, mir war nun mal danach.

      Als Rodney mit seinen Spaghetti fertig war, wandte er sich an mich und sagte: »Ich habe ein paar Dinge zu erledigen und würde gern Susan und dir dabei ein Stück vom Reservat zeigen. Wie sieht’s aus, Kumpel, hast du Lust?«

      Ich war nicht sein Kumpel und nach berauschenden Abenteuern klang das auch nicht. Aber wenn ich allein hier blieb, würde es noch langweiliger werden. Vielleicht verschaffte mir die Fahrt eine Vorstellung davon, wo ich hingeraten war. Ich nickte also.

      »Hoka hey«, Rodney schlug mit beiden Handflächen auf die Tischplatte. »Auf geht’s!«

      Ich half meiner Mutter das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. Dass Rodney eine Spülmaschine hatte, fand ich ganz okay. Zu Hause war ich nämlich oft mit dem Abwasch dran gewesen. Außerdem fand ich es beruhigend, zu wissen, dass Rodney ein fortschrittlicher Indianer war. Hätte ja auch sein können, er stand auf Traditionen und all diesen Kram und wir hätten jeden Tag das Wasser aus einem Brunnen heranschleppen müssen. Nein, ich war froh, dass es dieses Haus gab, obwohl es noch nicht fertig war. Und die Spülmaschine war auch okay. Aber das war dann auch schon alles. Der Rest war einfach vollkommen daneben.

      3. Kapitel

      »Hoka hey, auf geht’s, waren also die ersten Lakota-Worte, die ich lernte. Draußen haute mich die Hitze beinahe um. Ich hatte nicht gedacht, dass es so heiß werden konnte in dieser Gegend. Drinnen im Haus war es angenehm kühl gewesen, obwohl die Räume keine Klimaanlage hatten. Jedenfalls hatte ich keine gesehen.

      Rodney bemerkte meine Überraschung und wieder machte sich ein Lachen auf seinem Gesicht breit. »Ganz schön heiß hier, was? Aber im Haus merkst du nichts davon. Das liegt an der guten Isolation. Dieses Haus ist eines der ersten Hanfhäuser im Reservat. Ein Pilotprojekt, sozusagen. Die ehemalige Firma deiner Mutter hat einen Teil davon gesponsert.