Lakota Moon. Antje Babendererde

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Название Lakota Moon
Автор произведения Antje Babendererde
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401801131



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zum Horizont.

      Der Anblick traf mich völlig unvorbereitet und ich wusste nicht, ob ich diese karge Mondlandschaft schön oder beängstigend finden sollte. »Was, zum Teufel, ist denn das?«, fragte ich.

      »Das sind die Badlands«, erklärte Rodney. »Wir Lakota nennen sie Maco Sica. Ein großer Teil der Badlands ist Nationalpark. Eine Hälfte gehört zum Reservat, der Rest liegt außerhalb. Jahrmillionen stetiger Erosion haben diese Landschaft geformt. Hier gibt es auch eine Menge Fossilien. Man hat herausgefunden, dass die ältesten 35 Millionen Jahre alt sind.«

      »Es sieht wunderschön aus«, sagte meine Mutter. »Wie ein Märchenland.«

      »Im Herbst, wenn es tagsüber kühler ist, werde ich eine Tour mit euch machen«, versprach Rodney. »Aber jetzt ist es viel zu heiß in diesen Tälern, das ist gefährlich.«

      Nach einer Weile öffnete sich eine weite grüne Ebene vor unseren Augen. Und dann sah ich sie: echte Bisons. Riesige schwarze Kolosse, die einfach so frei herumliefen. Büffelmütter mit ihren kleinen hellbraunen Kälbern. Es waren viele, bestimmt hundert, eine richtige Herde. Mom klatschte vor Begeisterung in die Hände.

      »Diese Herde gehört dem Stamm«, sagte Rodney. »Aber es gibt auch noch kleinere Herden im Reservat, die einzelnen indianischen Büffelzüchtern gehören.«

      »Sind die Viecher gefährlich?«, fragte ich.

      »Eigentlich nicht«, erwiderte Rodney. »Aber wenn die Kühe Kälber haben, sollte man ihnen aus dem Weg gehen. Und mit den alten Büffelbullen ist auch nicht zu spaßen. Also, versuch lieber nicht einen von ihnen zu streicheln.«

      Irgendwann wies ein Schild darauf hin, dass wir das Reservat verlassen hatten, und einige Zeit später kamen wir durch Scenic, eine alte, halb verlassene Westernstadt. Es gab nur ein paar Bretterbuden links und rechts der Straße. Was schließlich meine Neugier weckte, war ein Bau mit dieser typischen Bretterwand über dem Eingang, wie ich sie aus alten Western kannte. Unzählige Rinderschädel waren darauf angebracht. »Longhorn Saloon«, prangte in großen schwarzen Buchstaben auf den ehemals weiß gestrichenen Brettern.

      Ein alter Indianer mit strähnigem, langem Haar stand wankend an einen der Stützbalken vor dem Saloon gelehnt. Offensichtlich war er schwer betrunken und konnte sich kaum noch aufrecht halten.

      Dann waren wir auch schon raus aus dem Ort.

      Rodney brummelte wütend. »Im Reservat ist der Besitz und das Trinken von Alkohol verboten, aber hier, in solchen Grenzstädten wie Scenic, bekommen die Leute ihren Alkohol. Schon am Vormittag sind sie sturzbesoffen. Es ist zum Heulen.«

      »Verbote nützen erfahrungsgemäß nicht viel«, sagte Mom. »Das habe ich bei Ollis Erziehung gelernt.«

      Ich warf ihr einen missmutigen Blick zu. Was sollte das nun wieder?

      »Vielleicht hast du Recht«, erwiderte Rodney. »Das Verbot ändert nichts. Es sorgt nur dafür, dass die Bootleggers, die illegalen Alkoholhändler, immer was verdienen, die Stammespolizei beschäftigt ist und die Gefängnisse im Reservat ständig überfüllt sind.«

      »Man kommt ins Gefängnis, bloß weil man Alkohol getrunken hat?«, fragte ich erstaunt.

      »Ja. Es wird nicht mal ein Test gemacht. Erwischen sie dich mit einer Alkoholfahne, bekommst du eine Anzeige oder du gehst für acht Stunden in den Knast.«

      »Und Amerika soll ein freies Land sein«, sagte ich missbilligend.

      »Das Res ist nicht Amerika, Oliver. Wie der Name schon sagt, das Res ist der Rest von Amerika.«

      »Warum gehst du dann nicht weg? Es hält dich doch niemand fest im Reservat.«

      »Da hast du wohl Recht. Aber so einfach, wie du es sagst, ist es für jemanden wie mich nicht. Ich bin im Reservat geboren, nicht weit entfernt von jener Stelle, wo jetzt unser Haus steht. Ich bin dort aufgewachsen, es ist mein Zuhause. Auch wenn du im Augenblick vielleicht die Schönheit des Landes nicht erkennen kannst, sie ist für immer in meinem Herzen. Ich liebe dieses Land und es liebt mich. Dort draußen aber, in der Welt der Weißen, gibt es niemanden, der auf einen wie mich wartet. Sie mögen uns Ureinwohner nicht, die Wasicun, daran hat sich in mehr als 500 Jahren nichts geändert. Aber im Reservat lebt meine Familie und die braucht mich. Genau so, wie ich sie brauche. Verstehst du?«

      »Hm«, sagte ich. Irgendwie konnte ich es verstehen, aber nicht nachvollziehen. Wie konnte man freiwillig an einem Ort bleiben, an dem man von vorneherein keine Chance hatte, etwas zu bewirken oder in irgendeiner Weise voranzukommen? Das wollte mir einfach nicht in den Kopf.

      4. Kapitel

      In Rapid City, einer Stadt mit knapp 60 000 Einwohnern, gab es nur ein einziges Hochhaus. Es war das Rapid City Regional Hospital, ein moderner, ziemlich hässlicher Bau mit elf Stockwerken. Außer ein paar überdimensionalen Straßenkreuzungen, Supermärkten, Tankstellen, vielen Hotels und Fastfood-Restaurants hatte die Stadt nicht viel zu bieten. Alles war riesig und überraschend einfallslos. Ich hatte etwas anderes erwartet.

      Das nahe Beieinander von Armut und Reichtum haute mich bald um. Da gab es Straßen, deren Häuser sich von denen im Reservat nicht im Geringsten unterschieden. Indianer, die herumstanden und um Dollars bettelten. Und gleich daneben auf einmal ein protziger Bau wie eine historische Villa oder ein Schloss. Ausgesprochen kitschig, weil es nicht in die Gegend passte. Und davor ein Auto so lang wie ein Bus, mit verspiegelten Scheiben natürlich.

      Irgendwann wurde mir klar, dass Rapid City eigentlich gar keine richtige Stadt war, jedenfalls nicht so, wie ein Europäer sich eine Stadt vorstellen würde. Es gab kein Zentrum, nur eben eine Hauptstraße mit etlichen Kreuzungen und ein paar alten Häusern. Die Straßen schienen hier sowieso das Wichtigste zu sein.

      Rodney stellte den Van auf dem Parkplatz vor einem Einrichtungshaus ab und meine Mutter kaufte ein. Ich nahm mal an, dass es unser Geld war und nicht Rodneys, das sich da in Holzregale, Stühle und einen Tisch verwandelte. Rodney nickte zu allem, wenn Mom seine Zustimmung wollte. Außerdem kam noch eine Menge anderer Kram dazu. Vorhänge, ein Teppich, Lampen . . . bis Rodney meiner Mutter eine Hand auf den Arm legte und sagte: »Warte doch erst einmal ab, bis wir verheiratet sind. Zur Hochzeit bringen alle einen Haufen Geschenke. Sie werden enttäuscht sein, wenn du schon alles hast.«

      Das überzeugte meine Mutter schließlich und sie gab sich zufrieden. Voll beladen, traten wir den Heimweg an.

      Mit einer Engelsgeduld baute Rodney für Mom die Regale und den Tisch zusammen und schob mit ihr alles so lange von einer Ecke zur anderen, bis sie zufrieden war. Manchmal erwischte ich Rodney, wie er hinter ihrem Rücken die Augen verdrehte, aber er beschwerte sich nicht. Für seine Geduld bewunderte ich ihn.

      Und meine Mutter bewunderte ich auch. Sie schaffte es in kürzester Zeit, die Räume behaglich einzurichten, und das mit den wenigen Mittel, die ihr zu Verfügung standen. In solchen Dingen war sie einfach spitze. Dank meiner Mom fühlte ich mich in Rodneys Haus bald zu Hause.

      In der darauf folgenden Woche war meine Mutter mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt. Noch einmal machten wir den weiten Weg nach Rapid City, um im Walmart frische Lebensmittel einzukaufen, weil es dies und das im Sioux-Nation-Supermarkt in Pine Ridge angeblich nicht gab.

      Irgendwann, wir befanden uns gerade in einem besonders ärmlichen Wohnviertel, das mich sehr an die Siedlungen im Reservat erinnerte, hielt Rodney vor einem Trailer und sagte: »Bin gleich wieder da.«

      Meine Mutter schien zu wissen, was er hier wollte, und jetzt drehte sie sich zu mir um, weil sie wohl das Gefühl hatte, mir etwas sagen zu müssen.

      »Wir sind nicht nur zum Einkaufen in Rapid City«, sagte sie, ausnahmsweise mal auf Deutsch.

      Ich sah sie nur fragend an.

      »Rodney holt seinen Freund ab. Er soll unser Trauzeuge sein. Wir werden uns heute standesamtlich trauen lassen.«

      Ich schluckte. Meine Mutter war immer so entwaffnend ehrlich. Es dauerte eine Weile, bis ich ihre Auskunft verarbeitet und meine Sprache