Название | Die Kunst ist das Einzige, was bleibt |
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Автор произведения | Sinda Dimroth |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957801944 |
Hermann Bode besuchte das Bauhaus erst in Weimar, dann in Dessau und stand in regem Kontakt mit dem Architekten Walter Gropius. Um seiner Kunstsammlung einen entsprechenden Rahmen zu geben, erbaute er ein Haus im Bauhausstil. Nach dem häufigen Wechsel der Reichskanzler in der Zeit der Weimarer Republik erhoffte er sich von Adolf Hitler, dass dieser die Ordnung im Land wiederherstellen würde, obwohl er dessen politischer Einstellung ambivalent gegenüberstand. Bode war kein Mitglied der NSDAP. Die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten und die Einschränkung der Kunstfreiheit widersprachen seinen Grundsätzen. Nachdem der Sammler die Ausstellung »Entartete Kunst« in München besucht hatte, verfasste er einen Essay, in dem er die verfemten Künstler verteidigte und die Rückkehr ihrer Werke in die Museen forderte. Bis zum Tod von Kurt, dem Sohn seiner Frau aus erster Ehe, war er loyal gegenüber der Reichsregierung. Der 22-Jährige hatte regimekritische Flugblätter verteilt und wurde zum Tode verurteilt. Als der jüngere Sohn Sindbert vier Wochen nach dem Bruder im Krieg ums Leben kam, brach für Bode die Welt zusammen. In einem Gedicht verdichten sich seine ganze Verzweiflung und die christliche Überzeugung, dass der wahre Mensch ein Leidender ist.
Nach 1945 bescherte das Wirtschaftswunder den Pelikan-Werken eine Blütezeit und der Familie Wohlstand. Bode beschenkte das Landesmuseum Hannover mit einem abstrakten Bild von Kandinsky, weitere Bilder gab er als Dauerleihgaben in das spätere Sprengel Museum. Zusammen mit Alexander Dorner besuchte er zahlreiche Ateliers und verfolgte mit Interesse, die verschiedenen Richtungen der Nachkriegskunst. Seine Tochter Maria, eine renommierte Gartenarchitektin, bereicherte sein Kunstverständnis um den Aspekt der Gartenkunst. Nach dem Tod von Hermann Bode wurde seine Sammlung zwischen der Ehefrau und den Töchtern aufgeteilt, deren Nacherben verkauften den Großteil der Bilder. Das Sprengel Museum, das Auktionshaus Villa Grisebach und der Kunsthändler Ernst Beyeler waren am Verkauf beteiligt. Der Konkurs des Familienunternehmens Pelikan, das Generationen von Schülern mit Farben und Füllern versorgt hat, markiert das Ende einer Ära.
Die Nationalsozialisten haben die Mehrheit der Werke von »Entarteter Kunst« verkauft. 74 Jahre nach dem Krieg versucht man die ehemaligen Eigentümer oder deren Erbberechtigte ausfindig zu machen. Der lange Weg der Restitution wird am Beispiel von zwei Bildern aus der Sammlung Lissitzky-Küppers in diesem Buch beschrieben.
Kunst hat sich als sichere Anlageform erwiesen, ein Wertzuwachs um das Vierhundertfache des Kaufpreises innerhalb von 20 Jahren ist im Kunsthandel nicht selten. Der Kapitalismus hat sich der Kunst bemächtigt, sie wurde ihrer Autonomie beraubt und wird als globale Währung gehandelt. Am Beispiel der Kunstsammlung Bode wird erkennbar, welchen erstaunlichen Wertschwankungen die Kunst der Moderne innerhalb der letzten 100 Jahre unterworfen war. Analysiert man den Umgang mit Kunst unter dem Gesichtspunkt der Vergegenständlichung gesellschaftlicher Tendenzen, dann wird eine erschreckende Banalisierung sichtbar.
Die Ansichten von Bode sind nicht in jedem Fall gleichbedeutend mit denen der Autorin. Aus 92 Briefen wurden zahlreiche Zitate in wörtliche Reden umgewandelt. Alle im Buch verwendeten Texte, Gedichte und Aufzeichnungen entstammen dem Familienarchiv und den Büchern von Hermann Bode. Die Rechte hierfür wurden recherchiert und erworben.
Sinda Dimroth 2020
Stammbaum der Familie Bode
Das erste Bild von Steinhude
1956
Die beiden Mädchen hatten ihre schönsten Kleider in ein Köfferchen gepackt und waren mit den Worten verabschiedet worden: »Haltet Euch gerade, macht ein freundliches Gesicht und benehmt Euch anständig.« Es war ein schwül-heißer Tag Ende Juli, als sich der Zug ruckartig in Bewegung setzte. Selma war neun Jahre alt und durfte erstmals mit ihrer 17-jährigen Schwester Ruthilde in den Sommerferien nach Hannover reisen, um den Großvater Bode am Steinhuder Meer zu besuchen. Die Mutter hatte ihnen Hasenbrote eingepackt, das waren mit Rotwurst bestrichene Graubrotscheiben, dazu gab es kalten Tee aus einer Thermoskanne. Die Kinder waren aufgeregt und verfolgten durch die verschmutzten Fensterscheiben die vorbeiziehende Landschaft. Beide hatten als Reiselektüre ein Buch eingepackt, in das sie keinen einzigen Blick warfen, weil so viele Eindrücke auf sie einstürmten.
Steinhude war für die Schwestern ein märchenhafter Ort, der in den Erzählungen der Mutter eine wichtige Rolle spielte. Schon bald sollten sie die Möglichkeit bekommen, das Bild, das sie sich in ihrer Vorstellung gemacht hatten, mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Nachdem die Hälfte der Reise hinter ihnen lag, gab es einen längeren Aufenthalt auf offener Strecke. Für die Steigung in der vor ihnen liegenden Rhön wurde am Anfang und am Ende des Zuges eine Lok angekuppelt, trotzdem blieb er in der Mitte eines Tunnels stecken. Die Lokomotiven bliesen ihren Rauch in die Tunnelröhre, die Fenster hatte man geschlossen, dennoch drangen giftige Gase ins Abteil. Als dann auch noch die Lichter ausgingen, saßen die Fahrgäste in undurchdringlicher Dunkelheit, die Luft war heiß und der Rauch machte das Atmen schwer. Ab und zu hörte man den schrillen Pfiff einer Dampflok, das wirkte gespenstisch, deshalb griff Ruthi nach der Hand der kleinen Schwester. Eine tiefe Stimme sagte aufmunternd: »Es wird bestimmt gleich weitergehen.« Die Reisenden sahen außerhalb des Zuges einen Beamten mit seiner Taschenlampe vorüberlaufen, er hielt sich ein Tuch vor Mund und Nase. Mit seinem Licht verschwand die Möglichkeit, etwas zu sehen. Die Mädchen blickten mit weit geöffneten Augen in ein tiefes Schwarz. Selma bekam Angst, sie und ihre Schwester waren in einem Albtraum gefangen. Niemand sagte ein Wort, schicksalsergeben waren alle Fahrgäste darum bemüht, genügend Sauerstoff einzuatmen.
Nach einer Stunde kam der Schaffner mit einer Laterne in den Wagen und teilte mit, dass man eine neue Lok angefordert habe, um den Zug aus der Röhre zu ziehen. Im Abteil neben den Mädchen saß eine dicke Alte, die auf ihrem Schoß einen Käfig festhielt, in dem noch kurz zuvor ein Kanarienvogel erregt von Stange zu Stange gehüpft war. Nun konnte man im Schein der Lampe sehen, dass er, die Flügel ausgebreitet, mit aufgerissenem Schnabel auf dem Käfigboden lag. »Der machts aber nimmer lang«, sagte der Schaffner, woraufhin die alte Frau zu weinen anfing. Ruthi, die selbst drei Kanarienvögel zu Hause hatte, holte ihn vorsichtig aus dem Käfig und folgte dem Lichtschein bis zur Toilette. Dort ließ sie Wasser ins Becken laufen und setzte das erschöpfte Tier hinein. »Du kommst jetzt sicher allein zurecht«, brummte der Beamte und entfernte sich mit der einzigen Beleuchtung. Nachdem der Vogel Wasser getrunken hatte, war er erfrischt und flatterte orientierungslos in dem engen Raum um Ruthis Kopf. Als er sich in den wilden Locken des Mädchens verfing, konnte sie ihn greifen, um zu ihrem Sitzplatz zurückzukehren. In der einen Hand den Vogel, dessen Herz heftig pochte, suchte sie mit der anderen den Weg zum Abteil, wo das verängstigte Tier gerne in seinen Käfig zurück hüpfte. Ruthi tastete nach der Schwester, die ihr den Rest des kalten Tees überließ. Es kam den Reisenden wie eine Ewigkeit vor, bis wieder ein Pfiff ertönte und sich der Zug langsam in Bewegung setzte. Als er die Tunnelröhre verließ, waren die Fahrgäste geblendet vom Sonnenlicht und hatten rußige Gesichter. Die Fenster wurden aufgerissen, die Vorhänge blähten sich im Fahrtwind und die Reisenden sprachen erleichtert über ihre Gefühle, die sie vorher für sich behalten hatten. Die Alte mit dem Vogelkäfig murmelte: »Gegrüßet seist du, Maria voll der Gnade, der Herr ist mit Dir.«
In Hannover entstiegen die Münchner Kinder in ihren verdrückten Sommerkleidern dem Zug und sahen Ilse, die zweite Frau ihres Großvaters, den Bahnsteig entlanglaufen. Sie war ganz in Weiß gekleidet und hatte weiße Stoffschuhe an. »Kommt schnell, ich habe keinen Parkplatz gefunden«, rief sie, griff sich Selmas Pappkoffer und eilte dem Ausgang zu. Vor dem Haupteingang des Bahnhofs, mitten in der stark befahrenen Straße, parkte ein silbernes Mercedes Cabriolet, mit zwei Rädern auf einer Straßenbahninsel. Neben dem Fahrzeug stand ein Polizist und dirigierte den Verkehr um das Hindernis herum. Ilse reichte ihm einen Geldschein, die Kinder sprangen in den offenen Wagen und los ging die Fahrt. Die Großmutter winkte aus dem geöffneten Verdeck und erklärte: »Ich konnte nirgendwo parken, deshalb habe ich mich auf die Verkehrsinsel gestellt und dem Schupo gesagt, dass er