Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Wirtschaftsgebäude.

      Über Flure und verwinkelte Gassen zwischen den Bauten konnte man die restlichen Gebäude des Klosters erreichen, die zum Teil frei und fernab der Kirche standen. Lager und Tierställe befanden im Osten, in unmittelbarer Nähe der meisten Wirtschaftsgebäude. Selbst hier kannte Faolán einige Ecken und Löcher, wo er sich vor seinen Widersachern verstecken konnte. Der Gestank in den Ställen war zwar widerlich, doch dafür suchten Drogos Anhänger hier nicht so eifrig nach ihm.

      An jenem Markttag lief Faolán am Mönchsfriedhof mit den Obstbäumen vorbei, weiter zu den Gemüsegärten, die sich im Nordosten befanden, in Richtung Kräutergarten, der direkt an das Hospital anschloss. Gedankenversunken folgte er den weniger frequentierten Wegen, um sich vor Drogo zu verstecken.

      Ungesehen gelangte er auf einen kleinen Hügel hinter dem Hospital, wo er sich niederließ. Zufrieden schaute er in die herbstlich bunten Kronen der Laubbäume, die sich jenseits der Klostermauer sanft im Wind wiegten. Faolán war allein. Weit und breit war niemand zu sehen. Das Rauschen des Windes trug seine Gedanken davon und er vergaß seine Umgebung. Ohne dass er es bemerkte, nahm er einen dünnen Ast und begann damit Linien in den sandigen Erdboden zu ritzen.

      Nach einer Weile registrierte er, was er tat und erblickte ein scheinbar wirres Bild aus unregelmäßigen Strichen. Faolán betrachtete es genauer und erkannte mit Freude ein Abbild der Klosterkirche im sandigen Boden. Erst vor kurzem hatte er seine Begabung für das Zeichnen entdeckt. Nachdem er die Illustratoren in der Schreibstube lange beobachtet hatte, begann er mit seinen ersten Versuchen. Da er weder Pergament noch Feder zur Hand hatte, waren seine ersten Bilder, wie auch jetzt, Zeichnungen im Sand gewesen. Schnell vergänglich und überall möglich. Erstaunt darüber, wie leicht es ihm selbst unbewusst von der Hand ging, wollte Faolán dieses Talent als sein Geheimnis hüten.

      Weshalb er das wollte, wusste er nicht. Vielleicht wollte er die besondere Befriedigung, die er bei einem gelungenen Bild empfand, mit niemand teilen. Die Freude darüber war nur seine eigene. Er wollte sie sich von keinem Menschen nehmen lassen, der es womöglich kritisieren könnte.

      Gerade als Faolán das Abbild mit ein paar schnellen Bewegungen verwischen wollte, traf ihn etwas mit Wucht an der Stirn. Schmerz durchfuhr seinen Schädel und Flüssigkeit rann ihm in die Augen. Sogleich wischte er die klebrige Nässe weg, um sehen zu können, wer dafür verantwortlich war. Doch das war nicht notwenig, denn unmittelbar nach dem Treffer folgte jenes unverwechselbare, gehässige Lachen, das Faolán wohl vertraut war und nur eines bedeutete: Drogo hatte ihn aufgespürt!

      Leise verfluchte Faolán seine Nachlässigkeit und wischte sich die Reste des Geschosses aus dem Gesicht. Es war ein halb verfaulter Apfel, dessen süßer Saft ihm nun im Gesicht und an den Händen klebte. Faolán erhob sich, um sich dem zu stellen, was jetzt folgen würde. Angespannt blieb er an Ort und Stelle stehen, und beobachtete Drogo, der langsam den kleinen Hügel heraufkam. Ein schadenfrohes Grinsen zeigte sich auf dessen Gesicht und Drogos Hände spielten mit einem weiteren Apfel. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Faolán auch diesen zu spüren bekäme.

      Oben angelangt, baute sich Drogo vor seinem Opfer auf, jederzeit bereit zuzuschlagen. Faolán versuchte die aufsteigende Angst zu unterdrücken. Seine Gedanken kreisten um die Frage, was Drogo als nächstes tun würde. Weit und breit war kein Mönch oder älterer Novize zu sehen, der ihn hätte schützen können. Faolán war verloren!

      Angsterfüllt suchte er nach einem Ausweg. Während er langsam zurückwich, erkannte er ein weiteres Unheil: Zwei von Drogos Handlangern! Sie warteten am Fuße des Hügels, versperrten den Abhang und verhinderten so jede Flucht. Nur wenige Schritte hinter Faolán befand sich die Klostermauer. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Wie in seinem Albtraum war er eingekesselt.

      „Die kleine Ratte hat endlich mal eines ihrer Löcher verlassen! Oder hast du etwa geglaubt, ich hätte aufgehört, nach dir Ausschau zu halten? Du bist wohl etwas übermütig geworden, was? Oder warst du einfach nur gutgläubig und dumm, wie immer?“, höhnte Drogo.

      Faolán ließ sich zu keiner Antwort hinreißen.

      „Willst du mir nicht antworten oder hast du meine Fragen nicht verstanden? Dumm und stumm wie immer, nicht wahr?“

      Drogo schaute den Hang hinab, zu seinen Mitläufern, um sich ihrer Zustimmung zu versichern. Wie auf ein vereinbartes Zeichen hin begannen sie kurz und laut aufzulachen. Es war ein einstudiertes Lachen, dem jede Heiterkeit fehlte und nur Drogo zufrieden stellen sollte. Selbstgefällig widmete der sich wieder seinem Opfer: „Du solltest inzwischen wissen, wen du vor dir hast. Wenn ich dich etwas frage, so hast du mir Rede und Antwort zu stehen! Andernfalls muss ich es als Missachtung der Obrigkeit deuten. Du hast zu tun, was ich dir befehle! Schließlich bin ich der Sohn des Grafen.“

      „Bist du nicht!“, protestierte Faolán überraschend. Dem selbst ernannten Grafensohn stand der Mund offen. Ungläubig starrte er den schwächlichen Knaben vor sich an. Mit einer Widerrede hatte er nicht gerechnet.

      „Was hast du da eben gesagt?“, fragte Drogo wütend, obwohl er und sein Gefolge nur zu gut verstanden hatten. Die beiden Getreuen waren ebenfalls überrascht und wussten nicht, was sie von Faoláns Ausspruch halten sollten.

      Drogo berappelte sich schnell wieder. „Das nennt man Aufsässigkeit gegen den Dienstherrn. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Bestrafung!“

      Faolán wich einen Schritt zurück, als Drogo auf ihn zukam und dabei mit seinem Fuß auf die Zeichnung im Sand trat. Er entdeckte sie erst jetzt. Schnell hob er sein Bein, als sei er in einen Haufen Dung getreten.

      Verwundert beugte er sich nach vorne und starrte auf die Linien, die für ihn keinen Sinn zu ergeben schienen. Erst als er seinen Kopf drehte, erkannte er das Abbild der Klosterkirche. Für einen kurzen Augenblick gab sein Gesichtsausdruck Überraschung und auch Bewunderung preis, doch dann zeigte es wieder Hass und Hohn. „Ich wusste gar nicht, dass wir einen neuen Illustrator in unserer Abtei haben!“

      Drogo stimmte ein sicheres Lachen an, als habe er soeben die humorvollste Bemerkung seit Anbeginn des Klosters von sich gegeben. Da seine Anhänger das Abbild im Sand jedoch nicht sehen konnten, wussten sie nicht, was Drogo meinte. Statt johlender Zustimmung erntete Drogo diesmal nur fragende Blicke. Sein eigenes Lachen erstarb daraufhin wieder. Schlagartig zogen sich seine Mundwinkel wütend nach unten.

      „Ein Illustrator willst du also sein, ja? Ich muss dich enttäuschen. Daraus wird wohl nichts. Wer will schon einen kleinen, schwächlichen Aufsässigen in kostbare Bücher schmieren lassen? Nein. Dein Platz ist in den Rattenlöchern des Kellers und dort wirst du auch bleiben.“

      Dann trat Drogo immer wieder nach der Zeichnung, als würde er den Urheber selbst treten. Sand stob nach allen Seiten, und bald befand sich statt des Abbilds nur noch ein Loch in der weichen Erde.

      „Soviel zu deinen Träumen, kleine Ratte!“ Drogo spuckte verächtlich aus und schritt über das Loch hinweg auf Faolán zu. „Und jetzt wieder zu dir!“

      Wütend ließ er den zweiten Apfel fallen, ballte seine Fäuste und holte zum Schlag aus. Faolán konnte nicht weiter zurück. Er stand bereits direkt vor der Mauer. Nur noch wenige Herzschläge und er würde die harten Fäuste in seiner Magengrube spüren. Er machte sich auf alles gefasst. Jeder einzelne seiner Muskeln spannte sich an. Seine Arme hatte er schützend vor Brustkorb und Gesicht erhoben, um wenigstens den ersten Schlag abfangen zu können.

      Doch bevor Drogo seinen ersten Treffer landen konnte, vernahm Faolán einen merkwürdig dumpfen Laut und ein Stöhnen. Er traute seinen Augen nicht: Drogo lag vor ihm auf der Erde und wälzte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Was war geschehen? Verwirrt blickte Faolán sich um, ob Drogo über eine Wurzel oder einen Stein gestolpert war, doch nichts war zu sehen. Hatte Gott ihn am Ende gar selbst niedergestreckt?

      Drogo schüttelte benommen seinen Kopf. Er rieb sich die eine Seite, wo ihn etwas getroffen hatte. Faolán suchte danach, und da bemerkte er einen Apfel, der hüpfend den Hügel hinunterkullerte. Im Vergleich zu Drogos Geschoss war dieser größer und härter. Noch bevor Drogos Wachhunde begriffen, weshalb ihr Anführer zu Boden gegangen war, wurden auch sie zu Zielscheiben. In schneller Abfolge prasselten Äpfel auf sie nieder. Durch Drogos