Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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zugetraut.

      „Weshalb nicht? Je früher du damit beginnst, umso leichter wird es dir später von der Hand gehen. Komm’, ich zeige es dir.“

      Noch immer etwas skeptisch folgte Svea der alten Frau in den kleinen Kräutergarten. Nachdem sie zunächst nur Alveradis’ Erklärung gelauscht hatte, fand sie Vertauen zu der Alten und begann schon bald selbst in den Beeten zu arbeiten. Sie schnitt die Pflanzen, wie sie es gezeigt bekam, und legte sie in einen Korb. Die vielen Kräuternamen konnte sie allerdings nicht behalten, doch das war ihr auch nicht so wichtig. Sie genoss vielmehr das Vertrauen, das ihr entgegengebracht wurde, und vergaß darüber ganz ihre Schweine, wie auch die Zeit.

      Als die Schatten lang geworden waren, schrak sie auf.

      „Oje, es ist schon spät. Ich muss nach Hause. Wahrscheinlich bekomme ich Schläge von meinem Vater.“

      „Keine Sorge, ich werde dir etwas mitgeben, das Ulf für deine Verspätung entschädigen wird.“

      „Du kennst meinen Vater?“

      „Nicht nur ihn. Ich kenne auch deine Brüder. Und ich kannte deine Mutter.“

      Plötzlich ahnte Svea, wem sie die ganze Zeit geholfen hatte. Unsicher, ob sie darüber tatsächlich Gewissheit haben wollte, versuchte sie die Frage zu stellen: „Bist … bist du etwa … diese Frau, die …?“

      „Wenn du wissen willst, ob ich bei deiner Geburt geholfen habe: Ja, das habe ich. Ich bin eine Heilerin, und manche bezeichnen mich auch als weise Frau.“

      „Eine Heilerin …“, staunte Svea mit offenem Mund und betrachtete die Frau mit neuen Augen von Kopf bis Fuß. „Aber wenn du eine Heilerin bist, weshalb …?“

      Sie wagte diese Frage nicht zu Ende zu stellen. Doch Alveradis wusste, was Svea wissen wollte. „Meine Kräuterkunde hat zwar schon so manchen Kranken wieder auf die Beine geholfen, bei deiner Mutter war ich jedoch machtlos. Sie war zu schwach und die Blutungen waren zu stark. Deine Mutter konnte ihren letzten Kampf nicht gewinnen.“

      „Dann ist es also wahr?“, fragte Svea betrübt.

      „Was soll wahr sein?“

      „Dass ich am Tode meiner Mutter schuld bin?“

      „Wer hat dir denn das erzählt?“

      Svea antwortete nicht, sondern starrte nur traurig auf den Erdboden. Alveradis ahnte, an wen Svea dachte und wurde zornig. „Dieser Ochsenkopf von einem Mann! Wenn ich Ulf das nächste Mal sehe, werde ich ihm verbieten, dir solche Lügen zu erzählen.“

      Nachdem sie ihrem Unmut Luft gemacht hatte, kniete sich die Heilerin vor Svea nieder, strich ihr zärtlich über die Wange und tröstete sie: „Svea, mein Kind, du trägst am Tod deiner Mutter keine Schuld. Niemand trägt hierfür die Schuld. Es ist geschehen. Niemand konnte es verhindern. Trage nicht solch schwere Gedanken in dir. Hör mich an: Du solltest wissen, dass dich deine Mutter immer geliebt hat.“

      „Aber sie hat mich doch gar nicht gekannt. Sie ist doch gleich nach meiner Geburt gestorben.“

      „Das stimmt. Aber vorher hat sie dich lange Zeit unter ihrem Herzen getragen. Näher kann man seiner Mutter nicht sein. Nach ihren vielen Söhnen hatte sie sich endlich eine Tochter herbeigesehnt. Und sie war überglücklich, dich nach der Geburt im Arm halten zu können.“

      „Sie hat mich im Arm gehalten?“

      „Natürlich!“, stellte Alveradis überrascht fest. Dann begriff sie. „Vielleicht hätten dir deine Brüder genauer erzählen sollen, wie es sich damals zugetragen hat. Georg weiß alles. Er hat bei deiner Geburt geholfen.“

      „Das weiß ich, und er hat mir davon auch schon viele Male berichtet. Doch dass mich Mutter im Arm gehalten hatte, das hat er niemals erwähnt …“

      Sveas Stimme versagte, und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Alveradis nahm das Kind liebevoll in ihre Arme. „Sei ihm nicht böse. Georg hat ein gutes Herz und er hat viel für dich getan. Freue dich lieber darüber, dass dich deine Mutter sehen und in ihren Armen halten durfte, bevor sie gehen musste.“

      Svea nickte schluchzend und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Schließlich schaute sie Alveradis an.

      „Georg hat mir auch von dir erzählt. Vater hatte ihm zwar verboten, mir deinen Namen zu nennen, aber nicht, über dich zu berichten. Ich weiß, dass du oft bei uns warst, als ich noch ein Brustkind war. Du hast dich um mich gekümmert. Weshalb bist du dann eines Tages nicht mehr gekommen?“

      „Ulf hat mir den Zutritt verweigert. Ich sollte mich nicht mehr um dich kümmern. Mir blieb nichts anderes übrig, als sein Verbot zu respektieren. Aber ich hielt Ausschau nach dir, wann immer ich im Dorf war.“

      „Warum hat Vater dir verboten, nach mir zu sehen?“

      „Wahrscheinlich aus Angst, ich könnte zu großen Einfluss auf dich ausüben. Dass du am Ende nicht nach deiner Mutter, sondern nach mir gerätst.“

      „Das verstehe ich nicht. Mein Vater kennt keine Furcht … alle fürchten sich vor ihm!“

      „Oh doch, mein Kind. Er fürchtet sich vor mir. Vor mir und meiner Gabe. Und er fürchtet Frauen, die einen eigenen Verstand haben und sagen, was sie denken.“

      „Schlägt er mich deshalb, wenn ich sage, was ich denke?“

      „Genau. Das macht er nur aus Furcht.“

      „Vor mir?“

      „Davor, was du bist und was aus dir werden könnte. Er fürchtet, dass du bereits verdorben bist, weil ich dich als kleines Kind so oft in Händen gehalten habe. Er fürchtet, dass ich dir mein Wissen weitergeben könnte.“

      „Welches Wissen ist so Furcht erregend, dass er mich dafür schlägt?“

      Alveradis schmunzelte. „Dieses Wissen hängt mit einer ganz besonderen Gabe zusammen. Das jetzt genau zu erklären, wäre noch zu früh. Doch was das Wissen angeht, so ist das eine andere Sache. Wenn du willst, kann ich dir vieles beibringen.“

      Svea war erstaunt. Bisher hatte ihr noch niemand angeboten, ihr etwas beizubringen, geschweige denn sein Wissen mit ihr zu teilen. Dankbar nickte sie.

      „Also gut“, fuhr Alveradis zufrieden fort, „dann wollen wir gleich mit den Kräutern beginnen.“

      Die Heilerin nahm die geernteten Pflanzen und band sie zu Sträußen zusammen. Diese hängte sie unter das Dach der windschiefen Hütte. Erst nach dem Trocknen würde sie die Kräuter weiter verwenden, erklärte sie. Svea sog wissbegierig alle Worte der Frau auf. Sie konnte nicht genug erfahren und half ihr fleißig weiter, obwohl es schon spät war. Als sie schließlich den Rückweg antrat, drückte Alveradis ihr noch ein Säckchen für ihren Vater in die Hand. Der Inhalt würde Ulfs Wut dämpfen. Allerdings musste Svea versprechen, die Herkunft des Säckchens geheim zu halten. Svea dankte ihr, verabschiedete sich und trieb die Schweine vor sich her.

      Später, als sie mit den Sauen durch den Wald zum Dorf lief, dachte sie über ihre wunderbare Begegnung mit Alveradis nach. Sie dachte an die Lichtung, an die Heilerin und an das Arbeiten mit den Kräutern. All das hatte ihr sehr viel Freude bereitet. Es gab in ihrem Leben bisher nur wenige glückliche Momente, an die sie sich erinnern konnte. Doch heute war sie glücklich. Und daher beschloss sie, die Heilerin öfter aufzusuchen. Sie wollte mehr von ihr lernen. Und sie wollte auch erfahren, was es mit dieser angedeuteten Gabe auf sich hatte, vor der Ulf sich so fürchtete.

      Ja! Svea war sich sicher. Schon bald würde sie zur Lichtung und zu Alveradis zurückkehren.

      Anno 957 – Ingelinheim

      Die Reise hatte nahezu zwei Wochen gedauert, doch nun waren sie ihrem Ziel nahe. Im breiten Tal vor sich konnte Brandolf bereits die mächtige Pfalz zu Ingelinheim sehen, wo die von seinem Vater erbetene Audienz bei König Otto stattfinden würde. Ihr Anblick verschlug ihm beinahe den Atem, als er die Ausmaße der Anlage erfasste. Er hatte bereits einiges über die Pfalzen der einstigen Kaiser gehört, doch diese übertraf alles, was