Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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      Verblüfft sah Faolán zu. Er konnte es kaum glauben, aber Drogo lag tatsächlich zu seinen Füßen und dessen Hörige wurden in die Flucht geschlagen. Ruriks Sohn war zum ersten Mal auf sich allein gestellt, und Faolán schien zum ersten Mal einen Verbündeten zu haben.

      Als Drogos Hunde verschwunden waren, tauchte aus dem Buschwerk zwischen den Apfelbäumen ein unbekannter Novize auf. Der Größe nach zu urteilen, musste er etwa in Faoláns Alter sein. Es war nicht zu erkennen, wer dieser Novize war, denn er trug die Kapuze seiner Kukulle tief ins Gesicht gezogen. Mit festen Schritten erklomm er den Hügel. In einer Hand trug er einen Stab, den er wie einen Wanderstab nutzte. Wäre er nicht ein Knabe gewesen, so hätte man glauben können, ein Pilger käme daher. Der Unbekannte erreichte die Kuppe und blieb dort selbstbewusst stehen, als gehöre ihm dieser Flecken Erde.

      Inzwischen war Drogo wieder Herr seiner Sinne und hatte sich erhoben. Es irritierte ihn sichtlich, so einen selbstsicheren Novizen vor sich zu haben. Ihm wurde klar, dass er erst diesem unbekannten Aufsässigen eine Lehre erteilen musste, bevor er sich um Faolán kümmern konnte. Seine Stirn legte sich zornig in Falten und sein ganzer Körper spannte sich an. Er sah aus, als wolle er seine ganze Kraft an diesem Novizen auslassen. Seine Hände ballten sich langsam und sein Atem ging schnell und stoßweise.

      Doch das beeindruckte den Fremden nicht im Geringsten. Er hielt sein verhülltes Haupt gesenkt, als wolle er seine Identität nicht preisgeben. Er stützte sich gelangweilt auf seinen Stab, was Drogo als eine Provokation empfand.

      „Was glaubst du eigentlich, wer du …“, schrie er los. Weiter kam er nicht. Eine blitzschnelle Bewegung des Fremden hinderte Drogo, seine Frage zu beenden. Mit flinker Hand schwang der unbekannte Novize seinen Stab so schnell, dass Faolán ihm kaum folgen konnte. Überraschung stand auch Drogo ins Gesicht geschrieben, als ihn der erste Hieb in die Magengrube traf und er nach vorne zusammensackte. Der zweite landete auf seinem Rücken. Leise stöhnend krümmte sich Drogo im Sand.

      Sein Bezwinger beugte sich zu dem nach Atem ringenden Novizen hinunter und sprach mit leisen, eindringlichen Worten: „Glauben sollten wir in erster Linie an den Herrn! Und ich weiß ganz genau, wer ich bin. Außerdem weiß ich auch, wer du bist, Drogo, Ruriks Sohn. Spare dir also deine überflüssigen Worte über Herkunft, Stand oder angeblichen Einfluss. Es hat keinerlei Bedeutung in diesem Kloster, denn hier bist auch du nur ein kleiner Novize. Wichtiger für dich ist zu wissen, dass ich zwei gute Augen besitze. Eines davon wird in Zukunft auf dich und das andere auf den Novizen gerichtet sein, dem du dich gerade widmen wolltest. Solltest du dich wieder einmal in seiner Nähe befinden, so erinnere dich an das, was dir eben widerfahren ist!“

      Mit einer Handbewegung schlug der fremde Novize seine Kapuze zurück und entblößte sein Haupt mit kurzem blonden Haar und einem hageren Gesicht. „Überlege dir also in Zukunft genau, wem du Schläge verabreichen willst. Sollte es dieser Novize hier sein, so rechne stets mit mir! Hast du mich verstanden?“

      Immer noch damit beschäftigt, wieder zu Atem zu kommen, gab Drogo keine Antwort. Der fremde Novize gab sich damit nicht zufrieden. Das Stabende drückte auf Drogos Schultern, dass der noch einmal ganz zu Boden gepresst wurde. Der Atem entfuhr ihm und blies Staub und Dreck in seine Augen. Verzweifelt wand sich Drogo unter dem Holz, um sich zu befreien, doch sein Bezwinger war stärker.

      „Ob du mich verstanden hast?“, wiederholte der Fremde seine Frage.

      Faolán sah Tränen in Drogos Augen, doch er wusste nicht ob sie vom Schmerz, vom Staub oder seiner Wut herrührten. Als der Druck des Stabes noch einmal stärker wurde, war von Drogo ein zaghaftes „Ja“ zu vernehmen. Dabei bekam er auch noch Dreck in den Mund. Um ihn auszuspucken, versuchte er sich etwas vom Boden zu stemmen. Damit war der fremde Novize allerdings nicht einverstanden und drückte ihn wieder nach unten.

      „Kannst du nicht etwas lauter sprechen, damit wir dich alle verstehen?“

      „Ja“, rief Drogo schließlich wütend die gewünschte Antwort.

      „Schön, dann wäre alles geklärt. Du darfst jetzt gehen.“

      Drogo wurde freigegeben. Er kniete sich mühselig hin, schnappte nach Luft und rieb sich die Augen. Danach spuckte er den Dreck aus seinem Mund. Er wollte dabei die Füße seines Peinigers treffen, was dieser jedoch mit einem flinken Schritt zur Seite zu verhindern wusste. Sofort brachte der Fremde seinen Stab vor Drogos Gesicht. Das reichte aus um klar zu machen, dass er solche Versuche in Zukunft unterlassen sollte.

      Zorn wallte in Drogo auf. In diesem Zustand war der bullige Novize am gefährlichsten und Faoláns innere Stimme ermahnte ihn, endlich davonzulaufen. Doch er blieb. Im Augenblick war Drogo der Unterlegene. Trotzdem ließ der sich nicht davon abhalten, dem Fremden provokant ins Gesicht zu starren, als wolle er ihn zu einer Revanche herausfordern.

      Der blonde Junge war nach wie vor unbeeindruckt. „Ich sagte, du darfst jetzt gehen. Muss man dir alles zweimal sagen, bevor du es begreifst? Oder bist du nur zu schwach, um selbst zu gehen? Warte, ich werde dir behilflich sein …“

      Unerwartet sanft fuhr der Stab unter eine von Drogos Achselhöhlen und half ihm, sich aufzurichten. Der kräftige Novize sah dabei aus wie eine hilflose Puppe. Als er aufrecht dastand, vollzog der Stab eine kleine Drehung und versetzte ihm einen leichten Stoß. Das brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Mit rudernden Armen versuchte er sich auf den Beinen zu halten, als er den Hügel hinab stolperte.

      Von der Kuppe aus schauten die beiden Novizen zu, wie der sonst so aufrechte und selbstbewusste Drogo nur mit Mühe einen Sturz verhindern konnte. Es war ein komischer Anblick und Faolán konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Unten angekommen wischte sich Drogo erst den Staub von Gesicht und Habit, dann richtete er seinen zornigen Blick nach oben. Aus sicherer Entfernung wagte er noch eine Drohung:

      „Das werdet ihr noch bereuen! Dafür werde ich euch beide bluten lassen. Das verspreche ich euch!“

      Der Fremde rief selbstbewusst seine Antwort. „Gut! Ich werde freudig auf diesen Tag warten. Doch versprich nichts, was du nicht einhalten kannst. Sei ab heute besser auf der Hut, denn wir werden uns in Zukunft öfter begegnen.“

      Drogo wagte keine weitere Bemerkung mehr. Er kehrte den beiden Novizen auf dem Hügel den Rücken und zog mit erhobenem Haupt und beschmutztem Habit in gleicher Richtung davon wie schon seine, heute etwas weniger treuen, Hunde zuvor.

      Als er nicht mehr zu sehen war, drehte sich der fremde Novize mit einem zufriedenen Grinsen Faolán zu.

      „Das ging ja leichter als ich gedacht hatte. Ich bin Konrad und seit heute Novize dieser Abtei.“

      Faolán fragte sich, warum einem neuen Novizen erlaubt wurde, frei über das Gelände zu streifen und sogar einen Stab zu tragen, der ihm als Waffe diente. Aber er war froh um diesen Umstand und freudig sah er Konrad in die Augen.

      „Ich danke dir für deine Hilfe. Man nennt mich Faolán.“

      Konrads Lächeln wurde noch breiter. „Ich hasse Großmäuler wie Drogo. Allein sind sie feige und harmlos. Deshalb schicken sie andere vor, die sich die Hände schmutzig machen. Wahrscheinlich muss er jetzt erst einmal seine Brueche waschen, so wie er davongezogen ist.“

      „Da könntest du Recht haben! Wahrscheinlich war sie randvoll!“

      Die beiden schauten sich an und brachen gleichzeitig in schallendes Gelächter aus. Faolán spürte, wie seine Anspannung wich. Und er bemerkte noch etwas: Zum ersten Mal konnte er sich eine Freundschaft zu einem anderen Novizen vorstellen.

      * * *

      Die ersten Blätter fielen von den Bäumen und schwebten auf den Waldboden nieder. Ab und an wirbelte ein Luftzug sie wieder auf, und Svea versuchte, sie fröhlich lachend einzufangen. Sie liebte es, allein durch den Wald zu streifen. Ihr Vater hatte ihr diesen Sommer endlich erlaubt, das Dorf ohne ihre Brüder zu verlassen. Natürlich nicht zu ihrem Vergnügen, sondern um die beiden Schweine durch den Wald zu treiben. Jetzt, da die Eicheln zuhauf auf der Erde lagen, war es die einfachste Art, die Tiere zu mästen.

      Sveas Vater, Ulf, war ein armer Bauer, der selten ausreichend zu essen für seine Kinder im Haus hatte. Stets