TwinSetMan. Ralph Klostermann

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Название TwinSetMan
Автор произведения Ralph Klostermann
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347080607



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Seenot

      Bevor es losgeht, wird erst mal meine Pinkelmusik ausgemacht, sein halber Chor im Krieg geblieben und er muss sich hier jetzt so`n Schmadderkram anhör`n. Opa kennt weder Sweet noch Slade, ich weiß nicht wo der Friseur wohnt, die Anderen warten schon, wir können starten. Auf dem Weg zum Hafen, eben noch beim Schlachter halten, Opa würden zum Grillen ja einfache Bratwürste reichen, von so was wie Kotelett, Kassler, Bauchspeck, Krakauer und dazu noch Kartoffelsalat mit Nudelsalat, haben sie damals im Graben nur träumen können, aber wie man ein Pferd zerlegt, verspricht uns “Hör-dochendlich-auf-Paul“ flüsternd, nachher in Ruhe ohne Oma weiterzuerzählen, er weiß nämlich noch ganz andere Sachen, wenn „Du-bist-doch-jetzt-schon-vier-Axel“ keine Angst vor Ratten hat.

      Trotz bedrohlicher Gesichtsverfärbung, bleiben Käpt`n Herbert`s Anweisungen immer noch ruhig und sachlich. Erst laufen alle, entgegen seiner persönlichen Platzzuweisung, wild durcheinander oder fassen alles an und dann haben wir auch noch genau den einen Tag in zehn Jahren erwischt, wo das Scheißding nicht anspringt. Er und ich werden jetzt gleich den Bootsmotor reparieren, Oma und Mama können solange ja schon ein bisschen rumgrillen oder so was und Axel und Opa dürfen eine Hafenerkundungspaddeltour mit dem kleinen Schlauchboot machen oder spazieren gehen. Hauptsache erst mal alle runter vom Boot und in Ruhe nachdenken, wahrscheinlich ist wieder die Benzinpumpe im Arsch, er ist gleich vom Händler aus Drochtersen zurück.

      Ohne Käpt`n läuft`s dann eigentlich auch ganz gut, ich helfe bei den Grillvorbereitungen und Opa kennt nicht nur Geschichten über Ratten, er weiß anscheinend auch wo sie wohnen. Zielsicher und vom auflaufenden Wasser prima unterstützt, steuert er sich und Axel im Schlauchboot so schwungvoll schräg unter einen Anleger, dass er nur dank gut gekühltem Kopf und absichtlich herausragendem Bauch, ein vollständiges kentern verhindern kann. Nach zehn Minuten, haben wir das verkeilte Boot samt Insassen endlich wieder hervorgezerrt, der eine Riss hinten rechts war zum Glück bestimmt sowieso schon und die Paddel suchen wir einfach, wenn der Motor wieder läuft. Dafür hat sich Axel als vierjähriger alter Fahrensmann nicht nur gut gehalten, sondern auch gezeigt, daß auf ihn jederzeit Verlass ist, bei dem Gebrüll unter`m Steg hätte jeder geweint, er bekommt als Durchhalter des Tages nachher die allererste Grillwurst mit extra viel Ketchup, dafür wird Opa schon sorgen, sein Bauch sieht aus wie frisch geharkt.

      Käpt`n Herbert hat sich extra beeilt und jetzt wirklich keine Lust mehr. Die Pumpe nicht auf Lager und uns darf man tatsächlich keine fünf Minuten alleine lassen, das Schlauchboot können wir seinetwegen, am besten so wie es ist, gleich wegschmeißen, wohin weiß er doch auch nicht immer, das sollen wir uns ruhig selbst mal überlegen, was wir wohl ohne ihn tun würden, wenn er nicht alles selber macht. Aber die Paddel hätten wir noch gut gebrauchen können, falls der Motor vielleicht doch irgendwann mal während der Fahrt ausfällt und er will vor allen Dingen keinen warmen Kartoffelsalat mit Grill-Wabbelwurst, von der mein Opa damals tausend Jahre geträumt hat, er will kucken wie viele Löcher wirklich im Schlauchboot sind und dann nach Hause, bevor mit uns noch mehr passiert.

       Verschätzt

      Jetzt wird die Sache doch so langsam spannend, nur noch zwei mittelgrosse Päckchen und weder der von meinen Kumpels und mir so dringend erhoffte WM-Ball Mexico-Telstar, noch die Günter-Netzer-Pumas sind bisher aufgetaucht. Im Gegensatz zu den Erwachsenen, kann ich mich nicht für halbhohe Bama-Strümpfe, oder eine doch eher rostrote Hose mit dazu passendem Twin-Set begeistern und dass beim Pelikano zwei Patronen selbstverständlich inklusive sind, macht ihn auch nicht unbedingt zum Fussball tauglichen Gerät. Das spannende, zweiundfünfzigteilige Mikadospiel für die ganze Familie, kann meinetwegen sofort in Familienbesitz übergehen und die Boxhandschuhe aus dem vorletzten Paket, sind zwar eine echte Überraschung, müssen aber ganz sicher für jemand Anderen gedacht sein. Auch das letzte Geburtstagsgeschenk bringt keinen Ball oder Fussballschuhe zum Vorschein, ich bin betrogen worden. Dafür ergänzt die tadellose Jacke perfekt Hose und Twin-Set und bei der nächsten Familienfeier sehe ich darin bestimmt todschick aus, mit der kurzfristigen Hochzeitsabsage wegen dem kleinen Flittchen konnte ja keiner rechnen, aber dass ich die neuen Sachen nicht anziehen und mich damit auch keinesfalls fotografieren lassen will, soll ich mir lieber noch mal überlegen, der Nachtisch-Pudding hält sich nämlich garantiert noch eine Nacht im Kühlschrank und schmeckt dann leider nicht mehr so frisch und locker wie heute.

      Bei den Regimentswettkämpfen, damals beim Barrass, ist er in seiner Gewichtsklasse kaum zu schlagen gewesen und obwohl sein Daumen zu gross für den Boxhandschuh ist, muss Opa nicht mal aufstehen, oder auf seine Zigarre verzichten, um mir ein paar Grundtechniken demonstrieren zu können. Ich darf auch ruhig den rechten Handschuh nehmen, sowas schafft er immer noch mit links, weil gutes Boxen ja wie Degenfechten ist, man muss die Situation nur jederzeit unter Kontrolle haben, das Tempo selbst bestimmen und darf trotzdem den Gegner nie unterschätzen. Wie beim Schach, studiert man dann zunächst den Gegenüber und bewahrt Ruhe und Übersicht, dass ich nie an ihn herankomme und keine Treffer landen kann, liegt daher eben nicht an seinen längeren Armen, sondern an seiner kühl vorausschauenden Art und wie er, selbst im Sitzen, mit dem Oberkörper elegant ausweichend hin und her pendelt, gelernt ist eben gelernt, ihm bleibt sogar noch Zeit für ein paar lustige Bemerkungen.

      Nach einer linken Doppelgeraden, muss mich Ringrichter Opa, natürlich genau den Regeln entsprechend, wegen zu gebückter Haltung leider anzählen. Erst bei " Acht " habe ich seine aufzählende Beugebewegung ausreichend kühl studiert und erwische ihn bei " Neun " mit einem krachenden Aufwärtsschwinger am Kinn, sein Kopf pendelt elegant nach hinten, Zigarre und Brille landen im begeisterten Publikum, die Platzwunde am Mund muss genauer untersucht werden, der Kampf ist entschieden; wenn ich mich nicht entschuldige, gibt`s auch morgen keinen Pudding.

       Vollgas

      Noch zehn Minuten. Fünfunddreißig Grad im Schatten, absolute Windstille, die Anspannung ist jetzt fast körperlich spürbar. Monatelang haben wir auf diesen Tag, auf diese Stunde gewartet, gleich wird man sehen ob sich`s gelohnt hat, ob wir an alles gedacht haben und gut genug vorbereitet sind. Damit alle Unwägbarkeiten ausgeschlossen werden können, mache ich einen letzten Kontrollgang, gehe noch einmal Gesicht, Nacken und Arme kühlen und überprüfe die Kleidung. Ein abschließender Blick in den Spiegel, heute werden wir all` unsere Kraft, Ausdauer und Routine brauchen, um bei solch extremen Bedingungen auch dieses Mal erfolgreich bestehen zu können.

      Die letzten Sekunden vor dem Start ticken runter, es geht los. Vor Aufregung produzieren wir Zwei fast einen Fehlstart, zeigen dann aber von Beginn an unsere ganze Klasse und arbeiten uns konzentriert Zug um Zug voran, nach nur fünfzehn Sekunden kann Knut schon die zweite Flasche Beck`s Bier öffnen. Bis das Taxi kommt, bleiben uns zwei Stunden Zeit, zu fünfzehn Uhr ist ein Tisch in der Kneipe reserviert, Argentinien gegen Deutschland auf Großbild Leinwand wie im Kino, zur Einstimmung darauf gibt`s alte Fußballvideos mit Knut und mir als Hauptdarstellern und das dritte Bier, wenn wir den Öffner finden, dank Ventilator klebt mein Hemd nur auf dem Rücken. Kaum zu glauben, dass wir das auf dem Bildschirm sind, elegant am Ball und energisch bei den Zweikämpfen, mit langen Haaren und ohne Bauch, Möchtegerntrainer Maradonna ist garantiert viel kleiner und dicker als wir, vor siebzehn Jahren war alles besser, beim fünften Bier habe ich schon etwas Vorsprung.

      Die Fahrt im klimatisierten Taxi, lässt den Schmerz über die vier vom Taxifahrer nicht geduldeten, aber völlig sinnlos zurückgelassenen, Bierflaschen kurz vergessen. Von angenehmer Kühle umgeben, kann man endlich wieder ein paar klare Gedanken fassen, so könnte es ewig weitergehen, den sehr spätnächtlichen Heimtourauftrag, werden wir aber wahrscheinlich dennoch leider einem bierfreundlicheren Unternehmen übertragen müssen. Bei Kneipenankunft gibt`s für uns, trotz angedrohtem Auftragsentzug, sinnvolle Taxifahrerausstiegsunterstützung, er würde natürlich auch gern mit uns reinkommen, seine nächsten Tourgäste warten blöderweise seit zehn Minuten am anderen Ende der Stadt, er kuckt sowieso lieber Boxen, wir müssen ihn jetzt wirklich loslassen.

      Im Lokal ist die Stimmung schon eine halbe Stunde vor Spielbeginn, mit über vierzig Grad wie in Südafrika, dermaßen aufgeheizt, dass man die Bierhumpen mit beiden Händen greifen muss, Knut`s Kumpels sind im Halbdunkel am reservierten Tisch nur schemenhaft zu erkennen und um alle Spieler auf der fünf Meter Leinwand gleichzeitig sehen zu können, muss der Kopf hin und