Название | Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier |
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Автор произведения | Immanuel Birmelin |
Жанр | Биология |
Серия | |
Издательство | Биология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783833874413 |
In der Schlucht fand man Knochen von drei Menschenarten. Sie lebten vor mehr als zwei Millionen Jahren. Der Hartnäckigkeit und dem Durchhaltevermögen von Mary Leaky verdankt die Menschheit, dass sie drei ihrer Vorfahren kennenlernte. Es waren die ersten Menschen, die sich zwar in ihrem Aussehen unterscheiden, aber eindeutig Menschen waren. Ihre Gehirne waren deutlich kleiner als die des heutigen Menschen, aber größer als die von Schimpansen.
Meine Frau und ich kamen ins Grübeln und fragten uns, warum sie gerade in diesen relativ trockenen Savannen-Landschaften Skelette von Frühmenschen gefunden hatten. Es ist kein Ort, an dem sich Affen gerne aufhalten. Außer kleinen Paviangruppen sahen wir keine Affen, geschweige denn Schimpansen, unsere nächsten Verwandten. Wir haben unsere haarigen Vettern in Uganda im Kibale-Wald beobachtet. In diesem Dschungel klettern die Tiere schreiend und tobend von Baum zu Baum, laben sich an Früchten und streiten sich. Noch nie haben wir so streitsüchtige Tiere gesehen wie die Schimpansen. Sie erinnern stark an die menschliche Gesellschaft.
Zurück zu unserer Frage: Was hat den Vormenschen hierher gelockt? Ein Blick auf den Wetterbericht vor Tausenden von Jahren gibt die Antwort. Hier herrschten damals völlig andere Klimabedingungen.
Die Olduvai-Schlucht gab es noch gar nicht, statt ihrer war hier ein See voll von Flusspferden, Flamingos und Elefanten, die sich am Uferrand suhlten. Und die Menschen bauten sich Steinwerkzeuge, um die wilden Tiere zu jagen. Ohne diese Steinwaffen hätten sie keine Chance gehabt zu überleben. Sie mussten sich gegen Löwen und Hyänen verteidigen. So wie der junge Massai-Mann heute, den wir einsam in der Savanne sitzen sahen – nur besitzt dieser eine bessere Technik.
Mehrere Vulkanausbrüche, zum Beispiel der Ngorongoro-Krater, veränderten das Leben von heute auf morgen. Und begruben Mensch und Landschaft unter sich. Wie das Leben ausgesehen haben mag, verrät der Ngorongoro-Krater. Man kann heute mit dem Jeep in den Krater hinunterfahren. Und das Paradies öffnet seine Tore.
Ein sensationeller Fund
Mary Leakey war ihrer Wissenschaft gänzlich verfallen. Bis ins hohe Alter leitete und führte sie Ausgrabungen durch. Ungefähr 40 Kilometer von der Olduvai-Schlucht machten sie und ihre Mitarbeiter eine sensationelle Entdeckung. Sie fanden die Fußspuren der ersten auf zwei Beinen gehenden affenähnlichen Menschen. Die Spuren gehörten dem Vormenschen Australopithecus afarensis.
Vermutlich einen Artgenossen dieser Zweibeiner fanden Paläontologen 1974 einige Hundert Kilometer nördlich von hier in Äthiopien. Die Wissenschaftler gaben dem Skelett den Namen Lucy – nach einem Beatles-Song, den sie am Abend im Zelt anhörten: »Lucy in the Sky with Diamonds«. Lucy war recht klein. Sie maß nur wenig mehr als einen Meter – und hatte ein Gehirn, das nicht viel größer war als das der heutigen Menschenaffen.
Die Fossilien gehören nach Meinung vieler Forscher mit 3,1 Millionen Jahren zu den ältesten und vollständigsten Überresten menschlicher Vorfahren. Es wird wissenschaftlich jedoch noch diskutiert, ob der heutige Mensch tatsächlich aus dem Australopithecus afarensis hervorging. Die Überreste von Lucy liegen heute im National-Museum von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Ihre Entdeckung war ein großer Schritt in unserer Ahnentafel.
Wanderer zwischen den Kontinenten
Man nimmt an, dass sich vor etwa 1,9 Millionen Jahren einige unserer Vorfahren auf den Weg machten, den Heimatkontinent Afrika zu verlassen. Vermutlich nicht aus Freude und Neugierde, sondern aus Not. Es ist die Zeit großer klimatischer Veränderungen. In Ostafrika ist der immergrüne tropische Regenwald geschrumpft, und Savannen haben sich gebildet. Einer der Flüchtlinge war sicherlich Homo ergaster. Er war körperlich bevorteilt. Er hatte ein flaches, weniger schnauzenartiges Gesicht, ein dem heutigen Menschen ähnliches Skelett und ein relativ großes Gehirn, das etwa 900 Kubikzentimeter misst. Das ist in etwa die Hirngröße eines einjährigen Kindes – der heutige, erwachsene Mensch bringt es auf rund 1500 Kubikzentimeter. Zudem war Homo ergaster groß und hatte kräftige Beinknochen. Beste Voraussetzungen für einen Wanderer. Er hatte Afrika verlassen und sich bis nach Asien ausgebreitet. Aus ihm gehen weitere Menschenarten hervor, die sich über die Erde ausbreiten. Letztlich überlebt nur Homo sapiens, und das sind wir.
Unser enger Verwandter, der Neandertaler
Aber auch in Europa entdeckten Wissenschaftler Skelette unserer Vorfahren. Im Jahre 1856 fanden Bergarbeiter Teilskelette eines Frühmenschen. Er bekam den Namen seines Fundortes Neandertal, das zwischen Erkrath und Mettmann in der Nähe von Düsseldorf liegt (Abbildung, >). Neandertaler könnten die Nachfahren der ersten Afrika-Auswanderer sein. Sie lebten in ganz Europa in voneinander isolierten Gruppen.
Ein frommer Wunsch? Der DNS-Code
Generationen von Menschen wollen wissen, wo ihre Wurzel der Entstehung ist. Kurz, woher sie kommen. Paläontologen haben für diese Wanderung plausible und überzeugende Argumente. Aber ein Beweis im strengen Sinne ist das nicht. Viele Argumente sind Spekulationen. Darum ist sie für viele Wissenschaftler immer noch ein Geheimnis, und ihnen raucht der Kopf bei der Lüftung dieses Geheimnisses. Dank der Paläogenetik kam Licht in das Dunkel.
Meerkatze | Australopithecus afarensis
Homo ergaster | Neandertaler
Einer der führenden Köpfe dieser Forschungsrichtung ist der Schwede Svante Pääbo, Professor am Max-Planck-Institut in Leipzig. Ihm und seinem Team gelang es, in die molekularen Dimensionen des Neandertalers vorzustoßen. Sie isolierten aus seinen Knochenzellen winzige Mengen von DNS. Das sind die Erbmoleküle, die jedes Lebewesen besitzt – außer einigen Retro-Viren. Sie hielten in ihren Händen Erbmoleküle von einem Menschen, der vor mehr als 30 000 Jahren lebte.
Halten Sie einen Moment inne, um zu begreifen, was Menschen hier geleistet haben. Mit modernster Biochemie und Biotechnik sind Forscher in die Vergangenheit getaucht. Sie bohrten einen Neandertalerknochen an, in der Hoffnung, Zellen zu finden, in denen Reste von DNS enthalten sind (Wissen kompakt, >). Die Wissenschaftler konnten in einer Sisyphusarbeit den DNS-Code entziffern. So fand man etwa heraus, dass die Neandertaler ein Gen besaßen, das sie bittere Stoffe schmecken ließ. Man vermutet, dass sie Pflanzen wie Schafgarbe und Kamille nicht nur wegen des Geschmacks, sondern auch als Medizin nutzten. Vermutlich zeigen auch die noch heute vorkommenden Genabschnitte des Homo sapiens, die auf den Neandertaler hinweisen, dass wir ein reiches Erbe geschenkt bekamen. Durch die Anpassungen des Neandertalers an Krankheitserreger konnten auch wir uns den neuen Umweltbedingungen stellen und große Immunität erlangen.
Pääbo und sein Team verglichen den DNS-Code von Homo sapiens mit dem des Neandertalers. Das Team hatte einige Jahre zuvor festgestellt, dass sich der DNS-Code von Schimpansen von unserem nur in etwas mehr als einem Prozent unterscheidet. Pääbo: »Die Neandertaler mussten uns natürlich noch viel näherstehen. Aber – das war ungeheuer spannend – unter den wenigen Abweichungen, mit denen wir im Neandertaler-Genom rechneten, mussten genau jene sein, durch die wir uns von allen früheren Menschenvorläufern unterscheiden, nicht nur von den Neandertalern, sondern beispielsweise auch von Lucy.« (Quellennachweis, Pääbo, >) Wer etwas tiefer in die Materie einsteigen will, dem empfehle ich sein Buch »Die Neandertaler und wir«. Ein Fazit seiner Forschung: Die Neandertaler sind die engsten ausgestorbenen Verwandten der heutigen Menschen.